Erst 2021 wurde das deutsche Sexualstrafrecht verschärft. Damals wurde die Mindeststrafe für den Besitz von Kinderpornografie angehoben. Nun soll sie wieder gesenkt werden, „um nicht die Falschen zu bestrafen“. Doch die Argumentation birgt Probleme in sich.

Von Ursula Baumgartner

Bis 2021 lag die Mindeststrafe für den Besitz kinderpornografischen Materials in Deutschland bei drei Monaten. Unter Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) wurde die Strafe auf ein Jahr angehoben. Der Tatbestand galt zudem ab diesem Zeitpunkt nicht mehr als Vergehen, sondern als Verbrechen. Viele Aspekte dieser Reform möchte der jetzige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) wieder rückgängig machen. Neu soll die Mindeststrafe dann bei drei bis sechs Monaten liegen. Die Höchststrafe bleibt unverändert bei zehn Jahren. Strafbar sind Erwerb, Besitz und Verbreitung von entsprechendem Material. Mit der erneuten Reform könne man nun „flexibel und verhältnismässig“ auf Fälle reagieren, argumentiert Buschmann.

Keine Strafen für Hilfsbereite!

Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, hat laut der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) Eltern und Lehrer im Blick, die ohne böse Absicht ins Visier der Ermittler geraten könnten. Wenn sie „etwa in Klassenchats auf Fälle von Kinderpornografie aufmerksam geworden seien und die Schulleitung oder andere Eltern in bester Absicht darauf hätten hinweisen wollen“, drohe auch ihnen das seit 2021 geltende Strafmass. Zudem binde die Verfolgung solcher Fälle viel Personal, das anderswo dringender gebraucht würde. Der neue Gesetzesentwurf möchte ausserdem Personen berücksichtigen, die unbeabsichtigt an entsprechendes Material gelangt sind und es „nur aus Nachlässigkeit“ nicht von ihrem Gerät gelöscht haben.

Nachlässigkeit als Freispruch von Verantwortung?

Unschuldige nicht unter Verdacht geraten zu lassen, ist natürlich immer ein gutes Ziel. Eltern und Lehrer, die wirklich nur helfen und aufklären wollen, dürfen nicht verurteilt werden. Hat jemand ungewollt entsprechendes Material erhalten oder erfahren, dass es in Umlauf ist, muss er das zur Anzeige bringen können, ohne selbst Strafen befürchten zu müssen.

Doch die Argumentation macht Schlupflöcher auf, die recht dehnbar sind und weitreichende Folgen haben könnten. Das Stichwort „Nachlässigkeit“ beispielsweise eröffnet ein höchst problematisches Feld. Nachlässigkeit ist letztlich nichts anderes als mangelnde Übernahme von Verantwortung. Nun kam wohl so ziemlich jeder schon mit Spam in Kontakt, der mit technischen Geräten zu tun hat. Doch ebenso wie der Einzelne dafür verantwortlich ist, dass sich keine Viren auf PC und Smartphone breitmachen, muss auch jeder in Bezug auf mögliche Kinderpornografie selbst Verantwortung für die Sauberkeit seiner Geräte übernehmen. Kann sich sonst nicht künftig jeder auf Nachlässigkeit berufen?

Wo beginnt Pädokriminalität?

Das deutsche Bundesjustizministerium geht noch einen Schritt weiter. Es verteidigt auch Jugendliche, „die aus einem für den jugendlichen Entwicklungsstand typischen Antrieb wie Unbedarftheit, Neugier, Abenteuerlust oder Imponierstreben gehandelt haben“. Auch in solchen Fällen soll also Milde gelten. Stellen wir uns einen 16-Jährigen vor, der Nacktbilder von seiner Freundin im Klassenchat herumschickt, um damit anzugeben. Selbstverständlich muss er nicht automatisch aufgrund von „pädokrimineller Energie“ handeln. Doch wenn ihm nicht unmissverständlich klargemacht wird, dass dies ein schweres Unrecht ist, werden er und alle anderen im Klassenchat diesbezüglich auch gar nicht erst ein Unrechtsbewusstsein entwickeln.

Das Abtun solcher Fälle als Übermut wird zudem den Opfern nicht gerecht. Das gedemütigte Mädchen dürfte sich vermutlich kaum mehr ins Klassenzimmer trauen. „Übermut tut selten gut“ gilt auch hier. Je früher ein Jugendlicher lernt, dass man auch unbeabsichtigt in kriminelle Machenschaften rutschen kann, desto aufmerksamer und verantwortungsbewusster wird er hoffentlich sein. Ein übertriebener „Welpenschutz“ in diesem Bereich setzt die falschen Signale. Der gleiche 16-Jährige könnte das Fahren ohne Führerschein oder unter Alkoholeinfluss ja auch nicht einfach mit „Abenteuerlust“ oder „Imponierstreben“ begründen.

Die Rolle der Schule

Was also ist zu tun, wenn man wirklich helfen möchte? In Zeiten zunehmender Digitalisierung muss die Schule auch die Funktion eines Warners übernehmen. Durch schulinterne Kampagnen kann man Schüler über die rechtlichen Folgen ihres Handelns aufklären. Ein Projekttag zumindest für ältere Schüler kann sich mit dem weltweiten Problem des Kindersex-Handels befassen. Ein solcher Tag liesse sich aufbauen auf dem Film „Sound of Freedom“, der genau dies verdeutlicht.

Tritt ein Verdachtsfall an der Schule auf, ist es Lehrern unbenommen, im Unterricht darüber zu sprechen. Mobbing und Zivilcourage sind dabei noch nicht einmal die einzigen wichtigen Themen, die man damit anschneiden kann. Das offene Gespräch über Persönlichkeitsrechte, die psychischen Folgen für die Opfer von Kinderpornografie oder die enorme Suchtgefahr von Pornografie bringt die Jugendlichen zum Denken und bereitet sie wirklich aufs Leben vor.

Medienkompetenz contra Pornografiekonsum

Ein Elternabend mit Medienexperten kann Väter und Mütter beraten bei Fragen wie: Wann sollte mein Kind ein Smartphone bekommen? Welche Filter kann ich installieren, um mein Kind vor ungewünschten Inhalten zu schützen? Was soll ich tun, wenn ich befürchte, dass mein Kind Pornografie konsumiert?

Leider wird auch im Unterricht das Thema Pornografie heute oft harmloser dargestellt, als es ist. In vielen Schulmaterialien ist lediglich die Rede davon, Pornografie vermittle ein „unrealistisches Bild von Sexualität“. Dies ist zwar nicht zu leugnen, ist jedoch bei weitem nicht das einzige Problem. Die bereits oben angesprochene Suchtgefahr kommt kaum jemals zur Sprache. Auch der katastrophale Einfluss von Pornografiekonsum auf die Beziehungsfähigkeit bleibt unerwähnt. Gleiches gilt für die Degradierung der Frau zum Objekt. Das Frauenbild, das sich durch Pornografie in den Köpfen festsetzt, muss dringend kritisch reflektiert werden.

Täterschutz vor Opferschutz

In verstärktem Masse gilt all dies für Kinderpornografie. Doch hier kommt noch etwas hinzu. Die Herstellung von Kinderpornografie ist eines der verabscheuungswürdigsten Verbrechen der Menschheit. Hinter jedem Bild, jeder Sequenz steht mindestens ein missbrauchtes, traumatisiertes Kind, das womöglich lebenslange schwere seelische Wunden davonträgt. Durch ein geringes Strafmass bagatellisiert man den Besitz von Kinderpornografie. Und damit verharmlost man indirekt auch das Verbrechen der Herstellung.

Die damalige hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) lobte 2021 die Strafverschärfungen als „längst überfällig“, weil sie Kinder besser vor Missbrauchstaten schütze. Man muss befürchten, dass dieser Schutz der Kinder durch die neue Reform wieder abnimmt, weil „ein geringer Strafrahmen auch die Ermittlungsmöglichkeiten erheblich“ eingrenzt. Dass somit in diesem wichtigen Bereich Täterschutz vor Opferschutz steht, ist nicht nur „völlig unbefriedigend“, wie Kühne sagt. Es ist ein Armutszeugnis für die deutsche Justiz. Und für alle betroffenen und bedrohten Kinder ist es eine Katastrophe.

Zukunft CH warnt nicht nur seit Jahren vor den negativen Folgen von Pornografiekonsum, sondern bietet auch Hilfe an. Die Präventionsbroschüre „Kinder wirksam vor Pornografie schützen“ für Eltern und Pädagogen kann – auch in grösseren Mengen zum Verteilen – über das Bestellformular oder unter +41 (0)52 268 65 00 bezogen werden. (Versand ins Ausland nur gegen Übernahme des Portos)