40 Tage dauert die Fastenzeit, in diesem Jahr vom 14. Februar bis zum 31. März, die Sonntage nicht eingerechnet. Viele sehen in diesen 40 Tagen vor allem eine Zeit des Verzichts, beispielsweise auf Schokolade oder Alkohol. Doch das ist zu kurz gedacht. Die 40 Tage stehen sinnbildlich für 40 Jahre. Die nämlich, die das Volk Israel im Alten Testament nach dem Auszug aus der Sklaverei in Ägypten in der Wüste verbracht hat.

Von Ursula Baumgartner

Dass das Volk Israel diese 40 Jahre für eine an sich recht überschaubare Strecke gebraucht hat, liegt übrigens nicht daran, dass es den Weg ins Gelobte Land nicht gefunden hat, weil die GPS-Signale zu schwach waren. Der kanadische Psychotherapeut Jordan Peterson betrachtet das Phänomen aus psychologischer Sicht. Das innerliche Freiwerden von der Erfahrung einer sehr unfreien Situation brauche viel Zeit, sagt er. In diesem Fall gehe es um die Erfahrung der Sklaverei unter dem ägyptischen Pharao.

Sehnsucht nach der Sklaverei?

Immer wieder sehnt sich das Volk Israel zurück nach Ägypten – und sei es nur, weil ihnen das Manna, das sie täglich vom Himmel erhalten, zu eintönig wird. Das eben befreite Volk in der Wüste träumt vom Leben in der Sklaverei, nur weil es dort Fleisch, Gurken und Knoblauch zu essen gab. Dies ist gleichzeitig tragisch und komisch. Doch psychologisch sei auch das nachvollziehbar, sagt Peterson. Das Unbekannte an der Freiheit kann Angst machen. Das Leben in der Sklaverei hat dem gegenüber einen unschlagbaren Vorteil: Es gibt dem Leben eine feste Ordnung, einen Rahmen, etwas, woran man sich orientieren kann. Insofern sei, so Peterson, in der Exodus-Geschichte die Frage offen, „ob die Tyrannei besser ist oder die Wüste“. Es gebe sogar Erfahrungsberichte von ehemaligen Gefangenen, die sich aus diesem Grund ins Straflager zurücksehnen, so unglaublich das auch scheinen mag.

Die Sklaverei im eigenen Leben

Was hat all das mit der Fastenzeit zu tun? Im Leben eines jeden von uns gibt es selbstgewählte Unfreiheiten. Dies können beispielsweise schlechte Gewohnheiten sein: ungesunde Ernährung und Bettgehzeiten, Bequemlichkeit, Unachtsamkeit gegenüber den Mitmenschen, verschwendete Zeit, zu viel Medienkonsum. Die Fastenzeit kann einen Anreiz darstellen, aus dieser Sklaverei der Gewohnheiten auszubrechen. Doch Achtung: Nach der Sklaverei muss zunächst die Wüste durchschritten werden. Man darf sich also nicht wundern, wenn man sich spätestens in Woche zwei nach dem gewohnten Handykonsum sehnt.

Daher sollte man sich in der Fastenzeit nicht lediglich einen Verzicht auferlegen. Besser wäre es, den entstehenden „Hohlraum“ von vorneherein mit etwas Positivem zu füllen. Will man also, um beim Beispiel Handy zu bleiben, die Zeit am Bildschirm effizient reduzieren, kann man die gewonnene Zeit nutzen, um Freunde anzurufen oder zu treffen, ein fesselndes Buch zu lesen oder ein entspannendes Bad zu nehmen.

So gewinnt letztlich die „Wüste“ klar gegenüber der Tyrannei – denn sie führt zur inneren Freiheit statt zurück in die Sklaverei.