Durch den Vormarsch der radikal-islamischen ISIS-Bewegung sind viele Menschen aus dem arabischen Teil des Nordirak ins sichere Kurdengebiet im Nordosten geflohen. In Erbil, der Hauptstadt der autonomen Kurdenregion, erwartet der chaldäisch-katholische Erzbischof, Bashar Matti Warda, weitere Flüchtlingsströme. Das Gespräch führte Oliver Maksan von Kirche in Not.
KIN: Wie viele Flüchtlinge haben in Ihrer Diözese Zuflucht gefunden?

Warda: Wir kümmern uns derzeit um etwa 400 christliche Familien, die seit Anfang Juni aus der Region Mossul zu uns gekommen sind. Darunter sind Chaldäer, syrisch-orthodoxe und syrisch-katholische Christen. Die kurdische Regierung hat die Grenzen für die Christen geöffnet, während Muslime aus den von ISIS betroffenen Gebieten nur so etwas wie eine zeitweise Aufenthaltsberechtigung haben.

KIN: Warum unterscheiden die Kurden zwischen Muslimen und Christen?

Warda: Als wir bei der hiesigen Regierung angefragt haben, haben wir klargemacht, dass die christlichen Familien keine Absicht haben, zurückzukehren. Die Muslime hingegen schon. Die Kurden haben gesagt, dass sie es natürlich lieber sähen, wenn die Christen in ihrer Heimat bleiben könnten, wo ihr Besitz ist. In dieser Situation haben sie die Einreise erleichtert. Die kurdische Regierung berät uns, aber materielle Unterstützung erhalten wir nicht.

KIN: Überfordert Sie als Bischof die Flüchtlingshilfe?

Warda: Ja. Wir können das nicht allein schaffen und haben gar nicht das Team, um einen solchen Andrang qualifiziert zu bewältigen. Zum Glück konnten die Menschen aus Karakosch nach ein paar Tagen wieder in ihren Ort zurück, nachdem sich die Lage dort beruhigt hatte.

KIN: Die Flüchtlinge aus Mossul sind aber noch hier. Was wird mit ihnen langfristig geschehen?

Sie werden nicht zurückgehen. Entweder sie bleiben hier in Kurdistan oder gehen ins Ausland, zum Beispiel in die Türkei oder den Libanon. Manche haben damit leider schon begonnen.

KIN: Welche Möglichkeiten haben Sie, die Christen in Kurdistan zu halten?

Warda: Dafür müssten wir ihnen Wohnungen und Arbeit bieten können. Aber das ist schwierig. Wir als Diözese können das nicht. Wir müssten hier mit der Regierung und ausländischen Hilfsorganisationen zusammenarbeiten.

KIN: Glauben Sie, dass das Christentum im derzeit noch irakischen Kurdistan eine Zukunft hat?

Ausgehend von dem, was wir seit Jahren erleben, würde ich sagen: ja. Es gibt hier nicht nur Sicherheit, sondern die Regierung hat auch ein offenes Ohr für unsere Anliegen. Das hat sich jetzt in der Flüchtlingskrise wieder gezeigt. Aber es gibt auch einige Kritikpunkte. Beispielsweise gibt es Landstreitigkeiten zwischen christlichen und kurdischen Dörfern. Die Regierung hat versprochen, hier Abhilfe zu schaffen. Die lässt aber noch auf sich warten. Aber bei anderen Dingen geht es schneller.

KIN: Die Parteien, die Kurdistan regieren, stehen eher in einer säkularen Tradition. Sorgt das für eher pluralistische Verhältnisse?

Warda: Ja. Wann immer wir mit der Regierung zu tun haben, spüren wir das. Sicher, auch hier gibt es Menschen mit engen Ansichten. Aber das ist nicht die Haltung der Regierung.

KIN: Viele Christen in Kurdistan klagen aber, dass es auch hier islamistische Parteien gibt. Vor einigen Jahren wurden in einigen kurdischen Städten im Norden Alkoholgeschäfte von Fanatikern angegriffen. Macht Ihnen das für die Zukunft Sorgen?

Warda: Ja, so etwas gibt es. Da muss man realistisch sein. In der ganzen Region gibt es solche aufsteigenden Bewegungen. Sie werden ganz sicher auch Kurdistan erreichen. Aber wenigstens hat die Regierung das Problem im Blick.

KIN: Was kann „Kirche in Not“ für die Christen des Irak in dieser schwierigen Situation tun?

Warda: Wir haben immer um Ihr Gebet gebeten. Und helfen Sie uns auch weiterhin, unsere Situation gegenüber der Politik und der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Ausserdem danken wir auch für die Unterstützung unserer Nothilfeprogramme. Wir erwarten schwierige Zeiten für Orte wie Karakosch.

„Kirche in Not“ unterstützt die Christen im Irak insbesondere in der kurdischen Autonomieregion im Norden des Landes. Dorthin sind die meisten Menschen geflohen.