Seit Jahrhunderten ist Frankreich das Epizentrum geistiger Erdbeben, durch die sich die intellektuelle, psychische und soziale Tektonik des europäischen Kontinents verschiebt. So war es zur Zeit der Aufklärung im 18. Jahrhundert, so war es im Mai 1968 und so ist es heute wieder in Zeiten einer neuen Völkerwanderung nach Europa. Die schmerzlichen Erfahrungen Frankreichs mit der postkolonialen Immigration und der gescheiterten Integration vieler junger Muslime sind ein abschreckendes Beispiel für die Staaten Mittelosteuropas, die sich gegen die von Berlin und Brüssel geforderte Aufnahme muslimischer Einwanderer wehren. Die deutsche „Willkommenskultur“ stösst nun nicht nur bei den vermeintlich rückständigen Nachbarn im Osten, sondern zunehmend auch in Frankreich auf Ablehnung (1).
Über die Terrorismusproblematik hinaus werden in Frankreich Folgeprobleme der Immigration immer sichtbarer: Von einem „grand remplacement“ sprechen inzwischen auch bürgerliche Politiker. Nicht nur die berüchtigten „Banlieus“ der Grossstädte, sondern zunehmend auch kleine Provinzstädte werden von muslimischen Migranten geprägt, während der Anteil der autochthonen Bevölkerung schwindet. Man zieht weg.

Ähnlich wie in Frankreich verläuft die Entwicklung auch in (West)Deutschland, wo sich vor allem im Umfeld der Ballungsräume an Ruhr, Rhein, Main und Neckar die ethnisch-kulturelle Bevölkerungsstruktur auch in den kleineren Städten verändert; ein längerfristiger Prozess, der sich mit der neuen Einwanderungswelle rapide beschleunigt. Ursächlich für diesen Wandel ist nicht allein die Zuwanderung, sondern auch die Fertilität der zugewanderten Bevölkerung. Die Tatsache der höheren Kinderzahlen von Migranten wird oft bagatellisiert durch den Verweis darauf, dass die Zuwanderer ihr Geburtenverhalten der einheimischen Bevölkerung anpassen würden. Das ist zwar nicht falsch, denn längerfristig sinkt die Fertilität von Migranten tatsächlich. Aber solche Anpassungsprozesse dauern und markante Unterschiede bleiben, wie neue Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen: Demnach ist die zusammengefasste Geburtenziffer der Ausländerinnen zwischen 1991 und 2013 von 2,04 auf 1,80 Kinder je Frau gesunken, liegt aber noch deutlich höher als die der deutschen Staatsangehörigen (ca. 1,35 Kinder je Frau) (2).

Zur Fertilität der deutschen Staatsbürger tragen auch eingebürgerte Zuwanderer bei, insbesondere „Türkeistämmige“, die mehr Kinder haben als Deutsche ohne Migrationshintergrund. Während nur ca. 14 Prozent der deutschen Frauen ohne Migrationshintergrund drei oder mehr Kinder haben, liegt dieser Anteil bei den Deutschen mit Migrationshintergrund bei ca. 23% und bei den Ausländern bei knapp 27%. Gleichzeitig ist Kinderlosigkeit bei Zuwanderern seltener (3). Als Folge davon ist ihr Anteil am „Familiensektor“ der Gesellschaft deutlich höher als ihr Bevölkerungsanteil von ca. 20%: Fast jede dritte Familie in Deutschland hat einen sog. Migrationshintergrund (4). Noch grösser ist der Anteil der Kinder unter sechs Jahren mit Migrationshintergrund (ca. 35%) (5). Besonders gross ist dieser Anteil in Ballungszentren: In der Region Stuttgart liegt er bei ca. 50% und in Frankfurt am Main sogar bei 75% (6).

Die weite Definition von „Migrationshintergrund“ in der amtlichen Statistik bringt es mit sich, dass auch Kinder aus Aussiedlerfamilien und binationalen Ehen dazu zählen. Exemplarisch für diese Gruppe sind junge Menschen russlanddeutscher Herkunft, die sich – entgegen früheren Befürchtungen gut integriert haben, die im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich sind. Deutlich anders stellt sich die Lage von Zuwanderern aus dem Nahen und Mittleren Osten dar, die auch in der zweiten und dritten Generation im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt zurückbleiben. Zeigt sich hier der Unterschied zwischen den religiös geprägten Kulturen?

Dass eine Massenmigration aus dem islamisch geprägten Nahen und Mittleren Osten als grosse „Chance“ für Deutschland gefeiert wurde, gehört jedenfalls zu den Rätseln der „Willkommenskultur“ (7). Die Protagonisten der Willkommenskultur sind befangen in einem erstaunlichen Glauben an Betreuungs- und Bildungsinstitutionen – Integration scheint für sie nur eine Frage von mehr Kindertagesstätten und Ganztagsschulen zu sein. Die gibt es in Frankreich aber seit Jahrzehnten zur Genüge, dennoch läuft es mit der Integration dort keineswegs rund. Warum, das wird jetzt in Frankreich auch diskutiert und man kann nur hoffen, dass die Meinungsführer hierzulande sich dieser auch bei uns notwendigen Diskussion nicht verweigern. In Frankreich ist die Zeit der Träume vorerst jedenfalls vorbei.

Quelle: IDAF-Newsletter 19 / 2015
(Institut für Demographie, Allgemeinwohl und Familie, Deutschland)
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(1) Vgl. Jürgen Liminski, Der Waffenstillstand ist vorbei, Flensburger Tageblatt vom 16.11.2015, www.liminski.de/Aktuelles

(2) Vgl.: Statistisches Bundesamt: Geburtenziffer 2013 bei 1,42 Kindern je Frau, Pressemitteilung Nr. 409 vom 06.11.2015, https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2015/11/PD15_409_126.html;jsessionid=C58D94A14C13B1C433A6F101B7D26440.cae4.

(3) Vgl.: Kinderzahlen nach (Migrations-)Herkunft (Abbildung). Damit verbunden sind deutlich traditionellere Lebensformen von Migranten: Lebensformen der Bevölkerung Deutschlands (Abbildung).

(4) Vgl.: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Familienreport 2014. Leistungen, Wirkungen, Trends, Berlin 2015, S. 16.

(5) Vgl.: Statistisches Bundesamt: Bevölkerung nach Migrationsstatus regional 2011, Wiesbaden 2013.

(6) Vgl. ebd. Eingehender dargestellt finden sich diese Befunde in einem (unveröffentlichten) Gutachten von Stefan Fuchs für das Bundesfamilienministerium.

(7) Eingehender hierzu: Zuwanderung: Das Wunschdenken scheitert an der Wirklichkeit, Nachricht der Woche, 2015/17 vom 07.10.2015, http://www.i-daf.org/aktuelles/aktuelles-einzelansicht/archiv/2015/10/07/artikel/zuwanderung-das-wunschdenken-scheitert-an-der-wirklichkeit.html.

Von Jürgen Liminski