Frauen, die religiösen Minderheiten angehören, sind in Indien besonders verletzlich. Als eines der bevorzugten Mittel zur Unterdrückung wird gezielt sexuelle Gewalt eingesetzt, wie der Hintergrund-Report „Hinter verschlossenen Türen – der versteckte Missbrauch gegen indische Frauen“ der Menschenrechtsorganisation aufdeckt.

Open Doors untersuchte 2348 gegen Christen verübte Gewalttaten, die sich zwischen 2016 und 2019 ereigneten. Die Zahl spiegelt die Gesamtzahl der Vorfälle in keinster Weise wider. Denn in Indien leben rund 70 Prozent der 1,38 Milliarden Einwohner in ländlichen Gemeinden, in denen Verstösse oft gar nicht gemeldet werden und auch schwerer zu verfolgen sind. In Indien haben Frauen nicht die gleichen Rechte und Chancen wie Männer, dies bedeutet eine doppelte Verwundbarkeit für Frauen, die sich nicht zur Mehrheitsreligion zählen, wie der Report von Open Doors zeigt.

72,5 Prozent der indischen Bevölkerung identifizieren sich als Hindu; Muslime und Christen machen 14,4 Prozent respektive 4,8 Prozent aus.

Druck durch Hindu-Radikalismus

Der Hindu-Radikalismus hat in den letzten Jahrzehnten an Dynamik gewonnen. Politiker der regierenden Bharatiya Janata Party (BJP) haben öffentlich ihre Absicht geäussert, Indien zu einer reinen Hindu-Nation machen zu wollen. Eine solche Ideologie und Rhetorik schaffen ein Klima, in dem die Verfolgung und Diskriminierung religiöser Minderheiten weit verbreitet ist und in vielen Fällen ungestraft bleibt. Übergriffe auf Christen werden mittlerweile täglich registriert. Die jährliche Zahl der gemeldeten Vorfälle gegen Christen hat sich zwischen 2014 und 2019 mehr als verfünffacht. Acht der 28 indischen Bundesstaaten haben ein Anti-Konversionsgesetz und mehrere weitere planen die Einführung eines solchen Gesetzes.

Angst vor Öffentlichkeit

Die indische Gesellschaft misst Frauen nicht den gleichen Wert bei wie Männern. Infolgedessen haben sich auf stark diskriminierende Verhaltensweisen etabliert, wie selektiv weibliche Abtreibung, Kindermord an Mädchen und Mädchen, die verstossen werden, weil die Eltern Söhne bevorzugen, die aufwachsen werden, um die Familie finanziell zu unterstützen. Es gibt mittlerweile 54 Millionen weniger Frauen als Männer und die Kluft wird immer grösser.

Oft fürchten sich weibliche Opfer von religiös motivierten Übergriffen, den Fall vor die Justiz zu bringen oder überhaupt darüber zu sprechen: Die Anzeige eines Verbrechens kann ein Opfer anfällig für weitere Attacken oder Mord durch ihren Angreifer machen, der gegen Kaution freikommen kann. Der Justizprozess ist langsam und Verurteilungen sind selten. Die Polizei ist für ihre Brutalität bekannt und es gab Fälle von sexueller Gewalt gegen Frauen während der Haft.

Zwangsheirat als Waffe

Gewalt gegen Frauen beinhaltet oft sexuelle Gewalt oder Zwangsheirat mit einem Hindu. Die Täter zielen darauf ab, den Ruf ihrer Opfer zu schädigen und sie emotional zu erniedrigen, damit sie in stiller Scham und Angst gefangen, nicht mehr für ihre Rechte eintreten können. Vergewaltigungen betreffen insbesondere Christinnen aus der Dalit-Gemeinschaft, wobei ein Experte schätzt, dass weibliche christliche Dalits mehr als doppelt so häufig vergewaltigt werden wie weibliche hinduistische Dalits. Auch die Androhung von Vergewaltigung kann ein wirksames Mittel zur Kontrolle christlicher Frauen sein. Zwangsverheiratung führt nicht nur zu sexueller Gewalt, sondern hat auch demografische Auswirkungen, da alle Kinder, die dem Paar geboren werden, als Hindus registriert werden.

Täter, die religiöse Minderheiten verfolgen und diskriminieren, versuchen der Glaubensgemeinschaft den grösstmöglichen Schaden zuzufügen, bei geringstmöglichem Risiko für sich selbst. Da indische Frauen im Allgemeinen bereits über eine geringe politische, soziale, rechtliche und wirtschaftliche Handlungsfähigkeit verfügen, machen sich die Täter dies zunutze.

Weltverfolgungsindex 2021

Der Report „Hinter verschlossenen Türen – der versteckte Missbrauch gegen indische Frauen“ gehört zum Hintergrund-Material für den Weltverfolgungsindex 2021. Dieser erscheint am 13. Januar 2021.

Quelle: Medienmitteilung Open Doors vom 18. Dezember 2020