Die neuesten Entwicklungen in Tunesien und Ägypten sollten auch uns zu denken geben: In Tunis wie in Kairo sind nach den Revolutionen vom letzten Jahr aus relativ freien Wahlen die Islamisten als klare Sieger hervorgegangen: die tunesische „An-Nahda“ („Islamische Wiedergeburt“) und die ägyptischen Moslembrüder. Am Nil konnte sich neben ihnen noch die ganz radikal-altertümliche Strömung der so genannnten Salafisten durchsetzen. Damit müssen die Hoffnungen auf eine Demokratisierung nach dem Arabischen Frühling von 2011 jetzt wieder begraben werden.
Der Islam benutzte zwar ein parlamentarisches Wahlsystem, um an die Macht zu kommen, wird sich aber weiter nicht an die demokratischen Spielregeln halten. Das macht seine Gefährlichkeit in einer parlamentarischen Demokratie aus, was auch für die islamische Diaspora in der Schweiz gilt. Für linientreue Muslime kann es nämlich keine demokratischen Mehrheitsentscheide und Regierungen geben. Jede politische Autorität ist allein göttlich legitimiert, gründet im Kalifat, der Nachfolge Mohammeds als politisch-religiöser Führer. Der Kalif ist, um mit unseren Begriffen zu sprechen, eine Art islamischer Kaiser und Papst in Personalunion. Zwar gibt es derzeit keinen Kalifen und gehen die Bestrebungen zur Wiedererrichtung des Kalifats mehr in Richtung eines kollegialen Kalifatsrates als einer Einzelpersönlichkeit wie z.B. des Königs von Saudi-Arabien oder Jordanien. Dennoch wird auch im modernen islamischen Staat die Kalifatsgewalt absolutistisch durch einen regionalen Emir ausgeübt. In Deutschland und Frankreich haben sich schon mehrere Moslemführer zu solchen „Emiren“ erklärt. Auch dem Islamischen Zentralrat der Schweiz (IZRS) werden solche Ambitionen zugetraut.

Scharia-Recht setzt enge Grenzen

Einer Mitregierung der Bürgerinnen und Bürger sind im islamischen Staat durch das unabänderliche, alles umfassende Scharia-Recht ganz enge Grenzen gesetzt. Wo es, wie in der Islamischen Republik Iran, ein Parlament gibt, handelt es sich dabei nur um eine beratende Versammlung, die „Schura“. Alle Entscheidungsgewalt liegt in Teheran beim kollektiven Organ des „Weisenrates“ aus den höchsten schiitischen Klerikern. Und die Experimente Gaddafis, in seiner libyschen Dschamahirija (Volksstaat) eine direkte Demokratie zu etablieren, dienten nur zur Verschleierung seiner brutalen Alleinherrschaft.

Aggressiven Forderungen nicht nachgeben

Zwar gab und gibt es im modernen Islam auch einige Stimmen, die für echte Demokratisierung eintreten. So die türkische Tanzimat-Reform im 19. Jahrhundert oder zuletzt der osmanisch-kurdische Mystiker Said Nursi (1884–1960). Ihn hat die moderne Türkei anfangs geehrt, dann aber umso mehr verfolgt, weil er sich für Demokratie im europäisch-westlichen Sinn eingesetzte. Wollen wir ähnliche Kräfte im heutigen Islam unterstützen, so dürfen wir nicht vor den aggressiven Islamisten und ihren Forderungen an unsere Adresse kapitulieren. Wer in der Schweiz Zwangsverheitatungen und Ehrenmorde, andere Anwendungen der Scharia und die islamistische Aushöhlung unserer Demokratie duldet, fällt den wenigen aufrechten Männern und vor allem Frauen in den Rücken, die in islamischen Staaten für mehr Freiheit und Menschlichkeit eintreten.

Von Heinz Gstrein