In Teheran findet das Aufbegehren gegen das Regime der Ayatollahs vom Jahreswechsel inzwischen seine politische Aufarbeitung: Madschless-Präsident Ali Laredschani bekräftigte dabei seinen Kurs einer Abkehr von der eigenen Herkunft aus dem religiös-konservativen Lager in Richtung einer gemässigten Mitte.

Von Heinz Gstrein

Laredschani verurteilte zwar grundsätzlich die systemkritischen Proteste, forderte aber auch Meinungsfreiheit und Entkriminalisierung für ihre Wortführer. Damit hat sich der ehemalige Radikale in dieser Krise der Islamischen Republik als Mann des Ausgleichs zwischen den Extremen etabliert. Während der regimekritischen Proteste im Iran wurden insgesamt 3‘700 Menschen verhaftet. Obwohl inzwischen auch Präsident Hassan Rohani Freilassungen gefordert hat, bleibt ihr Schicksal ungewiss …

Quer durch das Land hatte sich – ausgehend von einer „Eierrevolte“ in der nordöstlichsten „Heiligen Stadt“ Maschhad – Enttäuschung darüber manifestiert, dass Irans Nachgeben in der Atomrüstungsfrage und die folgende Aussetzung der Wirtschaftssanktionen noch immer zu keiner Besserung der Mangelwirtschaft geführt haben. In Teheran und anderen städtischen Ballungsräumen gipfelte die Unrast aber bald in Studentenprotesten gegen die Herrschaft des engstirnigen Schiitenklerus.

Der Klerus der Kaufleute

Wobei seit der Islamischen Revolution von 1979 deren Ideologie und Machtinteressen sozial vom Krämergeist der iranischen Händlerklasse getragen werden: Typisch dafür die sogenannten „Basar-Mullahs“. Seit Generationen kommt der Nachwuchs für den schiitischen Klerus fast ausschliesslich aus den Reihen der Kaufleute. Auch die Geistlichen bleiben meist ihren kommerziellen Familieninteressen verhaftet, betätigen sich selbst weiter geschäftlich. Diese Schicht hat bisher die meisten politischen Führer von Präsident Haschemi Rafsandschani, dem „Pistazien-Kaiser“, bis hin zum jetzigen Staatsoberhaupt Hassan Rohani hervorgebracht, dessen Vater Gewürzkrämer war. Der Übergang der jüngsten Proteste gegen Leere und Teuerung in den Kaufläden zur Infragestellung des politislamischen Regierungssystems hat daher durchaus seinen inneren Zusammenhang.

40 Jahre nach Beginn der damals auch von fortschrittlichen Kräften unterstützten Islamischen Revolution gegen den Schah zeigt sich die iranische Jugend heute immer weniger bereit, sich von mittelalterlichen Verhaltensvorschriften das Leben vorschreiben zu lassen. Das umso mehr, als Irans religionspolitische Szene gar nicht so einfärbig ist, wie das die heute herrschenden Verfechter einer „Herrschaft der schiitischen Rechtsgelehrten“ (Welāyat-e Faghīh) glauben machen möchten. Ihrer Grundthese der Einheit von Religion und Staat stand schon immer der sogenannte „Scheichismus“ mit einem rein spirituellen Verständnis des Islams und seiner schiitischen Variante gegenüber. Aus dieser Tradition ist auch der im Iran selbst unter dem „Reformer“ Rohani weiter hart verfolgte weltreligiöse Bahai-Glauben hervorgegangen.

Der heimliche Kopf des Protests

Gegen Ruhollah Khomeini, der die Revolution angeführt hatte, wandten sich dann der viel höher stehende Grossayatollah Schariat Madari und schlussendlich sogar Khomeinis Mitkämpfer wider den Schah, Grossayatollah Hossein Ali Montazeri. Der heutige Hauptvertreter strikter Trennung von Religion und Politik, Hossein Borujerdi, sitzt schon seit zwölf Jahren hinter Gittern. Er stammt aus einer berühmten Ayatollah-Dynastie, bei der sich auch ein Khomeini sein theologisches Rüstzeug geholt hatte. Bald jagte man jedoch den späteren Revolutionsführer als „missratenen Schüler“ fort. Der jüngste Borujerdi wurde seit 2006 bis zum Widerruf seines Standpunkts mehrmals grausam gefoltert, erweist er sich jedoch immer neu als zäher Durchhalter. Aus dem Kerker erhebt er jetzt den heimlichen Kopf dieser Protestbewegung.

Das geht dem Ayatollah-Regime ans Mark. Am schärfsten reagieren Teherans eigentliche militaristische Machthaber von der schiitischen Bassij-Miliz. Diese „Revolutionswächter“ stehen hinter der iranischen Machtausweitung vom Libanon über Syrien, den Irak und den Golf bis zum Jemen. Die iranischen Haudegen wollen sich ihren aussenpolitischen Höhenflug und ihre florierenden Geschäfte nicht durch einen „Dolchstoss“ aus dem Inneren gefährden lassen. In vielen Bereichen der Wirtschaft – und nicht nur in der Rüstungsindustrie – haben sie mit ihren „hauseigenen Konzernen“ eine Monopolstellung. Damit verhindern sie auch, dass die Früchte der wirtschaftlichen Neuöffnung des Iran nach der Boykott-Ära einer breiteren iranischen Öffentlichkeit zugutekommen.