„Aarau: Mongolischer Staatspräsident lässt sich Demokratie erklären“. So konnte man im Internet, auf der Homepage der Aargauer Zeitung, am 25. Januar 2011 lesen. Am Abend zuvor wurde in der Tageschau auf SF 1 darüber berichtet. Doch während sich Asien für das Schweizer Demokratiemodell als Vorbild für das eigene Land interessiert, wirken die zentralistischen Kräfte der EU vehement am Abbau dieses lang und hart erkämpften föderalistischen Demokratiemodells der Schweiz mit.
Mit einem Lächeln wurde in der Berichterstattung der Tagesschau erwähnt, dass seit 1803 kein Staatsoberhaupt mehr in Aarau war. 1803 kam nämlich Napoleon in Aarau vorbei, wobei man ihn nicht als Staatsoberhaupt sehen kann. Er war ein Diktator. Die Helvetische Revolution von 1798 war schon 1802 an ihrem sturen Zentralismus gescheitert und im Chaos eines Bürgerkriegs untergegangen. In diesem Moment griff der französische Militärdiktator und spätere Kaiser Napoleon Bonaparte ein, verlangte das sofortige Ende des Bürgerkriegs und rief Delegationen der Revolutionäre wie der Reaktionäre (Anhänger der alten Ordnung) zu Verhandlungen nach Paris. Im Oktober 1802 kamen erneut französische Truppen in die Schweiz und entwaffneten die Aufständischen in der Zentralschweiz. Napoleon hatte sich allerdings schon früher mit der Situation in der Schweiz vertraut gemacht und begriff deshalb, dass der zentralistische Einheitsstaat in der Schweiz angesichts der grossen sprachlichen, kulturellen und religiösen Unterschiede und Gegensätze keine Chance hatte. Deshalb legte er einen föderalistischen (bundesstaatlichen) Verfassungsentwurf vor.

Die gängige Bezeichnung Mediation (Vermittlung) beschreibt die Rolle Napoleons allerdings kaum zutreffend, wenn auch Napoleon selbst sich gerne als Vermittler darstellte. In Wirklichkeit war die als Mediationsakte betitelte neue Verfassung für die Schweiz weitest gehend ein Diktat Napoleons. Die Mediationsakte gab den grössten Teil der staatlichen Kompetenzen an die 19 Kantone der neuen Eidgenossenschaft ab und eliminierte sowohl das nationale Parlament als auch die Zentralregierung. Die Tagsatzung als nichtständige Konferenz der Kantone wurde wieder eingeführt. Einzig die Aussenpolitik sollte dem Bund vorbehalten bleiben. In den Jahren zwischen 1789 und 1848 gab es in der Schweiz viele Konflikte, ja kriegerische Auseinandersetzungen. Kurz sei auf den Wiener Kongress von 1815 (immerwährende, bewaffnete Neutralität der Schweiz) verwiesen und schliesslich auf das Jahr 1848. In jenem Jahr kam es in der Schweiz vom Staatenbund zum Bundesstaat. Nochmals gab es Zerreisproben, hinsichtlich der Verfassung, zwischen zentralistischen und föderalistischen Kräften. Erst 1874 wurde die neue Bundesverfassung durch das Volk angenommen. Es benötigte noch einige Zeit, bis die Schweiz zu dem wurde, was sie heute als föderalistisches Demokratiemodell darstellt, z.B. für den mongolischen Staatsbesuch.

Reformierter Glaube und Politik

Während einer Weiterbildung im Jahr 2009 über den Reformator Johannes Calvin hatte ich die Chance, einem Professor aus China, Aiming Wang, an der Universität Basel zuzuhören. Er ist der Überzeugung, dass der reformierte Protestantismus, insbesondere Johannes Calvins Lehre, eine grosse Chance und Notwendigkeit für China darstellt. Denn die Entwicklung der Demokratie als Staatsform in der Welt hat ihren Ursprung vor allem in Genf, bei Calvins Lehre, im Calvinismus. Dank des reformierten Glaubens hat sich die Demokratie weltweit ausgebreitet und ausdifferenziert. Reformierter Glaube und Politik hängen somit zusammen.

Druck aus Brüssel auf die Schweiz

Weiter hiess es auf der Homepage der Aargauer Zeitung: „Der mongolische Staatspräsident Tsachiagiin Elbegdordj kam am Montag für einen Staatsbesuch im Aargau an. Erste Station war das Grossratsgebäude in Aarau, wo dem Präsident und seiner 40-köpfigen Delegation die Schweizer Demokratie erläutert wurde.“ Darüber kann man sich nur freuen, eine Ehre für Aarau, für die Schweiz! Schön und gut, aber wird unsere direkte Demokratie nicht von aussen vernichtet? Denn, und das ist weniger erfreulich, die EU zwingt uns mehr und mehr in die Knie. Die zentralistischen Tendenzen und Strukturen der EU sind unübersehbar. Hitler wollte ein 1000-jähriges Reich mit Waffengewalt errichten, ein Europa bauen und beherrschen. In Bezug auf die Schweiz hiess die Devise: „Die Schweiz, das kleine Stachelschwein, das nehm’n wir auf dem Rückweg ein“. Heute wird zum Glück ohne Waffengewalt an einem Europa geschmiedet.
Doch wollen wir dieses Europa, diese zentralistische EU?

Das Schweizer Staatsmodell, die „direkte Demokratie“, wird von den Schweizern geschätzt und von vielen Europäern ersehnt. Dem ungeachtet wird die Schweiz zunehmend in vielen Bereichen unter Druck gesetzt, mehr und mehr von Brüssel „umzingelt“ und „eingeschnürt“. Kürzlich verlangte der Präsident der Finanzdirektorenkonferenz, Christian Wanner, Ständerat des Kantons Solothurn, mehr „Härte“ gegenüber der EU.

Demokratisches Europa?

Es gibt verschiedene Formen von Demokratie, zum Beispiel die parlamentarische Demokratie. Bei uns in der Schweiz gehört zur direkten Demokratie der Föderalismus, das Gegenteil ist der Zentralismus. Es ist kaum zu bestreiten, dass der Zentralismus die Freiheit und die soziale Gerechtigkeit schwächt, der Föderalismus die Freiheit und die soziale Gerechtigkeit stärkt und fördert. Föderalismus nimmt Minderheiten ernst und schafft Ausgleich der Regionen innerhalb eines Staates, ohne totale Einnivellierung. Darum haben wir das Zwei-Kammer- System. Hans Vorländer, Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Technischen Universität Dresden, hegt die Ansicht, dass es kaum möglich ist, einen Vielvölkerstaat wie Europa föderalistisch, demokratisch zu organisieren. Demnach bleibt nur der Zentralismus übrig! Genau das wollen viele Europäer nicht. Ich bin überzeugt, falls in jedem EU-Land das Volk abstimmen könnte, die meisten mit „Nein“ gegen die EU stimmen würden. Darum wäre sich ein Wahlspruch auch ausserhalb der Schweiz zu überlegen, ganz nach dem Motto: „EU-Gegner aller EU-Länder vereinigt euch!“

Mag sein, dass ein „Europäischer Wirtschaftsraum“, ein „EWR“, nach wie vor sinnvoll sein könnte. Dadurch wären jedoch die Währungskrise und weitere Krisen des Euro nicht einfach gelöst. Solidarität tönt schön, aber Solidarität auf Kosten von anderen Ländern zu leben, zu erzwingen, ist kein christlicher Gedanke. 800 Milliarden Euro sollen nötig sein, solche EU-Mitgliedstaaten vor dem Staatsbankrott zu retten. Wer bezahlt dies? Die Verträge von Maastricht können längst nicht mehr eingehalten werden. Ein Fass ohne Boden? Erste Aufgabe eines Staates, einer Landesregierung innerhalb von Europa ist es deshalb, für das eigene Volk zu sorgen, Freiheit und Gerechtigkeit zu fördern, Wohlstand zu sichern und Armut zu bekämpfen, den eigenen Finanzhaushalt im Griff zu haben, Schulden abzubauen, den Korruptionssumpf immer wieder auszutrocknen – alles auf der Grundlage eines demokratischen Rechtsstaates. Hier kann jeder mithelfen.

Föderalistisches Modell unbedingt erhalten

Es war dem weltberühmtem Schweizer Theologen Karl Barth stets ein grosses Anliegen, den Zeitgenossen deutlich zu machen, dass Christus über alle Bereiche des Lebens, somit auch über Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, herrschen soll. Es ist die Christokratie. Das geht zurück auf die Lehre Calvins. Vor allem dank dieser Lehre hat sich die föderalistische Demokratie in der Schweiz entwickelt. Die Gewaltentrennung als Idee kam nicht erst mit der Französischen Revolution auf. Die Idee der „Aufteilung der Macht“ (die Lehre von den verschiedenen Ämtern in der Kirche) geht wesentlich auf Johannes Calvin und auf den Nachfolger von Huldrich Zwingli, auf den Reformator Heinrich Bullinger in Zürich zurück.

Die Schweiz wurde beim Staatsbesuch aus der Mongolei zu Recht als das Modell „vermarktet“, doch bedroht ist sie von der EU. Nirgends auf der Welt gibt es die Initiativ- bzw. Referendumsdemokratie, d.h. die direkte Demokratie. Nur bei uns hat das Volk so viel Macht. Die Meinung, ein Beitritt der Schweiz zur EU könne die EU dank unserer langen Erfahrung föderalistischer werden lassen, ist eine Utopie, ein Wunschdenken, das jenseits von realpolitischer Nüchternheit liegt. Ein Glaube an ein demokratisch-föderalistisches Euroland ist grundlos, utopisch. Die Mongolei will sich vom asiatischen Koloss China lösen, total eigenständig und unabhängig werden, warum sollten wir uns, ebenfalls als Kleinland, vom Koloss EU vereinnahmen lassen?

Von Pfr. Beat Laffer