Unter dem Titel „Cyber-Jihad – Ziele, Dimensionen, Strukturen und Bekämpfung einer globalen Herausforderung“ lud die Hanns-Seidel-Stiftung in Kooperation mit dem Zentralrat Orientalischer Christen in Deutschland zu einer internationalen Expertentagung in das bayerische Wildbad Kreuth. In seinem Eröffnungsvortrag vor zahlreichen Repräsentanten aus Politik, Wirtschaft, Militär und Wissenschaft analysierte Prof. Dr. Thomas Schirrmacher den engen Zusammenhang von Cyber-Kriegführung und der realen Verfolgung von Christen und anderen religiösen Minderheiten im Nahen Osten: „Die Unterdrückung religiöser Minderheiten gehört zur DNA fundamentalistischer Bewegungen und ist deswegen immer auch Teil des Cyber-Jihad.“ Unter Verweis auf das erklärte Ziel der Terrororganisation „Islamischer Staat“, alle Christen und Nicht-Sunniten aus deren Stammlanden im Nahen Osten vertreiben zu wollen, appellierte der Direktor des Internationalen Instituts für Religionsfreiheit und Präsident der International Society of Human Rights: „Nehmt die Ideologie der Fundamentalisten inhaltlich ernst und denkt nicht, dass sich die Ziele sowieso nicht verwirklichen lassen.“
Schon in den 1930er Jahren hätten zahlreiche Zeitgenossen die seit langem bekannten Ziele Hitlers, wie die Vernichtung der europäischen Juden oder die Niederwerfung der Sowjetunion, völlig unterschätzt und als unrealisierbar abgetan. „Ideen haben Konsequenzen“, so Schirrmachers eindringliche Mahnung. In den 1920er Jahren seien die ideologischen Grundlagen des modernen Islamismus durch den pakistanischen Gelehrten Maududi und die ägyptischen Muslimbrüder gelegt worden, stets unter Rückgriff auf eine vermeintlich glorreiche Vergangenheit (die Einheit von Staat und Religion unter dem Propheten Mohammed) und gegen das Feindbild religiöser Minderheiten (alle Nicht-Muslime) gerichtet. Schirrmacher machte deutlich, dass der islamistische Extremismus dennoch nicht bloß als ewiggestrig und antimodern verstanden werden dürfe: „Fundamentalistische Bewegungen greifen ideologisch oft auf Altes zurück, sind selbst aber weniger als 100 Jahre alt und daher Kinder der Moderne, und nutzen modernste Technik und Psychologie zur Erreichung ihrer Ziele“, so Schirrmacher.
Im Sowjetisch-Afghanischen Krieg (1979-1989) hätten die selbsternannten Gotteskrieger das Medium der VHS-Kassette für Ihre Propaganda entdeckt, seien ab Ende der 1990er Jahre auf das Internet umgestiegen und nutzten in der Gegenwart des Web 2.0 die sozialen Medien Facebook, YouTube, Twitter und Co. Auf diese Weise könnten die Terroristen in kürzester Zeit, mit geringem Kostenaufwand und globaler Reichweite viele Millionen vornehmlich jungen Menschen erreichen, um Radikalisierung, Rekrutierung und Fundraising für den weltweiten Jihad zu betreiben. Vor dem Hintergrund der hoch professionellen Propaganda-Videos des „Islamischen Staates“ sowie der jüngsten Hacker-Angriffe auf den französischen Sender TV5 Monde resümierte Schirrmacher, dass der Cyber-Jihad „in Bezug auf Technik und Werbepsychologie das Beste vom Besten“ darstelle. Um dieser wachsenden Bedrohung wirksam begegnen zu können, so der abschließende Appell an die Politik, müsse „deutlich mehr Geld und Personal in die Cyber-Bekämpfung terroristischer Bewegungen investiert werden.“
Schirrmachers Forderung fand unter den Tagungsteilnehmern breite Zustimmung. Daran anknüpfend führte Arne Schönbohm, Präsident des Cyber-Sicherheitsrates Deutschland e. V., die Beispiele USA, Israel und Großbritannien an – Staaten, die ein Vielfaches an Mitteln für die Cyber-Abwehr bereitstellten und auf diesem Gebiet die Speerspitze der westlichen Welt bildeten. Dahingegen, so Schönbohm, sei Deutschland nur „bedingt abwehrbereit“. Seine Empfehlung an die politisch Verantwortlichen lautete: „Weniger reden, mehr machen!“ Auch Generalleutnant Peter Schelzig, der Stellvertretende Generalinspekteurs der Bundeswehr stimmte der Analyse zu, auch wenn er darauf verwies, dass der Selbstschutz der Bundeswehr besser da stehe, als die Abwehrbereitschaft der BRD als solcher.
Als ernüchterndes Resümee der Tagung und gleichzeitiger Weckruf an die Politik konnten die Worte des Vorsitzenden des Zentralrats Orientalischer Christen in Deutschland, Simon Jacob, gelten: „Wir in Europa sind derzeit nicht ausreichend auf die Herausforderung des Cyber-Jihad vorbereitet.“
(Quelle: BQ 355 – Nr. 19/2015)