Wegen Corona war es im zu Ende gehenden Jahr 2020 zunächst still um den politischen Islam geworden. Um seine Gefahren, die nicht nur in Nahost und vielen Teilen Afrikas, die mitten unter uns aufgebrochen waren. Dass die Pandemie zwar unsere Aufmerksamkeit ablenken konnte, für die militanten Dschihadisten aber kein Hindernis bildet, haben die Morde an einem Lehrer und in einer Kirche aus Frankreich, zuletzt die Wiener Todesschüsse vom November gezeigt.

Ein Kommentar von Dr. phil. Heinz Gstrein, Orientalist

Gerade die Lehren aus diesen Anschlägen sollten auch in der Schweiz beherzigt werden, solange man hierzulande noch weitgehend von Attacken verschont geblieben ist. Doch wie lange noch? Die Extremismusforscherin Julia Ebner betrachtet die kommenden Weihnachtsfeiertage und den Jahreswechsel als besonders gefährliche Zeit. Ausserdem hätten die Netzwerke der Islamisten inzwischen gelernt, ausgerechnet die Corona-Krise für ihren Terror zu nutzen.

In Paris hat es sich bei dem tschetschenischen Gymnasiasten, der seinen Geschichtsprofessor als Lästerer von Mohammed enthauptet hat, um einen als Asylant in Frankreich aufgenommenen Tschetschenen gehandelt. Der tunesische Kirchenmörder von Nizza kam überhaupt erst mit dem Migrantenstrom über Italien nach Frankreich. Jener Vermummte hingegen, der in den Gassen der Wiener Altstadt wie wild um sich schoss, gehörte schon der zweiten Generation von Muslimeinwanderern nach Mitteleuropa an und war österreichischer Staatsbürger. Seine Eltern albanischer Herkunft waren noch als „jugoslawische Gastarbeiter“ aus dem heutigen Nord-Mazedonien nach Österreich gekommen.

Das widerlegt die allzu optimistische Theorie, dass Muslime, bei uns europäisiert, einen liberalen „Euroislam“ entwickeln würden. Das Gegenteil ist der Fall: Im Unterschied zu italienischen, portugiesischen, kroatischen und griechischen Einwanderern, die mehrheitlich einen christlich-kulturellen und damit ähnlichen Hintergrund wie die mitteleuropäische Bevölkerung haben, scheinen sich die türkischen, bosnischen, arabischen und albanischen Muslime weniger zu integrieren als vielmehr in Parallelgesellschaften zu organisieren. Dort werden viele von ihnen, und gerade die Jugend, erst richtig islamisiert und radikalisiert.

So hatte auch der erst 20-jährige Kujtim Fejzulai schon einiges auf dem Kerbholz, bevor er seinen islamistischen Amoklauf startete: Noch minderjährig wollte er zunächst nach Afghanistan, dann brach er – wie 90 andere junge österreichische Muslime auch – zur Terrormiliz „Islamischer Staat“ auf, wurde aber an der syrischen Grenze von den Türken abgefangen und nach Österreich zurückgeschickt. Dort verurteilte man ihn zwar wegen versuchtem Beitritt zu einer terroristischen Vereinigung zu 22 Monaten Gefängnis. Justizministerin Alma Zadic, eine bosniakische Muslimin, begnadigte ihn jedoch schon Ende 2019 nach nicht einmal einem Jahr, obwohl das österreichische Recht dies erst nach dem Absitzen von zwei Dritteln der Strafzeit vorsieht. Mit Samthandschuhen wurde Fejzulai weiterhin nach seiner vorzeitigen Enthaftung angefasst: Er erhielt ein Mindesteinkommen, von dem er sich Waffen kaufte, und eine Gemeindewohnung, die er mit einer Eisentür versah und auch sonst zur Festung ausbaute. Einzige Auflage war die Absolvierung eines Entradikalisierungsprogramms, zu dessen Abschluss er seine und des Islam völlige Friedfertigkeit beteuerte.

Die angeblichen Islam-Experten beim privaten, aber staatlich finanzierten Verein „Neustart“ glaubten ihm aufs Wort. Und hatten anscheinend noch nie etwas von dem islamischen Grundsatz „Takija“ gehört: Dieser hält Muslime Andersgläubigen gegenüber zu jeder Verleugnung ihrer wahren Gesinnung und Täuschungsmanövern an, wenn es der Ausbreitung des Islam dient. Hätte man Fejzulai nicht vorzeitig enthaftet und ihn nicht danach statt einer wirksamen Überwachung einer dilettantischen „Entdschihadisierung“ unterzogen, so wären in Wien nicht vier Tote zu beklagen gewesen und über 20 Schwerverletzte ins Spital gekommen …

Der politische Islam bedient sich zur Erreichung seines Ziels von Allahs Weltherrschaft aber nicht nur der Gewalt, sondern auch subtilerer Mittel. Im Anschluss an das Wiederaufflammen des Muslimterrors fand in Österreich eine Razzia bei Mitgliedern der Muslim-Bruderschaft statt. Dieses 1926 in Ägypten von Hassan al-Banna für den Kampf im Untergrund gegen die damaligen britischen Kolonialherren gegründete, bald aber ungeprüft gegen alle Christen und Juden wütende Terrornetz gibt sich heute in Europa nach aussen durchaus friedensgesinnt. Schon Bannas Schwiegersohn Said Ramadan, der die Bruderschaft in die Schweiz brachte, bot sich auf Englisch als ihr wohlgesinnter Freund an, während er auf Arabisch gegen alles Schweizerische und Westliche wetterte. In Österreich wurde nun die Muslim-Brüder-Finanzierung von Anpreisungen eines Scheinislam an den Universitäten aufgedeckt. In der Schweiz fehlt eine solche Untersuchung noch. Wer sich aber manch eine so genannt islamwissenschaftliche Vorlesung anhört, wittert ebensolche Beeinflussung.