In diesem Jahr hätte Maria Bernarda Bütler ihren 175. Geburtstag gefeiert. Obwohl sie Grosses in ihrem Leben getan hat, ist sie in der Schweiz bis heute kaum bekannt. Wer war diese Frau, die als „Mutter Teresa der Schweiz“ bezeichnet werden kann?

Von Ralph Studer

Maria Bernarda Bütler wurde am 28. Mai 1848 in Auw geboren, einem kleinen Bauerndorf im aargauischen Freiamt. Sie war das vierte von acht Kindern einfacher Bauersleute und wurde noch am gleichen Tag auf den Namen Verena getauft.

Starker Charakter

Als Mädchen war sie ein „Wildfang“ mit heiterem Gemüt, das sich am liebsten draussen im Freien aufhielt und zu allerlei Spässen aufgelegt war. Rückblickend auf ihre Kindheit schreibt Maria Bernarda: „Von kindlichen Tagen an suchte ich immer und immer das Freie, die ländliche Naturwelt, und nur da fühlte ich mich geistlich und körperlich wohl. Das Schulzimmer, die Wohnstube waren für mich ein Gefängnis.“ In ihren späteren Jugendjahren wird sie als physisch gesunde junge Frau mit einem ausgeglichenen und starken Charakter beschrieben.

Lebensverändernde Entscheidung

Mit 19 Jahren veränderte sich ihr Leben tiefgreifend: Sie trat ins Kapuzinerinnenkloster „Maria Hilf“ in Altstätten/SG ein. Bereits mit 32 Jahren wurde sie Oberin des Klosters. Dieses erlebte unter ihrer Führung eine Reform und blühte auf. Unter ihrer Leitung arbeitete man mit Erfolg an der Erneuerung des franziskanischen Lebensstils und der Restaurierung sowie Verbesserung des Klosters.

Equador – eine neue Aufgabe

Maria Bernarda blieb Oberin in Altstätten, bis sie im Jahr 1888 für immer die Schweiz verliess und mit sechs Schwestern nach Südamerika reiste. Ihr Leben stand fortan im Dienst der Menschen, indem sie die Leiden der Armen, Kranken und der Ausgegrenzten zu lindern versuchte. Ihre Missionsarbeit begann in Chone/Equador, wo sie mit den Schwestern in einfachsten Verhältnissen lebte. Auch wenn Maria Bernarda viele Rückschläge erlitt, verlor sie nie den Mut. Ihr Biograph Beda Meyer berichtet: „Niemand besass eine solche Fülle ungezwungener Fröhlichkeit und fast ununterbrochener Herzensfreude wie Mutter Bernarda.“  Die neuen Lebensverhältnisse, die Entfernung, die pastorale Arbeit und die persönliche Situation verlangten einen neuen Lebensstil, der den missionarischen Notwendigkeiten angepasst war. So gründete Maria Bernarda die „Kongregation der Franziskaner Missionsschwestern von Maria Hilf“. Die Menschen nannten die Schwestern „Madres“, holten sich Rat und Hilfe in familiären Problemen und kamen zu ihnen in geistigen und materiellen Nöten. Die Schwestern widmeten sich zudem der Ausbildung der Mädchen, der Pflege der Kranken, der Katechese und der Sozialhilfe.

Auf der Flucht

In Equador verbrachte Maria Bernarda sieben Jahre, bis dort 1895 eine antikirchliche Revolution ausbrach und die Schwestern nach Cartagena/Kolumbien fliehen mussten. Auch hier lebten die Schwestern in Armut, Einfachheit und nur mit dem unumgänglich Notwendigen. In der ersten Zeit erhielten sie Lebensmittel als Almosen. Später boten die Schwestern Handarbeitskurse an, besorgten für verschiedene Pfarreien die Wäsche und backten Hostien für die Kirchen der Stadt. Damit verdienten sie ihren kargen Lebensunterhalt. Daneben studierten sie die spanische Sprache und andere Fächer, um die Kinder unterrichten zu können. Mehrere Gründungen von Schulen in ärmeren Regionen folgten. Auch in dieser Zeit widmete sich Maria Bernarda den Kranken, vor allem den Ärmsten und Schwierigsten und erbat für sie Almosen.

Unvergessliches Begräbnis

Im Jahr 1920 legte sie das Amt der Oberin ab und übergab es ihrer Nachfolgerin. Inzwischen war die Kongregation gewachsen und breitete sich in Kolumbien, Brasilien und Europa aus. Auch wenn ihre letzten Jahre immer mehr von Krankheit und Leiden gezeichnet waren, „sah ich sie niemals ungeduldig, ja, nicht einmal gereizt“, sagte eine Schwester, die ihr nahestand. „Trotz ihrem Leid war sie immer friedlich, niemals niedergeschlagen und hatte einen guten Humor (…), gelegentlich konnte sie sogar Witze machen“, so die Aussagen über Maria Bernarda.

Als Maria Bernarda am 19. Mai 1924 starb, strömten ganze Scharen von Menschen zusammen. „Das Begräbnis wurde“, so Meyer, „zu einem eigentlichen ‚Triumphzugʻ.“ Angesehene Männer trugen den Sarg durch die Strassen. Ihm folgten der Erzbischof mit seinen Priestern, Stadt- und Schulbehörden und herbeigeeilte Schwestern aus anderen Ordensniederlassungen – eine unübersehbare Volksmenge schloss sich an. Die ganze Stadt nahm Anteil am Tod dieser aussergewöhnlichen Frau.

Eine „Mutter Teresa der Schweiz“ 

Ihre schriftlichen Ausführungen, die sie hinterliess, sind keine „Tagebucheinträge“ im eigentlichen Sinne, die an einem bestimmten Tag einsetzen und dann fortlaufend stattfinden. Vielmehr beziehen sie sich auf konkrete Lebenssituationen. Insgesamt über 2000 handschriftliche Briefe sind von ihr überliefert. In diesen ermutigt sie ihre Mitschwestern und gibt ihnen Ratschläge für ihr eigenes Glaubensleben.

Ihr äusserer Weg als Missionarin und Ordensgründerin ist beeindruckend. Wie Niklaus von Flüe ist auch Maria Bernarda nur vor dem Hintergrund ihres Glaubens und ihrer Gotteserfahrung zu verstehen, denn ihr Handeln entsprang ihrer Mystik. Maria Bernardas Herz schlug immer für die Armen, für die Kinder, für die Menschen am Rande. Man wird hier unweigerlich an Mutter Teresa erinnert, wenn Maria Bernarda ihre Mitschwestern mahnt: „Im Kranken sollten wir nicht nur den Menschen sehen, sondern in ihm Gott selbst dienen (…). Die armen Kranken und armen Kinder müssen allzeit den Vorzug haben.“

Orientierung für unsere Zeit 

Gerade für unsere orientierungslos gewordene Zeit bietet Maria Bernardas Leben Halt und Hilfe. Sie suchte nicht sich, sondern versuchte Gott und den Menschen auf vielfache Art zu dienen. Hingabe und Liebe zeichneten ihr Leben aus, die Sehnsucht, aus ihrem Leben „etwas Schönes“ zu machen. Maria Bernarda gibt uns damit wertvolle Hinweise, wenn es um die entscheidenden Fragen nach dem Sinn, dem Weg und dem Ziel des menschlichen Lebens geht. Sie zeigt uns auch, wie der Autor Urs Keusch schreibt, „wie man Hindernisse, Widerstand, Müdigkeit, Resignation überwindet, wie man den besseren Menschen aus sich herausarbeitet und was es heisst, in dieser Welt die Menschen [und] die Schöpfung zu lieben.“