Es wird eng für den Fortbestand von Istanbuls Hagia Sophia als ein für Menschen aus allen Religionen und Völkern offenes Museum. An seiner Stelle werden die ersten Türkeitouristen nach Corona eine Moschee vorfinden. Wie die letzte noch halbwegs unabhängige türkische Zeitung „Hürriyet“ (Freiheit) am 5. Juni 2020 berichtete, hat Präsident Recep Tayyip Erdogan nach jahrelangen Andeutungen jetzt die endgültige Weisung zur Vorbereitung für einen „Statuswechsel“ des Heiligtums gegeben.

Von Heinz Gstrein

Am 2. Juli soll der Oberste Verwaltungsgerichtshof in Ankara über die Rückwandlung der Museumskirche in eine Moschee entscheiden. 73 Prozent der Türken haben sich eben erst bei einer Umfrage dafür ausgesprochen.

Die unter Kaiser Justinian in den 530er-Jahren erbaute Hagia Sophia („Heilige Weisheit“) war die grösste Kirche der Christenheit. Nach der Eroberung Konstantinopels 1453 durch Sultan Mehmet II. machte sie dieser, der sich als Rechtsnachfolger der oströmischen Imperatoren verstand, zu einer „kaiserlichen Moschee“. Das blieb sie unter gleichem, türkisierten Namen „Ayasofya“ bis 1935, als Kemal Atatürk, Vater der modernen Türkei, sie in ein säkulares Museum verwandelte. In diesem wurden alle religiösen Handlungen, islamisch wie christlich, strikt verboten. Die Hagia Sophia sollte Kulturdenkmal für alle sein. Zu diesem Entschluss hatte weitgehend Atatürks Schweizer Freund beigetragen, der Genfer Anthropologe Prof. Eugène Pittard.

Mit der allgemeinen Rückwendung der Türkei zum Islam, die schon in den 1950er-Jahren einsetzte und jetzt unter Erdogan ihren Höhepunkt erreicht, wurde der Ruf nach einer „Re-Moscheeisierung“ immer lauter. 2015 betete zum ersten Mal seit 80 Jahren wieder laut ein islamischer Moscheegeistlicher in dem Museum eine Sure aus dem Koran. Seit 2016 ertönen im Fastenmonat Ramadan alljährlich weithin der islamische Gebetsruf und Koran-Rezitationen über Lautsprecher auf den der Sophienkirche hinzugebauten Minaretten.

Die jetzt drohende volle Rückwandlung des Heiligtums in eine Moschee löst gesamtchristlich grosse Bestürzung aus. Griechenland hat schon offiziell dagegen protestiert. Diese noch eher spärliche internationale Kritik am Plan für eine Ayasofya-Moschee, die wahrscheinlich nicht einmal mehr so heissen wird, hat Präsident Erdogan sofort als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Türkei zurückgewiesen. Als ein Produkt innenpolitischer Spannungen bezeichnet hingegen Istanbuls Bürgermeister Ekrem Imamoglu das derzeitige Hochspielen der Frage einer Re-Moscheeisierung. Imamoglu gehört der oppositionellen Republikanischen Volkspartei (CHP) an, die auf das Erbe von Atatürk eingeschworen ist. Auch der Direktor des Sophienkirchenmuseums von 2005 bis 2012, der angesehene Historiker Ilber Ortayli, fordert Achtung vor Atatürks „historischer Entscheidung“.

Von kirchlicher Seite tritt bisher nur der Aussenamtsleiter im Moskauer Patriarchat, Metropolit Hilarion Alfeev, energisch gegen die neuerliche Degradierung der Hagia Sophia zu einer Moschee auf: Millionen orthodoxer Russinnen und Russen könne es nicht gleichgütig sein, wenn die Kirche, in der 957 ihre „apostelgleiche“ Grossfürstin Olga getauft wurde, wieder wie unter den Sultanen zur Moschee würde. Der Plan Erdogans stelle – so Metropolit Hilarion – eine Gefahr für das friedliche Zusammenleben von Religionen und Völkern dar.

Das griechisch-orthodoxe Patriarchat in Istanbul hat sich offiziell noch nicht zur konkreten Gefahr der „Moscheeisierung“ seiner „Grossen Kirche“ geäussert. Doch rief Patriarch Bartholomaios I. in der Pfingstpredigt den Heiligen Geist „um Schutz und Beistand in heraufziehenden Gefahren“ an. Er tat dies in der orthodoxen Dreifaltigkeitskirche im Stadtteil Beyoglu. Diese beherschte bisher den zentralen Taksim-Platz, wird aber jetzt von einem mächtigen Moscheebau Erdogans überschattet. Gegen diesen und andere „Osmanisierungs“-Projekte hatten sich im Frühsommer 2013 die „Gezi-Proteste“ von Umweltschützern gerichtet. Für den türkischen Machthaber war das damals der Anstoss, seine bis dahin eher liberal-fortschrittliche Herrschaft in ein ausuferndes Unterdrückungssystem zu verwandeln.