Seine Begegnung mit dem Papst am 5. Februar 2018 im Vatikan hat den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nach Informationen aus seiner Umgebung „tief beeindruckt“. Franziskus nahm sich für das vertrauliche Gespräch „Kopf an Kopf“ – wie es türkisch bezeichnet wurde – mit dem umstrittenen Machthaber von Ankara fast das Dreifache der vorgesehenen Audienzzeit.

Von Heinz Gstrein

Offizielle Reaktionen aus der Türkei dürften länger auf sich warten lassen. Jedenfalls geht durch erste Agentur-, Fernseh- und Zeitungsberichte sowie -kommentare aus Ankara hervor, dass Erdogans Erwartungen auf weitgehenden päpstlichen Segen für seine Politik im Allgemeinen und die Jerusalemfrage im Besonderen weitgehend enttäuscht wurden. Der Präsident habe bei Franziskus kein leichtes Spiel gehabt, dieser habe ihm jedoch Wege für eine künftige Annäherung und Zusammenarbeit aufgezeigt. So hellte sich auch die anfänglich „zurückhaltende“ Atmosphäre der Aussprache in der vatikanischen Bibliothek zunehmend auf.

Als 1959 unter Johannes XXIII. als letztes türkisches Staatsoberhaupt Celal Bayar seinen Fuss in den Vatikan setzte, waren die Voraussetzungen kaum besser. Bei dem Präsidenten handelte es sich in seiner Frühzeit um einen persönlichen Verfolger armenischer und griechisch-orthodoxer Christen. 1955 trug er an der Spitze erneut Mitverantwortung für das Istanbuler Septemberpogrom in den christlichen und jüdischen Vierteln. Papst Roncalli empfing Bayar überhaupt nur aus alter Wertschätzung für eine Türkei, wo er in den 1930er-Jahren Apostolischer Delegat gewesen war. Doch im Jahr darauf konnte sich das Ergebnis sehen lassen: 1960 wurden erstmals in der Geschichte von Osmanischem Reich und Türkischer Republik volle diplomatische Beziehungen zum Vatikan aufgenommen.

Tauwetter zwischen Erdogan und Franziskus?

Wenigstens Spätwirkungen erhoffen sich jetzt Beobachter in Istanbul von diesem zunächst frostigen Tauwetter zwischen Erdogan und Franziskus. Dabei dürfte es in machtpolitischen und militärischen Angelegenheiten – vor allem bei der Kurdenfrage und hinsichtlich der Lage in Syrien – zu keiner Verständigung gekommen sein. Der Friedensengel, den der Papst zum Abschluss an den akuten türkischen Kriegsherren von Afrin überreichte, sollte für diesen keine Belohnung, sondern ernste Mahnung sein …

Franziskus lag im Angesicht von Erdogan sichtlich und sicher nicht nur die katholische Kirche in der Türkei am Herzen, sondern auch die anderen Christen – und Juden. Diese sahen sich in jüngster Zeit unverblümtem Druck ausgesetzt, Unterstützungserklärungen für den türkischen Militäreinsatz gegen die syrischen Kurden abzugeben. An ihrer Spitze sogar der ökumenisch und als „Umweltapostel“ so profilierte orthodoxe Patriarch in Istanbul, Bartholomaios I. Er und Franziskus sind aber engste Freunde. Wenn Informationen des „National Herold“ in New York stimmen, wurde dem ökumenischen Patriarchen sogar mit Schliessung seines Kirchenzentrums im Phanar von Istanbul gedroht, ja ihm selbst mit Ermordung durch den türkischen Geheimdienst MIT, falls er sich nicht zur Segnung von Erdogans Waffen in Afrin breitschlagen lasse. Jetzt soll Franziskus dem selbstherrlichen Machthaber aus Ankara unmissverständlich klargemacht haben, wie sehr ihm die Sicherheit und Freiheit von Bartholomaios am Herzen liegt. Immerhin haben seit Paul VI. mit ihm selbst in über 50 Jahren vier Päpste die Türkei in erster Linie nur wegen des ökumenischen Patriarchats besucht!

Ins Gewissen geredet

Auch die wachsende Not der Menschen im jüngsten nordsyrischen Kriegsgebiet der Türkei stand Franziskus ins Gesicht geschrieben, als er fast eine Stunde lang Erdogan ins Gewissen redete. Unter ihnen neben Kurden recht zahlreiche alteingesessene aramäische Christen und ebenso evangelische Neubekehrte. In Hilferufen von Gemeinden aus Afrin wird schon über christenfeindliche Übergriffe geklagt. Nicht von regulären türkischen Truppen, sondern durch Dschihadisten in den Reihen von Ankaras syrischen Freischaren. Derart irreguläre „Renner und Brenner“ waren schon immer der eigentliche Schrecken rund um die Türkenheere …