Heute beginnt die Fussball-Weltmeisterschaft in Brasilien. Die brasilianische Bevölkerung steht dem Turnier zwiespältig gegenüber: Einerseits ist die Freude gross über die WM im eigenen Land, doch wurde sie bereits im Vorfeld durch wütende Demonstrationen gegen Korruption und Misswirtschaft überschattet. Über die geteilten Erwartungen zur Fussball-Weltmeisterschaft berichtet der Direktor der brasilianischen Sektion des Hilfswerks „Kirche in Not“, José Correa, im Interview. Das Gespräch führte André Stiefenhofer.
Herr Correa, wie beurteilen Sie die Stimmung vor der Fussball-WM in Ihrem Land?
Wir Brasilianer sind die geborenen Fussballfans – Fussball wird im ganzen Land gespielt, egal ob in Vereinen, auf Bolzplätzen oder auch oft genug einfach auf der Strasse. Aber unser Land hat natürlich auch noch andere, grundlegendere Bedürfnisse, insbesondere was die Erziehung und das Gesundheitswesen angeht. Unsere Privatschulen sind zwar erstklassig, aber teuer. Daher sind Millionen Brasilianer von den öffentlichen Schulen und Krankenhäusern abhängig, die keinen besonders hohen Qualitätsstandard haben. Besonders in den ärmeren Regionen des Nordens und Nordostens sind die Erziehung und das Gesundheitswesen schlicht furchtbar.
Die gegenwärtige Regierung hat viele Milliarden Euro für den Bau neuer, luxuriöser Stadien ausgegeben und das sogar in Städten wie Brasilia oder Manaus, die solche riesigen und teuren Bauwerke überhaupt nicht benötigen. Es war eine „echte Glanzleistung“ unserer Regierung, die Menschen von Fussballliebhabern in Weltmeisterschaftshasser zu verwandeln. Eine Umfrage hat kürzlich ergeben, dass 41 Prozent der Bevölkerung gegen die Fussball-Weltmeisterschaft in Brasilien sind und sich nur sieben Prozent enthusiastisch darauf freuen. Die anderen freuen sich zwar auf das Turnier, kritisieren aber die Art der Umsetzung.
Gesundheit und Erziehung sind zwei Bereiche, die für die Arbeit der katholischen Kirche in Brasilien entscheidend sind. Geht der Widerstand gegen die Missstände daher auch massgeblich von der Kirche aus?
Eindeutig. Egal wen Sie fragen, ob Bischöfe oder einfache Mitarbeiter in Pfarreien, alle teilen die Bedenken der Bevölkerung. Einige unserer Bischöfe haben sich bereits gegen den Missbrauch öffentlicher Gelder ausgesprochen, wo doch so viele grundlegende soziale Bedürfnisse der Brasilianer noch nicht abgedeckt sind. Die Bischöfe haben darüber hinaus die undurchsichtige Handlungsweise der Regierung angeprangert. Manche Menschen glauben sogar, dass ein Teil des Geldes für die Stadien veruntreut worden ist. Ein Anhaltspunkt dafür ist das berühmte Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro. Dieses Stadion ist 1977 für einige hundert Millionen Brasilianische Reals modernisiert worden. Jetzt, für die Weltmeisterschaft, wurde es erneut modernisiert, allerdings für die unglaubliche Summe von über 1,2 Milliarden Reals, das sind 400 Millionen Euro! Viele in Rio sind wütend, auch diejenigen, die eng mit der Weltmeisterschaft verbunden sind und von ihr profitieren, wie zum Beispiel der berühmte Spieler Ronaldo.
Trotz all dieser Missstände appelliert die Kirche an die Menschen, keine Gewalt anzuwenden. Die Proteste sind gerechtfertigt, solange sie friedlich verlaufen. Die Fussball-Weltmeisterschaft als solche begrüsst die Kirche, weil sie die Menschen zusammenbringt. Viele Pfarreien haben ihre Jugendfreizeiten in früheren WM-Jahren absichtlich in die Turnierzeit gelegt, damit die Spiele gemeinsam erlebt werden konnten. In diesem Jahr ist das anders. Das zeigt die kritische Einstellung der Menschen.
Was erwarten Sie sportlich von der brasilianischen Mannschaft?
Wir richten grosse Erwartungen an unsere Mannschaft. Sogar diejenigen, die gegen die Ausrichtung der WM in Brasilien sind, wünschen sich, dass wir gewinnen. Wir rechnen also damit, dass unser Land bei jedem Spiel mit brasilianischer Beteiligung stillstehen wird – ganz Brasilien hält dann den Atem an. Und wenn unser Team gewinnt, kann man sich den Freudentaumel kaum bunt genug ausmalen, Menschenmassen werden auf den Strassen tanzen und singen. Tausende werden zu unserem Nationalheiligtum pilgern, dem Wallfahrtsort „Unserer Lieben Frau von Aparecida“ und für den himmlischen Beistand danken. Bei früheren gewonnenen Weltmeisterschaften sind die meisten unserer Spieler anschliessend nach Aparecida gepilgert und haben der Muttergottes einen signierten Fussball zu Füssen gelegt.
Wenn man für ein Werk der Weltkirche wie „Kirche in Not“ arbeitet, nimmt man an Fussballspielen doch sicher keinen Anteil, oder?
Wenn die brasilianische Mannschaft spielt, arbeitet niemand in ganz Brasilien – und das Büro von “Kirche in Not” ist da keine Ausnahme! Wir haben vor, die Fussball-Weltmeisterschaft zusammen anzuschauen. Es gibt bei uns die Redewendung „Gott ist Brasilianer“, weil unser Land derart mit Rohstoffen, herrlicher Natur und Frieden gesegnet ist. Nachdem die Argentinier uns nun schon den Papst weggeschnappt haben, wollen wir uns wenigstens den Weltmeistertitel holen!
Welche Reisetipps in Ihrem spirituell reichen Land empfehlen Sie Christen, die zur WM nach Brasilien reisen?
Recht naheliegend, aber dennoch empfehlenswert ist eine Seilbahnfahrt auf den Corcovado in Rio mit der riesigen Christusstatue. Von dort aus hat man einen atemberaubenden Blick auf die Stadt und das Meer. Was nur wenige Touristen wissen: Dieser Ort ist auch ein Wallfahrtsort, an dem jeden Sonntag heilige Messen gefeiert werden. Die Statue selbst ist von einem Katholiken gestiftet worden. Die deutsche Mannschaft wird unter anderem in der geschichtsträchtigen Stadt Salvador spielen, wo man viele schöne Barockkirchen besuchen kann. In Recife, wo die deutsche Mannschaft auch spielen wird, sollte man den Vorort Olinda besuchen. Dort stehen noch viele herrliche alte Kirchen und Häuser aus der Kolonialzeit und man hat eine grossartige Aussicht auf das Meer. Besonders lohnt sich ein Besuch in der dortigen Kirche des heiligen Franziskus. Dort befindet sich ein Meisterwerk des brasilianischen Barock, die sogenannte „goldene Kapelle“. Das franziskanische Erbe Brasiliens ist auch deutsches Erbe, denn die meisten Missionare dieses Ordens kamen aus Deutschland. Wir spüren das heute noch mit Dankbarkeit und sind ebenso allen Freunden von „Kirche in Not“ in Deutschland dankbar, die Hilfsprojekte in Brasilien unterstützen.