„Lohn.Zeit.Respekt“ fordert der schweizerische Gewerkschaftsbund und ruft Frauen dazu auf, am 14. Juni die Arbeit niederzulegen. Soll ich mich am Frauenstreik 2019 beteiligen und, falls ja, mit welcher Begründung? Meine Wut aufs Patriarchat hält sich in Grenzen und ich fühle mich als Frau weitgehend gleichberechtigt und glücklich.

Ein Kommentar von Regula Lehmann

Für mein Empfinden treibt der Feminismus zunehmend schrille Blüten. Mit Aufrufen wie: „Lasst uns unsere Wut laut, kreativ und kraftvoll zum Ausdruck bringen“, werden Frauen aufgefordert, für die „tatsächliche Gleichstellung“ zu kämpfen. Aggressive Sprache und Gestik des Aufrufs zeigen, dass das weibliche Geschlecht auch in Sachen Machtgehabe durchaus mithalten kann. Weibliche Dominanz gegen männliche Unterdrückung? Ich wage zu bezweifeln, dass die Gesellschaft durch solche Aktionen besser wird.

Vielmehr besteht die Gefahr, dass diejenigen, die tatsächlich unterdrückt werden, im Lärm der zunehmend undifferenzierten medialen „Empörungskampagnen“ untergehen. Im krassen Gegensatz dazu können sich die zahlreichen Frauen, die beispielsweise in Menschenhandel und Prostitution gefangen sind, keinen Aufstand leisten! Wo bleibt der Protest gegen die menschenunwürdige Behandlung von Callgirls und Pornodarstellerinnen, die ihren Schmerz mit Unmengen von Drogen betäuben, weil sie ihr Leben sonst schlichtweg nicht aushalten? Statt sich für ihre Würde einzusetzen, wird auch von Frauenseite her immer wieder behauptet, Betroffene leisteten ihre „Dienste“ freiwillig und selbstbestimmt. Ignoranz, Naivität oder bewusstes Verschleiern von Tatsachen? Wer himmelschreiendes Unrecht gegen Frauen bagatellisiert oder zumindest toleriert, sollte erst mal aufwachen und die politische Agenda neu aufsetzen. Undifferenzierte Pauschalverurteilungen und „gutsituierte Jammerattacken“ vermindern die Bereitschaft, die tatsächlichen Probleme anzugehen.

Die deutsche Philosophin und Religionswissenschaftlerin Prof. Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz schreibt treffend: „Was dringlich nottut, ist das Wegkommen von der Klagemauer“. Die grosse Geschichte der jüdisch-christlichen Frauen lasse sich mit jeder „männlichen“ Geschichte vergleichen, führt sie weiter aus und weist darauf hin, dass die Aufrechnung einer fortwährenden Unterdrückung der Frau, mit heutigen Augen gemessen, einen bewusst oder unbewusst desinformativen Zug trage. Selbstmitleid lähme, betont die Universitätsprofessorin und Hochschuldozentin. Dem Beleidigt-Sein und der Wut – die naturgemäss kurzatmig denke – werde nichts gelingen als ein auf die Dauer „langweiliges Ressentiment.“

Der Frauenstreik wird ohne mich stattfinden müssen. Stattdessen werde ich mich – bei meiner Arbeit und in der Freizeit – für die Wertschätzung und den Schutz ALLER Menschen einsetzen. Auch der Männer, deren Nöte, Anliegen und Bedürfnisse zunehmend im Kampflärm der Wutbürgerinnen untergehen. Und übrigens: Auch Männer erleben Ungerechtigkeit. Ob diese ein lohnendes Thema für den Frauen-Streiktag 2020 hergeben würde?