Fälle von Kindern und Jugendlichen, die sich im eigenen Körper nicht wohlfühlen und ihr Geschlecht „wechseln“ wollen, sind mittlerweile in aller Munde. Der Leidensdruck von Minderjährigen mit der Diagnose Geschlechtsidentitätsstörung[1] kann gross sein – auch die damit einhergehende Belastung für Eltern und Geschwister. Angesichts des zunehmenden Einflusses der Transgender-Ideologie auf die medizinische Fachwelt ist die Frage vordringlich: Nach welchen wissenschaftlichen Befunden, welchen ethischen Prinzipien und letztlich nach welchem Menschenbild soll sich der Umgang mit betroffenen Kindern und Jugendlichen ausrichten?

Von Dominik Lusser

Ein neues Paradigma für den Umgang mit sogenannten „Transkindern“, das von der Transgender-Lobby massiv beworben wird und sich seit den 2000er-Jahern unter Fachleuten im In- und Ausland immer mehr durchsetzt, gibt Anlass zur Sorge. Es beruht nicht auf neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern auf der ideologischen Annahme einer vom biologischen Geschlecht losgelösten gefühlten inneren Geschlechtsidentität.[2] Anstatt betroffene Kinder nach Möglichkeit therapeutisch dahin zu begleiten, ihr Fühlen und Denken mit der Realität ihres vollständig gesunden Körpers in Übereinstimmung zu bringen – was nach dem jetzigen Erfahrungsstand in 80 bis 95 Prozent der Fälle bis zur späten Adoleszenz auch gelingt[3] –, werden Kinder neuerdings in ihrer irrigen Annahme, im falschen Körper geboren zu sein, bestätigt. Aufgrund der fragwürdigen Annahme, die betroffenen Kinder hätten ein untrügliches Empfinden ihrer wahren Geschlechtsidentität,[4] werden sie darin bestärkt, das entgegengesetzte Geschlecht zu imitieren. Schon durch dieses Einüben, „soziale Transition“[5] genannt, werden Weichen gestellt, die eine Aussöhnung mit dem tatsächlichen Geschlecht unwahrscheinlicher machen, wie kritische Experten warnen. Das Einsetzen der Pubertät, das bei geschlechtsdysphorischen Kindern – die ihren Körper „hassen“[6] – grosses psychisches Leiden auslöst, wird nach dem neuen Trend medikamentös unterdrückt. Später sorgt die Abgabe gegengeschlechtlicher Hormone dafür, dass sich die sekundären Geschlechtsmerkmale des Wunschgeschlechts ausprägen. Damit können – je nach Alter – irreversible Folgen wie lebenslange Unfruchtbarkeit verbunden sein. Auch bleiben die psychischen Konflikte, die hinter der Ablehnung des eigenen Geschlechts stehen, auf diese Weise ungelöst. Viele wählen daraufhin auch den Weg der chirurgischen „Geschlechtsumwandlung“. Der eingeschlagene Leidensweg setzt sich so bis zum Lebensende fort.

Markant steigende Zahlen

Der Britische „Gender Identity Development Service (GIDS)“ des National Health Service in London wird mit Fällen von Minderjährigen, die in ihrer Geschlechtsidentität tief verunsichert sind, geradezu überschwemmt. Die Zahl der behandelten Kinder und Jugendlichen hat zwischen 2009 und 2018 von 77 auf 2’590 Fälle zugenommen.[7] Besonders betroffen sind Mädchen, bei denen die Fälle um über 4’000 Prozent gestiegen sind. Wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung[8] im Dezember 2019 berichtete, haben im Frühjahr 2019 mindestens fünf Ärzte und einer der Leiter der Londoner Klinik aus Gewissensgründen gekündigt. Sie hätten von einem „Lebendversuch“ an Hunderten Kindern gesprochen, denen pubertätsblockierende Hormone verschrieben wurden, ohne dass die Ursache für ihre „geschlechtliche Verwirrung“ geklärt worden sei.

Auch spezialisierte Zentren im deutschsprachigen Raum berichten über eine „rasante Zunahme der Fallzahlen (…), wobei ein Ende des Anstieges noch nicht abzusehen ist.“[9] Der Münchner Kinderpsychiater Alexander Korte schilderte im Januar 2019 in einem Interview, er erlebe einen „enormen Zulauf an Jugendlichen“, die ihm „Sorge bereitet“.[10] Die Professorin für Kinder- und Jugendmedizin, Annette Richter-Unruh (Bochum), erklärte gegenüber der FAS[11], dass sich 2006 bei ihr drei „transidente“ Kinder vorgestellt hätten. 2019 seien es mehr als 200 gewesen. Dagmar Pauli, Chefärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Universitätsklinik in Zürich, führt seit zehn Jahren die schweizweit erste Sprechstunde für solche Fälle. Anfangs suchten bei ihr drei bis fünf junge Menschen Hilfe,[12] heute sind es über hundert im Jahr, davon 80 Prozent Jugendliche und 20 Prozent Kinder.[13] Wie viele es an allen Standorten in der Schweiz zusammen sind, die solche Sprechstunden anbieten, darüber gibt es keine öffentlich verfügbaren Zahlen. Oft bleibt es jedoch nicht bei Gesprächen. In Zürich lassen gegen 80 Prozent der Jugendlichen, die in die Sprechstunde kommen, ihr Geschlecht chirurgisch oder hormonell umwandeln.[14] Auch wurden 2017 in der Schweiz laut einer Analyse der Spitaldatenbank SwissDRG 14 Geschlechts-Operationen an Minderjährigen vorgenommen, wobei Fachleute eine steigende Nachfrage durch Jugendliche beobachten.[15]

Transgender als Zeitgeistphänomen?

Ist die massive Zunahme an Minderjährigen und insbesondere an Mädchen, die sich im eigenen Körper nicht zuhause fühlen, nur auf die Enttabuisierung des Themas in den letzten Jahren zurückzuführen, wie Dagmar Pauli meint?15 Oder gibt es gesellschaftliche Dynamiken, welche zu dieser Zunahme führen, wie Alexander Korte vermutet?[16] Auch der Münchner Psychiater begrüsst zwar den freieren Umgang mit dem Thema, glaubt aber nicht, dass die gewachsene Offenheit allein den rasanten Anstieg an Fällen erklären kann. Nebst Fällen, bei denen tatsächlich eine Geschlechtsdysphorie vorliegt, hätten wir es hier „offensichtlich auch mit einem Zeitgeistphänomen zu tun“, meint der Psychiater. Korte ist besonders vorsichtig bei Jugendlichen, die sich früher in ihrer Lebensgeschichte noch nie geschlechtsatypisch verhalten haben. Mit dem medial gehypten Transgender-Thema stünde pubertierenden Jugendlichen in dieser „Phase der partiellen Neuerfindung“ eine neue „Identitätsschablone“ zur Verfügung, so der Experte. Transjungen als Stars auf Kanälen wie YouTube oder Instagram fungierten als Influencer für diesen Trend. „Auf meiner Patientenliste stehen drei Mädchen und ein Junge, alle im selben Alter und alle aus demselben kleinen bayerischen Ort – das widerspricht jeder statistischen Wahrscheinlichkeit.“ Die Selbstkategorisierung als „trans“ gebe Jugendlichen die Möglichkeit, ihrem individuellen Leiden in einer Form Ausdruck zu verleihen, die in unserer Kultur zunehmend akzeptiert sei. „Nicht selten verbergen sich hinter dieser Selbstzuordnung andere, individuell unterschiedliche Probleme“, gibt Korte zu bedenken.

Transgender ist zweifelsohne zu einem besorgniserregenden Trend geworden, der fragile und verletzte Personen anzieht. Ein düsteres Bild davon, wohin diese Entwicklung noch führen könnte, malt der kanadische Psychologe Jordan Peterson: „Auf jede Person, die man ruhigstellt, indem man ihre Geschlechtsidentitätskonfusion (…) unterstützt, kommen 50 Personen, die man damit so unglaublich verwirrt, dass man es selbst nicht glauben würde“, sagte er schon 2016 in einem Interview.[17] Er rechnet damit, dass unsere Gesellschaft von einer Epidemie irrtümlich durchgeführter Geschlechtsumwandlungen überrollt werden wird. „Vielleicht betrifft das ungefähr fünf Prozent der Bevölkerung, denen nie jemand Aufmerksamkeit geschenkt hat. Diese Menschen haben weder eine Identität noch einen Sinn ihrer selbst, weil sie ihr Selbst nicht zu artikulieren wissen. Sie haben keinen Platz in der Gesellschaft und suchen natürlich nach Gründen und Lösungen.“ Von diesen Menschen, die in ihrer Verzweiflung jede „Lösung“ ihres Problems anzunehmen bereit seien, würden nun viele denken, sie seien Transgender, warnt Peterson.

Die Transgender-Ideologie

Der Hype um Transgender ist ohne den stetig wachsenden politischen und medialen Einfluss der Gender-Ideologie im Allgemeinen und der Transgender-Lobby im Besonderen nicht zu erklären. Letztere versucht, die gefühlsmässige Nichtübereinstimmung mit dem eigenen biologischen Geschlecht als unhinterfragbare Identität zu etablieren. Die streitbare These vom „Transkind“ begründet die Lobby mit dem vermeintlich untrüglichen Empfinden von Kindern, die unter starkem Leidensdruck den Wunsch äussern, dem anderen Geschlecht anzugehören. Jeder Trans-Aktivist würde gegen diese Formulierung allerdings vehement einwenden: Es gehe nicht um einen Wunsch, sondern darum, dass solche Kinder sich als das annehmen dürften bzw. als das angenommen würden, was sie schon immer gewesen seien – Mädchen oder Junge im falschen Körper. Das Geschlecht von „Transmenschen“ sei „nicht ein Wunsch, sondern eine Tatsache – egal wie jemand aussieht“, heisst es in der Infobroschüre „Trans*“[18], herausgegeben vom Transgender Network Switzerland (TGNS). In einem „Trans-Mädchen“ steckt angeblich genauso viel Weiblichkeit wie in jedem „Cis-Mädchen“, wie man gesunde Mädchen in diesen Kreisen zu nennen pflegt. Mit dieser Wortneuschöpfung suggerieren die Anhänger einer Neubewertung des Phänomens „Trans“, es gäbe grundsätzlich zwei Arten von Mädchen bzw. Jungen. Damit wird die prinzipielle Zweigeschlechtlichkeit der Art Mensch in Frage gestellt. Von „Trans*“ spreche man, wie das TGNS schreibt, „wenn das innere Wissen einer Person, welches Geschlecht sie hat (…), nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen übereinstimmt.“ Es wird also behauptet, das Geschlecht eines Menschen werde bei der Geburt nicht festgestellt, sondern zugeschrieben. Entsprechend wehrt sich das TGNS gegen die Vorstellung, „Transmenschen“ würden einfach „das andere Geschlecht werden wollen“. Für „Transmenschen“ fühle es sich gerade umgekehrt an: „Sie empfinden sich als genau das, was sie sind. Und sie sind es unabhängig vom Coming-out, Hormonen, Namensänderung oder Operationen. Sie werden nicht erst durch Operationen zur ‚richtigen Frau‘ oder zum ‚richtigen Mann‘, sondern sie waren schon immer diese Frau, dieser Mann.“ Deswegen solle auch nicht von „Geschlechtsumwandlung“, sondern von „Geschlechtsangleichung“ gesprochen werden. Dass es sich für „Transmenschen“ so anfühlt, wird niemand in Zweifel ziehen. Doch soll man tatsächlich die physische Wirklichkeit leugnen, nur weil es einige wenige Menschen gibt, die aus tiefliegenden Gründen Mühe bekunden, diese zu akzeptieren? Es geht hier nicht darum, erwachsene Menschen zu kritisieren, die sich unter grossem Leidensdruck für eine „geschlechtsumwandelnde“ Operation entscheiden. Doch ist es höchst fraglich, solche Fälle zur Normalität zu erheben, von ihnen her die Realität auf den Kopf zu stellen und Behandlungsprotokolle für betroffene Kinder an ihnen auszurichten.

Tanja Martinez, Leiterin des Ressorts Kinder und Jugendliche beim TGNS, definierte 2017 bei einem Anlass in Zürich die Geschlechtsidentität ganz allgemein als ein „inneres Bewusstsein“[19]: „Je kleiner ein Kind, desto mehr spürt es sich, desto weniger beeinflusst ist es von der Gesellschaft.“ Es kann, wie es in der TGNS-Broschüre heisst, „Kindern schon früh bewusst werden, dass das innere Empfinden und der Körper nicht übereinstimmen“; diese Geschlechtsidentität könne man Kindern weder ab- noch anerziehen. Das „existentielle innere Bewusstsein“ von „Transkindern“ sei, wie Martinez erklärt, „nicht verhandelbar“. Stattdessen wird gefordert, dass sich das ganze Umfeld diesen inneren Zuständen unterwirft. Denn jedes Kind habe, wie Martinez eindringlich betonte, ein Recht, sich als selbstwirksam zu erleben. Für ein „Transkind“ sei dies in unserer zweigeschlechtlichen Welt allerdings schwierig. Anzupassen hat sich darum nach dieser Logik das „Cis“-Mädchen und dessen Eltern, die Mühe damit haben, wenn ein biologisch klar identifizierbarer Junge die Mädchentoilette besucht. Ein „Transkind“ könne, wie es in der TGNS-Broschüre heisst, „erheblich darunter leiden, wenn es nicht sich selbst sein“ dürfe. Unter „Transkindern und -jugendlichen“ sei nämlich die Suizidrate besonders hoch. Dass dies auch mit intrapsychischen Problemen zu tun haben könnte, welche das falsche Bewusstsein der eigenen Identität erst hervorrufen (wie klinische Fallstudien nahelegen)[20], wird vehement bestritten. Es wird ein extremer Leib-Seele-Dualismus beschworen, der ein gestörtes Gefühlsleben auf Kosten eines gesunden Leibes verabsolutiert und eine integrierte, ganzheitliche Sicht auf den Menschen verhindert. Geschlecht ist nämlich, wie die Kinder- und Jugendärztin Christl Ruth Vonholdt trefflich formuliert, „nicht einfach ein ‚biologisches‘ Geschlecht, das vom ‚sozialen Geschlecht‘ überschrieben werden könnte.“[21] Vielmehr sei der Mensch vom allerersten Anfang an eine bio-psycho-soziale und spirituelle Einheit, die allerdings tief verletzt werden könne.

Behandlungsprotokolle unter ideologischem Einfluss

Nicht nur der gesellschaftliche, auch der medizinische Umgang mit geschlechtsdysphorischen Kindern richtet sich zunehmend nach diesen zweifelhaften Prämissen. Symptome werden auf dieser Grundlage interpretiert und entsprechende Behandlungsempfehlungen entworfen, denen auch Schweizer Kinderspitäler folgen. Es zeigt sich, dass auch die medizinische Fachwelt kein elfenbeinerner Turm abseits gesellschaftlicher Entwicklungen und ideologischer Einflüsse darstellt. Die in dieser Thematik führenden US-Forscher Paul W. Hruz, Paul R. McHugh und Lawrence S. Mayer warnen[22] vor den mittlerweile weit verbreiteten Behandlungen Minderjähriger mit pubertätsblockierenden Medikamenten, wie das Bioethik-Institut IMABE berichtet: „Zum einen gebe es kaum wissenschaftliche Literatur darüber, warum manche Menschen eine Geschlechtsidentitätsstörung entwickeln. Ausserdem sei die Zurechnungsfähigkeit von Kindern, die sich kaum der Tragweite ihrer Wünsche bewusst sind, zu hinterfragen. Zum anderen sei der Erfolg der Pubertätsunterdrückung – gemessen an einer Verringerung von pubertätsbedingten psychischen Traumata und einer Verhinderung von Suiziden – unbewiesen. Die Pubertät hormonell zu blockieren, sei ein rein experimentelles Verfahren. Es widerspreche dem ärztlichen Ethos, derartige Verfahren ohne intensive Vorabprüfung bei Kindern anzuwenden. Letztlich müssten die Erziehungsberechtigten der ärztlichen Behandlung zustimmen – und auch dazu, dass ihre Kinder Forschungsgegenstand für Tests von ungeprüften Therapien werden, kritisieren die Experten.“[23] Das Fazit der US-Forscher lautet daher: „Unabhängig von den guten Absichten der Ärzte und Eltern: Wer junge Menschen solchen Behandlungen aussetzt, gefährdet sie.“ Die Anwendung von Pubertätsblockern hält auch Alexander Korte gegenwärtig für „unverantwortbar“[24]. „Fast alle Kinder, die Pubertätsblocker nehmen, entscheiden sich in einem zweiten Schritt für die Einnahme gegengeschlechtlicher Hormone, also Testosteron- oder Östrogenpräparate.“ Es sei zu befürchten, dass zu einem sehr frühen Zeitpunkt eine Entscheidung getroffen werde, obwohl die Diagnose noch gar nicht gesichert sei. Laut Korte kann man bei einem 11- oder 13-jährigen Kind noch gar nicht wissen, ob seine Geschlechtsdysphorie bis ins Erwachsenenalter andauern wird. „Eine pubertätsblockierende Behandlung, die von den Befürwortern als medizinisch unbedenklich dargestellt wird, forciert nach den bisherigen Erfahrungen möglicherweise eine transsexuelle Entwicklung und verstellt zugleich andere, alternative Entwicklungswege. Sie verhindert eine prinzipiell mögliche Aussöhnung mit dem Geburtsgeschlecht.“[25] Korte ist sich allerdings bewusst, dass er in dieser Kontroverse – die er als ideologisch aufgeladenes Minenfeld bezeichnet – eine „Aussenseiterposition“ einnimmt. [26] In diesem Sinne berichtete auch die FAS im Dezember 2019, um die Diagnose und Behandlung von Transsexuellen sei ein „internationaler Glaubenskrieg“ entbrannt.

Korte und andere kritische Stimmen mahnen auch schon bei der sozialen Transition zur Vorsicht. Es gehe darum, dem Kind „nicht das Konzept ‚trans‘ überzustülpen und ihm nicht fortwährend zu vermitteln, es sei vom anderen Geschlecht, nur weil es sich so verhält“.[25] So deutlich zur Vorsicht mahnende Stimmen sucht man unter den führenden Schweizer Experten vergeblich. Dagmar Pauli empfiehlt Eltern, offen zu sein und mitzuteilen: „Wenn es dir wichtig ist, dann bist du jetzt das, was du sein möchtest.“[27] Auch steht sie der Behandlung Minderjähriger mit Pubertätsblockern ebenso wie mit gegengeschlechtlichen Hormonen aufgeschlossen gegenüber.[28] Hingegen lehnt sie eine therapeutische Begleitung mit dem Ziel, dass das betroffene Kind sein biologisches Geschlecht annehmen kann, dezidiert ab: „Eine sogenannte ‚reparative‘ Behandlung, die eine ‚Aussöhnung mit dem Geburtsgeschlecht‘ zum Ziel hat, ist obsolet.“[29] Stattdessen scheint sich Pauli mehr an den vermeintlich unhinterfragbaren Gefühlen und Wünschen der leidenden Kinder zu orientieren: „Bei der Untersuchung von Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsinkongruenz steht das innere Erleben der Geschlechtszugehörigkeit im Vordergrund.“ Und weiter: „Viele Kinder und Jugendliche benötigen psychotherapeutische Unterstützung zur Entwicklung von Selbstbewusstsein und Überwindung von Ängsten, um das von ihnen gewünschte Outing und die Transition durchzuführen.“[30] Auch empfiehlt sie wie das TGNS, anstatt von „Geschlechtsumwandlung“ von „Geschlechtsangleichung“ zu sprechen, da es sich um „eine Anpassung an das als genuin erlebte innere Geschlecht handelt“. Sie rät davon ab, das Geburtsgeschlecht mit dem Begriff „biologisches Geschlecht“ zu bezeichnen, weil dies von „Trans*Personen“ als unpassend empfunden werden könne. Denn damit komme „implizit die Annahme zum Ausdruck (…), dass das eigentliche und wahre Geschlecht das körperliche sei, wohingegen das psychische Geschlecht nicht biologisch verankert wäre.“ Pauli stellt ganz grundsätzlich das binäre Geschlechtersystem in Frage, weil es „Transpersonen“ potentiell ausgrenze und stigmatisiere.[31] Ebenso plädiert auch Dr. Niklaus Flütsch, der am Zürcher Stadtspital Triemli eine Spezialsprechstunde für transidente Menschen leitet und sich selbst als „Transmann“ bezeichnet, dafür, unsere gegenwärtige Konzeption von Geschlecht zu überdenken: „Geschlecht stelle ich mir wie eine Wolke vor. Es ist etwas Unscharfes, das sich nicht in ein festgefügtes Raster zwängen lässt. Transmenschen blieben einige Unannehmlichkeiten erspart, wenn die Geschlechtszugehörigkeit von staatlicher Seite zur Privatsache gemacht würde.“[32]

Die in Fragen der Geschlechtsidentität bei Kindern und Jugendlichen tonangebenden Schweizer Experten scheinen – wenigstens gross mehrheitlich – Verfechter des neuen Behandlungsprotokolls samt seiner ideologischen Prämissen zu sein. Sie verweisen gewöhnlich auf die Standards of Care (SOC) der World Professional Association for Transgender Health (WPATH), welche kein Mindestalter für die Behandlung mit gegengeschlechtlichen Hormonen vorsehen und chirurgische Geschlechts-Operationen schon für Minderjährige für vertretbar halten: „Geschlechtsangleichende Operationen sollten (…) nach dem 18. Geburtstag durchgeführt werden mit Ausnahme der Mastektomie bei Trans*Männern, bei denen ein Eingriff auch früher durchgeführt werden kann, nachdem mit der Testosteronbehandlung begonnen wurde und die Jugendlichen bereits mindestens ein Jahr in der männlichen Rolle leben.“[33]

Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, was die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) in ihren Richtlinien zu Zwangsmassnahmen in der Medizin schreibt, die auch Teil der Standesordnung der FMH sind: „Auch wenn Jugendliche im zweiten Lebensjahrzehnt eine rasch zunehmende Entscheidungskompetenz in medizinischen Fragen erwerben können, bestehen bei älteren Jugendlichen infolge der langsamen Reifung der entsprechenden Hirnareale oft noch Schwierigkeiten, komplexere Entscheidungen angemessen zu beurteilen. Insbesondere kann es diesen minderjährigen Personen Mühe bereiten, langfristige Risiken und Folgeschäden realistisch wahrzunehmen oder in Betracht zu ziehen, dass die eigene Bewertung dieser Risiken in einigen Jahren anders ausfallen könnte. Die Einschätzung der Urteilsfähigkeit erfordert deshalb besondere Sorgfalt und Fachkompetenz, wenn es um Entscheidungen mit irreversiblen Folgen geht. Die Ausübung der Selbstbestimmung durch den Jugendlichen sollte nicht zum Preis einer irreversiblen Schädigung seiner weiteren Entwicklung und damit seiner zukünftigen Selbstbestimmungsfähigkeit toleriert werden.“[34]

Daraus erhellt, dass der gegenwärtige Umgang mit vermeintlichen „Transkindern“ dem Grundsatz der hypokritischen Tradition „primum non nocere“ diametral widerspricht. Gefragt sind nun verantwortungsvolle Schweizer Ärztinnen und Ärzte, die nicht nur in ihrer Praxis, sondern auch in der öffentlichen Debatte so rasch wie möglich beherzt Gegensteuer geben – zum Wohl der betroffenen Kinder.

Eine hilfreiche Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstandes als Grundlage eines evidenzbasierten und ethisch vertretbaren Umgangs mit Geschlechtsidentitätsstörungen im Kindesalter sowie eine fundierte Auseinandersetzung mit der Transgender-Ideologie hat im November 2018 das „American College of Pediatricians“ (ACPeds) vorgelegt. Die Stiftung Zukunft CH hat die Stellungnahme „Gender Dysphoria in Children“ ins Deutsche übersetzt und im Mai 2019 publiziert.

Download des englischen Originals: https://www.acpeds.org/the-college-speaks/position-statements/gender-dysphoria-in-children

Download der Übersetzung: https://www.zukunft-ch.ch/wp-content/uploads//2019/06/Zukunft-CH-Infodossier-Transkinder.pdf

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[1] Der aktuell noch gültige Diagnosekatalog ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation WHO spricht von Geschlechtsidentitätsstörung (GIS) im Kindesalter, während der Diagnosekatalog DSM-5 (2013) der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft die Bezeichnung Geschlechtsdysphorie verwendet. Im neuen WHO-Katalog ICD-11, der voraussichtlich 2022 in Kraft tritt, soll die Diagnose Geschlechtsinkongruenz heissen.

[2] Vgl. American College of Pediatricians (2018), Gender Dysphoria in Children, https://www.acpeds.org/the-college-speaks/position-statements/gender-dysphoria-in-children [25.04.2019]

[3] Cohen-Kettenis PT, Delemarre-van de Waal HA, Gooren LJ (2008). The treatment of adolescent transsexuals: changing insights. J Sexual Med, 5:1892-1897

[4] „Da sich die Geschlechtsidentität zwischen dem zweiten und vierten Lebensjahr ausbildet, wissen Kinder schon früh, ob sie sich in ihrem Körper wohlfühlen.“ So David García Núñez, Leiter des Schwerpunkts für Geschlechtervarianz am Unispital Basel am 11. April 2019 gegenüber „20 Minuten“ (https://www.20min.ch/schweiz/news/story/Geschlechts-OPs-bei-Minderjaehrigen-nehmen-zu-15772108 [24.04.2019]).

[5] Pauli D (2017), Geschlechtsinkongruenz und Genderdysphorie bei Kindern und Jugendlichen, PSYCHup2date, 11(6), 529-543, S. 536, https://static1.squarespace.com/static/572347337da24f738c352ec7/t/5a1fc9128165f5ee9e56793d/1512032533523/Geschlechtsinkongruenz+bei+Kindern+und+Jugendlichen.pdf [24.04.2019]

[6] Christian Wüthrich, leitender Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie an der Berner Klinik für Kinderheilkunde berichtete gegenüber der „Weltwoche“ (Nr. 5/2019): „Diese Mädchen sässen in der Sprechstunde und sagten dann zum Beispiel: ‚Machen Sie sofort etwas, sonst schneide ich mir die Brüste ab!‘“ Dagmar Pauli, Chefärztin der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Psychiatrischen Uniklinik Zürich ergänzt: „Häufig sind diese Jugendlichen suizidal, sie hassen ihren Körper und verletzen sich oft selbst.“

[7] The Christian Post Online, 17. Dezember 2019, https://www.christianpost.com/news/35-psychologists-resign-from-uk-gender-identity-clinic-with-3000-kids-on-wait-list.html [24.12.2019]

[8] FAS, 8. Dezember 2019.

[9] Pauli (2017), a.a.O., S. 529

[10] Spiegel Online, 18. Januar 2019, https://www.spiegel.de/plus/geschlechtsumwandlungen-macht-doch-endlich-sonst-bringe-ich-mich-um-a-00000000-0002-0001-0000-000161911783 [24.04.2019]

[11] FAS, 8. Dezember 2019.

[12] Weltwoche Nr. 5/2019

[13] NZZ Online, 13. Dezember 2019, https://www.nzz.ch/wochenende/gesellschaft/transgender-immer-mehr-diagnosen-bei-kindern-und-jugendlichen-ld.1527318 [06.01.2020]

[14] Weltwoche Nr. 5/2019

[15] NZZ Online, 13. Dezember 2019, a.a.O.

[16] Spiegel Online, 18. Januar 2019, a.a.O.

[17] Spiked Online, 15. Oktober 2016, https://www.spiked-online.com/podcast-episode/i-wont-play-the-pc-game/ [25.04.2019]; zitiert nach der deutschen Übersetzung unter: https://www.novo-argumente.com/artikel/transgender_hype_treibt_seltsame_blueten [24.04.2019]

[18] TGNS (2016), Trans*– Eine Informationsbroschüre von Transmenschen für Transmenschen und alle anderen, https://www.tgns.ch/wp-content/uploads/2011/08/Broschuere-TRANS-deutsch-2016.pdf [24.04.2019]

[19] Vgl. https://www.zukunft-ch.ch/transkinder-ein-fataler-irrtum/ [25.04.2019]

[20] Vgl. American College of Pediatricians (2018), a.a.O.

[21] Vonholdt CR (2016), Editorial, in: Leib, Geschlecht, Identität, DIJG-Bulletin, Nr. 24., https://www.dijg.de/bulletin/leib-geschlecht-identitaet/transsexualitaet-mutter-kind-bindung/ [24.04.2019]

[22] Hruz PW, McHugh PR, Mayer LS (2017), Growing Pains – Problems with Puberty Suppression in Treating Gender Dysphoria, The New Atlantis, Nr. 52, 3-36, https://www.thenewatlantis.com/publications/growing-pains [25.04.2019]

[23] IMABE-Newsletter, Juli 2017, https://www.imabe.org/index.php?id=2414 [25.04.2019]

[24] Spiegel Online, 18. Januar 2019, a.a.O.

[25] Spiegel Online, 18. Januar 2019, a.a.O. Vgl. auch: Vgl. Korte A, Beier KM, Bosinski HAG (2016), Behandlung von Geschlechtsidentitätsstörungen (Geschlechtsdysphorie) im Kindes- und Jugendalter – Ausgangsoffene psychotherapeutische Begleitung oder frühzeitige Festlegung und Weichenstellung durch Einleitung einer hormonellen Therapie? Sexologie 23(3-4), 117-132

[26] Mittelbayerische Zeitung, 22. September 2017, https://www.mittelbayerische.de/wissen-nachrichten/im-koerperso-und-im-kopf-ganz-anders-21981-art1565235.html [24.04.2019]

[27] Aargauer Zeitung, 24.03.2019, https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/kinder-im-falschen-koerper-warum-dietranssexualitaet-bei-schuelern-immer-mehr-zunimmt-134243451 [24.04.2019]

[28] Pauli (2017), a.a.O., S. 538 f.

[29] Ebd., S. 537

[30] Ebd., S. 533, 537

[31] Ebd., S. 530 f.

[32] Zwyssig I (2018), Transmenschen brauchen ihren Platz im Gesundheitswesen, Schweiz Ärzteztg. 99(48), 1715-1718

[33] Pauli (2017), a.a.O., S. 539

[34] SAMW (2015), Zwangsmassnahmen in der Medizin, Bern 2015, S. 18