Vor 380 Gästen haben am 07.11.2014 im „Michel“ – Hamburgs Hauptkirche und Wahrzeichen St. Michaelis – Fachleute und Politiker kompetent die Spannbreite des Unrechts durch Menschenhandel in Deutschland, Europa und weltweit angeklagt. Als Modell wurde das erfolgreiche schwedische Modell von einem Regierungsvertreter vorgestellt.
Pastor Matthias Wolff, Vorsitzender der Evangelischen Allianz in Hamburg und der Initiative „Gemeinsam für Hamburg“, begrüßte die Gäste. Er stellte das Ziel des Kongresses heraus: aufklären, informieren und anstoßen.
Das Impulsreferat hielt der Ethiker und Religionssoziologe Prof. Dr. theol. Dr. phil. Thomas Schirrmacher. Er ist Präsident des Internationalen Rates der International Society for Human Rights und Botschafter für Menschenrechte der Weltweiten Evangelischen Allianz. Schirrmacher machte deutlich, wie brennend notwendig die Maßnahmen gegen den Menschenhandel seien und führte mit unterschiedlichen Beispielen die Behauptung ad absurdum, es gäbe keinen Menschenhandel im Prostitutionsgewerbe – alles sei freiwillig.
Er zeigte auf, wie inbrünstig im ganzen Land diskutiert über Mindestlohn, über Kinderbanden und andere Probleme des Landes wird, wobei der Menschenhandel unerwähnt bleibe. Warum nicht den Mindestlohn in Bordellen durchsetzen, vor allem wenn Sklaven gar nichts von ihrer Arbeit hätten? Und warum nicht erwähnen, dass die osteuropäischen Kinder als Kindersklaven die Einbrüche verüben müssen? Leider fände der Menschenhandel viel zu selten mediale und politische Erwähnung, ein Verbrechen, welches gleich drei strafbare Handlungen vereint: 1.) Entführung, 2.) Folter – körperlich und seelisch, 3.) Vergewaltigung. Schirrmacher vertrat zudem die Auffassung, dass die Männer, die die Dienste von Zwangsprostituierten in Anspruch nehmen, in keiner Weise „Ware gegen Geld“ erhalten, sondern Mittäter bei diesen Verbrechen seien.
Im Anschluss daran stellte Patrik Cederlöf, Nationaler Koordinator gegen Prostitution und Menschenhandel der schwedischen Regierung das schwedische Modell vor, das die EU allen europäischen Ländern zur Nachahmung empfiehlt. In Schweden werden die Freier bestraft und nicht die Zwangsprostituierten. Cederlöf gestand, dass auch er, wie die Mehrheit der Bevölkerung des ganzen Landes, vorher ein Gegner des Gesetzes gewesen sei, welches die Prostitution in Schweden auf ein Minimum reduzierte. Von Haus aus Sozialarbeiter sei er vertraut gewesen mit den Gegebenheiten im Rotlicht-Milieu. Er habe die Schwierigkeiten gesehen und nicht glauben können, dass das durch ein Gesetz zu ändern sei. Heute, nach 15 Jahren, habe sich die Stimmung im ganzen Land geändert. Man unterstütze auf der ganzen Linie die Abschaffung der Prostitution und er selbst sei längst Überzeugungstäter geworden und befürworte die Einführung des Gesetzes. Im Detail schilderte er die vielen Maßnahmen, die ergriffen wurden, und zeigte die Erfolge auf, die deutlich machen, wie sehr Schweden die Zwangsprostitution damit eindämmen konnte. Schweden sei inzwischen kein interessantes Land mehr für Zuhälterbanden und mafiöse Strukturen. Das sei der Hauptgewinn der ganzen Aktion. In Schweden werde heute ein Mann bemitleidet, der es nötig hat, für Sex eine Frau zu kaufen.
Großen Beifall erntete der Kurzbesuch von Ian Karan, Wirtschaftssenator a.D. der Freien und Hansestadt Hamburg, erfolgreicher Unternehmer und Mäzen. Karan wollte ebenfalls Flagge zeigen gegen den Menschenhandel und hatte sich bereits vor Ort ein eigenes Bild von MISSION FREEDOM und dem Home für ehemalige Zwangsprostituierte gemacht.
Nächster Redner war der Theologe und Sozialpädagoge Frank Heinrich. Als Abgeordneter des Deutschen Bundestages engagiert er sich in den Ausschu?ssen für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, sowie Menschenrechte und Humanita?re Hilfe. Er ist Gründer von „Gemeinsam gegen Menschenhandel“ und Mitveranstalter dieses Kongresses.
Heinrich zeigte bei allem Bedarf auf, welche Fortschritte von der Bundesregierung doch schon erreicht worden seien, auch wenn es im Vergleich zu anderen europäischen Ländern eher „Trippelschritte“ seien. Nicht nur die nordischen Länder wie Schweden, Finnland und Norwegen lägen ganz weit vorne bei der Bekämpfung des Menschenhandels. Auch Frankreich, die Niederlande und England hätten kürzlich mit den Gesetzen nachgezogen. Er schilderte deutlich, wie schnell diese Gesetzesänderungen in den Nachbarländern zu einer Verlagerung der Zwangsprostitution nach Deutschland geführt hätten. An der Grenze zu Frankreich entstehe ein Flatrate-Bordell nach dem anderen. Deutschland sei der Puff Europas, Sextourismus in unser Land werde weltweit von Reiseveranstaltern angeboten – wie einst nach Thailand.
Mit Manfred Paulus ergriff ein Referent das Wort, der als Erster Kriminalhauptkommissar aus eigener Erfahrung berichtete, was „da draußen“ los ist. Er war bis zu seiner Pensionierung Leiter einer Kriminalinspektion in Ulm und 25 Jahre im Bereich Rotlicht / Organisierte Kriminalität tätig. Paulus ist Lehrbeauftragter an der Hochschule der Polizei in Baden-Württemberg, sowie in Bildungseinrichtungen des Bundes und der Länder. Er ist involviert in die Handlungsvorschläge für die Bundesregierung und ist seit 15 Jahren in Ost- und Südosteuropa in der Präventionsarbeit tätig. Bekannt wurde Manfred Paulus durch zahlreiche Beiträge in Fernsehen und Rundfunk, durch zahlreiche Veröffentlichungen und durch sein Buch „Menschenhandel – Tatort: Deutschland“.
Paulus zeichnete nicht nur ein düsteres Bild der Situation vor Ort im Rotlicht-Milieu, sondern berichtete auch, dass die ehemals so gefürchtete italienische Mafia längst überrollt worden sei von albanischen Strukturen mit äußerster Brutalität und Menschenverachtung. Er sieht den Haupthandlungsbedarf nicht allein in Deutschland, sondern in den Ländern, aus denen die Frauen in Not nach Deutschland verschleppt werden, oft in dem Glauben, dass sie hier Geld verdienen können.
Durch den Kongress führte Gaby Wentland, erste Vorsitzende von MISSION FREEDOM, der veranstaltenden Organisation in Hamburg, die sich um Zwangsprostituierte kümmert und ihnen Schutz gewährt und einen Neustart in ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht.
Wentland schilderte den Werdegang von MISSION FREEDOM und manch ein persönliches berührendes Erlebnis mit diesen Frauen, die ihr Glück nicht fassen konnten, ihrem Elend entronnen zu sein. „Stellen sie sich vor, es wäre ihre Tochter!“, war ihr eindringlicher Aufruf.
Der Kongress wurde weltweit live übertragen über Gott24 TV. Wiederholungen finden statt am Sonntag, den 23. November um 14 Uhr, sowie am ersten Weihnachtstag, 25.12., ebenfalls um 14 Uhr unter:
http://gott24.tv/