Hinter dem Rücken des öffentlichen Bewusstseins ereignet sich derzeit eine Kulturrevolution, die im Begriff ist, die Sozialstruktur der Gesellschaft in ihrem innersten Kern zu verändern. Es geht um die schrittweise Auflösung der Geschlechtsidentität von Mann und Frau, der sexuellen Normen und der sozialen Formen, die sich darauf gründen: Ehe, Familie, Mutterschaft und Vaterschaft.
Der Name dieser Kulturrevolution ist Gender Mainstreaming. Die Gender-Ideologie, die den geschlechtsvariablen Menschen schaffen will, soll durch staatliches Handeln zum „Hauptstrom“ der Gesellschaft werden. Vor der Umdeutung durch den Radikalfeminismus war gender ein grammatikalischer Begriff, der das Geschlecht eines Wortes bezeichnete. Auch sex bedeutet Geschlecht, aber der Begriff ist festgelegt auf die zwei Geschlechter Mann und Frau. Die Gender Perspektive ist ein in sich geschlossenes Glaubenssystem, das behauptet, die Zweigeschlechtlichkeit sei nur eine gesellschaftliche Konstruktion. Die biologischen Unterschiede wären ohne Bedeutung für die Identität des Menschen und seine sexuelle Orientierung. Es gehöre zur Freiheit des Menschen, sein Geschlecht und seine sexuelle Orientierung zu wählen. Nicht zwei Geschlechter gebe es, sondern mindestens sechs: Mann und Frau jeweils in der Ausgabe heterosexuell, homosexuell, bisexuell. Es geht um die Schaffung eines von der Natur „emanzipierten“ neuen Menschen.

„Diktatur des Relativismus“

Der philosophische Hintergrund dieser, die Natur missachtenden, Verdrehung der Wirklichkeit ist der Relativismus. Er leugnet die Erkennbarkeit von objektiver Wahrheit, so dass es keine verbindlichen Massstäbe für gut und böse geben und folglich auch keine Orientierung des staatlichen Handelns am Gemeinwohl geben kann. Papst Benedikt XVI. warnt deswegen vor einer „Diktatur des Relativismus“.

Marx und Engels Utopie einer klassenlosen Gesellschaft, welche die Gleichheit aller Menschen anstrebt, ist eine Wurzel dieser Ideologie. Engels schrieb: „Der erste Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt, fällt zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe und die erste Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche.“ Der französischen Schriftstellerin Simone de Beauvoir genügte es nicht, für die notwendige Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern zu kämpfen, vielmehr negierte sie die Wesensbestimmung von Mann und Frau durch ihr biologisches Geschlecht. Sie setzte den berühmten Satz in die Welt: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ Unserer Zeit ist es vorbehalten, durch social engineering die existentielle, soziale und kulturelle Relevanz der biologischen Geschlechtsidentität zu leugnen und die über Jahrtausende historisch gewachsene Identität von Mann und Frau durch eine kulturelle Top-down-Revolution willkürlich zu zerschlagen.

Ist erst einmal die biologische Geschlechtsidentität von Mann und Frau dekonstruiert, so steht der Dekonstruktion der sozialen Rollen und Institutionen nichts mehr im Wege. Weil kein Bereich der Gesellschaft von den Einflüssen der bipolaren Geschlechtlichkeit frei ist, sind alle Bereiche des sozialen Lebens Zielscheibe der Dekonstruktion: Ehe, Familie, Vaterschaft, Mutterschaft, Erziehung, Sprache, Arbeit, Kultur, Religion. Das nennt sich undoing gender (Konzept der Geschlechtsaufweichung). Auf der 4. Weltfrauenkonfe¬renz in Peking 1995 wurde eine „Aktionsplattform“ verabschiedet, ein so genanntes „soft law“, das zwar völkerrechtlich nicht bindend ist, aber den Weg zum „hard law“ bahnt. Innerhalb der folgenden zehn Jahre wurde sie von 191 Staaten unterzeichnet und in konkrete politische Massnahmen umgesetzt. Ein Ziel ist die 50:50 Gleichheit von Frauen und Männern in allen Berufs- und Lebensbereichen. Frauen sollen 50 Prozent aller Arbeitsplätze bis hin zu den höchsten Ämtern einnehmen, während die Männer 50 Prozent der Säuglings- und Kinderpflege übernehmen sollen. Das berechtigte Anliegen der Chancengleichheit der Geschlechter wird durch eine aufgezwungene faktische Gleichheit gegen die weibliche Identität gewandt.

Ungleiches wird gleich gemacht

Gender richtet sich gegen die Frau, gegen den Mann, gegen das Kind, gegen die Familie, gegen Gott. Die Worte Ehe, Familie, Mutter, Vater, Kinder kommen in der „Aktionsplattform“ nicht vor: Gender zwingt allen Frauen die erwerbstätige, familiär ungebundene Frau als Leitbild auf. Im EU-Vertrag von Amsterdam 1999 (Art. 2 und 3) war von der „Gleichstellung von Frauen und Männern“ und von „der Beseitigung der Ungleichheiten“ die Rede; in der EU-Grundrechtscharta von Nizza im Jahr 2000 (Art. 23) ging es bereits um die Sicherstellung der „Gleichheit von Männern und Frauen“. Wer aber Ungleiches gleich macht, handelt ideologisch und ungerecht.

Am 11. Januar 2006 hat das Europäische Parlament eine „Entschliessung zur Homophobie in Europa“ (B6-0025/2006) verabschiedet. Darin setzt das Europäische Parlament die Homophobie, nämlich die „Aversion gegen Homosexualität und schwule, lesbische, bisexuelle und transsexuelle Menschen“, auf eine Stufe mit Rassismus, Xenophobie und Antisemitismus. Die Sexualität gehört aber, anders als Rasse, Fremdenstatus und Religion, dem moralisch-normativen Bereich an, über den jeder Mensch, soweit es sein Privatleben betrifft, in einer freiheitlichen Gesellschaft selbst entscheiden können muss. In der Entschliessung heisst es: Es seien „sowohl auf EU-Ebene als auch auf der Ebene der Mitgliedstaaten weitere Massnahmen notwendig, um die Homophobie auszumerzen“ durch „äusserst effiziente Ahndung“. Damit wird Widerstand gegen die aktive Homosexualisierung der Gesellschaft kriminalisiert.

Beispielloser Siegeszug

Der Siegeszug des Gender Mainstreaming seit 1995 ist beispiellos. An den meisten Universitäten der westlichen Länder wird Gender-Theorie gelehrt und es werden dafür ständig neue akademische Stellen geschaffen, die so gut wie alle von Frauen besetzt sind. In allen staatlichen Bürokratien und Institutionen gibt es Gender-Beauftragte und Gender-Projekte, in welche grosse Finanzmittel der EU fliessen. Die eigentliche Schlacht wird um die nächste Generation geführt. In diesem Zusammenhang kommt dem Sexualkundeunterricht entscheidende Bedeutung zu: In Wort und Bild werden Kinder schon in der Volksschule durch die offiziellen Lehrpläne zur Frühsexualität in jeder beliebigen Variante animiert und zu Verhütungsexperten ausgebildet – mit Abtreibung als problemloser Option.

Die Gender-Ideologie ist ein Rückfall hinter die Aufklärung mit ihrem Ideal der wissenschaftlichen Rationalität und Wahrheitsverpflichtung. Sie ignoriert die Ergebnisse der Gehirnforschung, Soziologie und Psychologie, welche die unaufhebbare Differenz und Ergänzungsbedürftigkeit von männlichem und weiblichem Geschlecht zeigen. Der ideologische Charakter des Gender Mainstreaming zeigt sich an seinen Widersprüchen: Gender bekämpft die Ehe zwischen Mann und Frau, erhebt aber die homosexuelle Lebensgemeinschaft gesetzlich in den Rang der Ehe. Gender bekämpft die Familie, erzwingt aber das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare. Gender erklärt das Geschlecht und die geschlechtliche Orientierung zu einer Sache der „freien“ Wahl, will aber Informationen und therapeutischen Angebote zur Veränderung homosexueller Neigungen eliminieren.

Gender Mainstreaming ist eine Kulturrevolution mit totalitärem Anspruch, welche die Familienzerstörung und den Aussterbekurs der Gesellschaft weiter vorantreibt. Pater Rupert Mayer, der den Nazis heldenhaft widerstand, sagte: „Der Triumph des Bösen ist das Schweigen der Guten.“ Beten wir und reden wir und kämpfen wir für die Zukunft unserer Kinder.

Buchtipp:
Gabriele Kuby: „Die Gender Revolution – Relativismus in Aktion“, fe-medienverlag, 160 S., Fr. 18.90/€ 9.95

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Von Gabriele Kuby