In den 2010er- und 2020er-Jahren herrschte leider kein Mangel an islamistischen Vorkommnissen. Frisch im allgemeinen Gedächtnis ist die im Jahr 2021 überraschend schnelle Rückeroberung Afghanistans durch die radikalislamischen Taliban und die unmittelbar folgende Unterdrückung der dortigen Frauen durch diese.

Ein Kommentar von Dr. Dieter Gellhorn

Die Frauen wurden sofort aus der Berufswelt entfernt und die Angebote der höheren Bildung ihnen verschlossen. In bedauernswerter Erinnerung ist zudem die brutale körperliche Gewalt, die in Afghanistan gegen die dagegen demonstrierenden Frauen ausgeübt wurde.

Frisch im Gedächtnis – zumindest der Europäer – sind neuerdings die Berichte über das Scharia System in Katar, die vor der Austragung der Fussballweltmeisterschaft vielfach gesendet wurden. Auch in Katar ist den Frauen die Teilnahme an der Öffentlichkeit verschlossen. Eine Ausnahme nehmen Frauen wie z.B. die Mutter des gegenwärtigen Emirs (Herrscher) erfolgreich für sich in Anspruch, die in der Öffentlichkeit immer wieder in Erscheinung treten. Die Rechte der überaus zahlreichen Gastarbeiter sind im Scharia-Staat Katar nahezu Null. Deswegen und wegen der harten Begleitumstände der Arbeit ist die Sterblichkeit der Gastarbeiter extrem hoch, wie in verschiedenen Medienberichten rund um die Fussball-WM immer wieder zu nachlesen war.

Iran: Verhaftungen und Hinrichtungen

Gegenwärtig – besonders im Bewusstsein der nicht-muslimischen Welt präsent sind die seit Monaten anhaltenden Proteste iranischer Frauen und ihrer männlichen Sympathisanten gegen das im Iran herrschende Verhüllungsgebot und inzwischen auch gegen das Regime „islamische Republik“ überhaupt. Auch im Iran wird versucht, diese Demonstrationen mit Gewalt zu unterdrücken (s. Artikel: Nicht ohne Erfolgshoffnung: Iranische Frauenerhebung). Es wird dazu sogar nicht selten scharfe Munition eingesetzt. Der „geistliche Führer“ Chomeini sowie die Mullah-Obrigkeit und die ihr hörigen iranischen Parlamentarier bezeichnen diese Demonstrationen als „Krieg gegen Allah“. Bis jetzt wurden aufgrund dieser Anklage zwei Todesurteile gegen Demonstranten vollstreckt. Tausende weitere verhaftete weibliche und männliche Demonstranten erwartet in ihren Gefängnissen wahrscheinlich bald die Vollstreckung eines ebensolchen Todesurteils.

Nun ist in der Spezifizierung der Frage des oben gestellten Themas zu fragen: Sehen wir wegen all dieser Geschehnisse auch nur ein Kopftuch weniger auf den europäischen Strassen? Oder ist es im Gegenteil nicht sogar so, dass eine die Menschenrechte betonende Kritik am Islam eine verstärkte Solidarisierung der Muslime untereinander hervorruft? Gerade weil der Islam wegen all dieser Vorkommnisse unter Druck steht, sei es nicht legitim, diesen zu kritisieren, so hörte ich. Wenn ich darauf verwies, dass für solche erschreckenden Ereignisse bzw. Entwicklungen die Grundlagen im Koran und den anderen Grundlagentexten des Islam zu finden sind, wurde ich – trotz sonst guter Nachbarschaft – verbal aggressiv angegangen.

Das Kalifat

Etwas länger zurückliegend – von 2014 bis 2019 – entwickelte sich in grossen Landstrichen Syriens und des Iraks der sogenannte „Islamische Staat“. Im Juni 2014 proklamierte sich in der irakischen Millionenstadt Mossul in deren grösster Moschee ein Magister der Koranwissenschaft, der als Abu-Bakr al Baghdadi (1971–2019) bekannt war und der zudem auch 2007 über einer antiken Scharia gelehrten promoviert hatte, als Kalif Ibrahim. Er ernannte sich damit zum Befehlshaber aller Gläubigen.

Das Erstaunliche war die Anziehungskraft dieses Kalifen. Er zog zigtausende Kämpfer aus allen Erdteilen an. Die Kämpfer dieses sich auf den Islam und die Scharia berufenden Staates verübten jede Menge Gräueltaten. So köpften sie eine ganze Reihe Gefangener (u.a. Journalisten) vor laufenden Kameras. Sie versklavten ihre Kriegsgefangenen und vergewaltigten die weiblichen Gefangenen. An dem Volk der Jesiden begingen sie einen Völkermord.

Die Umma

Während all diese und weitere Verbrechen im Auftrag dieses von vielen Muslimen anerkannten Kalifen geschahen, ging das Glaubensleben der weltweiten Muslime ungestört weiter, unbeeindruckt von den Geschehnissen. Dabei wird der Kalifatanspruch durch zahlreiche Koransuren bestätigt, wie z.B. durch Sure 66, Vers 9: „O Prophet, eifere im Streit wider die Ungläubigen und sei hart wider sie …“ oder Sure 2, Vers 216: „Vorgeschrieben ist euch der Kampf … “

Der durch strenge Riten gelebte starke Zusammenhalt der Umma, der Glaubensgemeinschaft der Muslime, macht die Muslime bisher wohl immun gegen alle „Glaubensstörungen“.

 Dr. Dieter Gellhorn studierte Medizin und Philosophie in Düsseldorf und Wien. Er beschäftigte sich schon in frühen Jahren mit der Geschichte des Islam und publiziert bzw. referiert dazu.

 Mehr zu den Begriffen „Umma“, „Kalifat“, „Frau im Islam“ usw. finden Sie in der Broschüre „Kleines Islamlexikon“ von Zukunft CH, bestellbar unter: Fachbroschüren – Stiftung Zukunft CH