In den Parallelgesellschaften europäischer Muslime scheint derzeit hinsichtlich Gewalt Ruhe eingekehrt zu sein. Nach einem ersten Abflauen von Attentaten während der Covidkrise, die eine Eindämmung des öffentlichen Lebens und seine engmaschigere Kontrolle zur Folge hatten, lenkt jetzt die Zuspitzung des Ost-West-Gegensatzes vom langjährigen Ziel einer islamischen Revolution im noch immer christlich geprägten Europa ab.

Heinz Gstrein, Orientalist

Derzeit herrscht bei Islamstrategen die Erwartung, dass sich der Westen und Wladimir Putins postkommunistischer Block gegenseitig bis an den Rand der Vernichtung bekämpfen werden, um dann der Islamisierung wie reife Früchte in den Schoss zu fallen. Gewaltakte von Dschihadisten scheinen daher nicht mehr nötig, wo die „Schmutzarbeit“ demnächst von Moskau und der NATO erledigt sein wird. Tatsächlich ist der mörderische Alleingang des nordmazedonischen Albaners Kujtim Fejzulai durch die Wiener Innenstadt vom 2. November 2020 mit seinen vier Toten und 23 Schwerverletzten vorläufig der letzte dschihadistische Anschlag geblieben.

Wie seitdem aber bekannt wurde, war der „Einzelkämpfer“ von Wien nur die Spitze eines Eisbergs von Islamisten, der seine Fundamente wesentlich in Winterthur hatte. Ohne das sofortige Zugreifen und die minutiöse Untersuchungsarbeit der „Einsatzgruppe Wien“ von der Zürcher Kantonspolizei hätte es in der Schweiz wohl mehrere und weit opferreichere Terrorschläge gegeben; vorbereitet von den „Löwen des Balkans“, eines gewaltbereiten Netzwerks, das sich über die Schweiz, Österreich, Deutschland, Kosovo, Nord-Mazedonien und Albanien erstreckt. Die Ermittler gehen davon aus, dass sich dabei vor allem junge Islamisten vernetzt haben, die mehrheitlich nicht in Syrien oder dem Irak gekämpft haben, aber dennoch der Ideologie des IS anhängen. Es handele sich um eine „neue Generation“ von Dschihadisten, die teils über enge familiäre Verbindungen auf den Balkan verfügen und über Chatgruppen mit dortigen islamistischen Akteuren vernetzt seien, heisst es in Sicherheitskreisen. Radikalislamische Prediger und auch zurückgekehrte Syrien-Kämpfer stünden im Verdacht, das Netzwerk massgeblich zu steuern.

Die „Löwen des Balkans“

Die „Löwen des Balkans“ bekämpfen aber nicht nur „Feinde des Islams“, sondern ebenso „Verräter“, die heute den „Heiligen Krieg“ zur Einnahme Europas nicht mehr ernst nehmen. Diese werden von den „Löwen“ in einem weiten Radius, der von Belgien bis nach Griechenland reicht, bestraft: Nachdem z.B. in Athen am 21. Januar 2022 in der Moschee an der Stefanou-Vyzantiou-Strasse der friedfertige Imam in seiner Freitagspredigt von „unzeitiger Gewalt zur Ausbreitung des Islams“ gesprochen, explodierte am darauffolgenden Tag eine mit Nägeln und Schrauben gefüllte Bombe, welche die Fenster der Moschee zersplitterte.

Abgesehen von solchen Aktionen gegen dschihad-unwillige Muslime und Imame hat sich in Mitteleuropa mit Unterstützung mehrerer Muslimverbände eine „Scharia-Polizei“ etabliert, die angeblichen Spitzeln der Polizeibehörden nachspürt. Es geht um Mitgliedschaft in einer Terrororganisation, Terrorfinanzierung und Geldwäscherei. Die Islamisierung Europas ist längst keine Erfolgsstory mehr, sodass die Drahtzieher auf andere Geschäfte ausweichen: auf Waffen- und Drogenhandel und sogar Moscheeprostitution. Die europäische Polizei hat dagegen schon ein gezieltes Überwachungsnetz aufgebaut. Das kann ohne Informanten nicht auskommen. Ein solcher zu sein, ist aber nicht ungefährlich. Das stellte erst Anfang des Jahres auf einer Bregenzer Polizeiinspektion ein junger Syrer augenfällig unter Beweis: Schwellungen im Gesicht, blaue Flecken und eine verschobene Nase. Sogar das Reden fiel ihm schwer: alles Spuren eines „Besuchs“ der Scharia-Polizei an seinem Schlafplatz. B

isher werden derartige „Bestrafungen“ innerhalb der muslimischen Parallelgesellschaft im Unterschied zu strafbaren Transaktionen mit Schwarzgeld, Rauschgift, Dolchen und Handfeuerwaffen von Behörden und Öffentlichkeit zu wenig beachtet. Das wird aber an der Zeit, wenn sich innerhalb von Muslim-Vierteln nicht ein radikaler Nährboden entwickeln soll.