Zum ersten Mal seit Umwandlung der Hagia-Sophia-Moschee in ein Museum vor 81 Jahren durch den türkischen „Europäisierer“ Kemal Atatürk wurde Ende Oktober von der staatlichen Religionsbehörde (Diyanet) wieder ein Moschee-Vorsteher (Imam) für das ursprünglich christliche Gotteshaus eingesetzt. Das stellt einen weiteren Schritt Richtung „Moscheeisierung“ der Hagia Sophia dar. Präsident Recep Tayyip Erdogan hat sofort der Diyanet zu dieser Verfügung gratuliert.

Von Heinz Gstrein, Orientalist

Von christlichen Kreisen in der Türkei wurde der Zeitpunkt der Imam-Einsetzung ausgerechnet zum 25-jährigen Amtsjubiläum des Konstantinopler Patriarchen Bartholomaios I. als gezielte Provokation gewertet: Die Hagia Sophia war vom 6. Jahrhundert bis zur osmanischen Eroberung 1453 als „Grosse Kirche Christi“ Sitz der orthodoxen Patriarchen und wird bis heute in kirchlichen Dokumenten als solcher angeführt. Die vom Regime Erdogan gleichgeschalteten türkischen Medien begrüssten die Einsetzung des ständigen Imams hingegen als „Erfüllung eines Wunsches des türkischen Volkes“ und wiesen darauf hin, dass dieses nun auf die volle Beendigung des musealen Status der Hagia Sophia und ihre ausschliessliche Wiederverwendung als Moschee warte, wie sie es von 1453 bis 1935 gewesen war.

Erdogan als Re-Islamisierer

Noch wird sich der Amtssitz des Imams nicht innerhalb der ehemaligen Kirche, sondern in dem benachbarten Hünkar Kasri (Fürstenschlösschen) befinden, das von Sultan Murad III. (1574–1595) angebaut wurde. Er verrichtet aber bereits ständig das fünfmal tägliche Moscheegebet, das über Lautsprecher von den vier Minaretten der Hagia Sophia weithin ausgetönt wird. Es war erstmals während des letzten Fastenmonats Ramadan „vorübergehend“ eingeführt worden. Beobachter in Istanbul bringen dessen dauerhafte Etablierung mit der Absicht Erdogans in Zusammenhang, möglichst breite Massen türkischer Muslime vor der geplanten Volksabstimmung über eine neue Verfassung mit an ihn praktisch unbeschränkten Vollmachten für sich als Re-Islamisierer einzunehmen.

Zum ersten Mal seit Atatürk hatte schon im April 2015 wieder ein islamischer Gebetsgottesdienst in der Hagia Sophia stattgefunden. Bis dahin waren religiöse Handlungen und Zeichen jeder Religion in ihren Mauern streng verboten. Daran mussten sich sogar drei Päpste bei ihren Besuchen halten; nur Paul VI. war 1967 das Niederknieen zu einem – stillen – Gebet gelungen.

Ausgerechnet am Karfreitag 2015 verkündete jedoch der über die Türkei hinaus in der islamischen Welt berühmte Koran-Rezitator Ali Tel aus Ankara laut und lang ganze Suren. Nach dem Religionsrecht der Scharia war schon damit die säkularisierte Reichsmoschee der Osmanen wieder als solche eingeweiht, ohne dass es noch einen besonderen Umwandlungsbeschluss dazu brauchte. Den offiziellen Charakter dieses ersten neuerlichen islamischen Gebetsgottesdienstes in der Sophienkirche unterstrich bereits damals die Teilnahme von Mehmet Görmez, dem Leiter des staatlichen Religionsamtes Diyanet. Er ist es auch, der jetzt den ersten ständigen Imam bestellt hat.

Religionspolitisches Zeichen

Bei über 80’000 Moscheen im ganzen Land besteht eigentlich kein Bedarf an weiteren. Die Verwandlung von Kirchen-Museen in Moscheen erfolgt vielmehr unter religionspolitischen Vorzeichen. Dazu gehörte auch die systematische „Moscheeisierung“ anderer Sophienkirchen, die als Endziel auf eine Re-Islamisierung des Museums der Hagia Sophia von Konstantinopel abzielten. Dieser Prozess hatte schon 2011 bei der Sophien-Konzilskirche von Nizäa (Iznik) begonnen. Das Gotteshaus, das vom 6. bis 14. Jahrhundert als Kirche und von 1330 bis 1920 als Moschee diente, wurde seit Gründung der Türkischen Republik als Kulturdenkmal betrachtet; seitdem durften dort keinerlei Gottesdienste stattfinden. Auf Initiative des damaligen türkischen Vize-Ministerpräsidenten Bülent Arinc wurde der Bau aber wieder als Moschee genutzt.

Dasselbe gilt auch 2013/14 für die als Moschee wiedererbaute Kirchenruine der Hagia Sophia von Ainos (Enez) an der Grenze zu Griechenland und vor allem im Fall des Sophien-Doms von Trapezunt (Trabzon). Der russische „Tabakkönig“ griechischer Herkunft, Ivan Savvidis, hat zwar 2015 der Türkei den Bau einer neuen Moschee in der Schwarzmeerstadt angeboten. Bedingung dafür, dass die 2013 in eine Moschee verwandelte Sophien-Kirche wieder wie vorher zum frei zugänglichen Museum gemacht wird. Die Hagia Sophia von Trapezunt ist zwar viel kleiner als die Kuppelkirche gleichen Namens in Konstantinopel, steht jener aber in Sachen Innenausschmückung kaum nach. Ihre berühmten Fresken sind jetzt schon drei Jahre verhängt, um dem islamischen Bilderverbot nachzukommen. Das Angebot des Oligarchen wurde jedoch von der staatlichen Religionsbehörde der Türkei abgelehnt.

Das Endziel

Erdogans Vorgehen zur „Moscheeisierung“ früherer christlicher Kirchen war in der gesamten islamischen Geschichte das Endziel. Als 635 Damaskus, nachdem es nur schwachen Widerstand gegen die islamische Expansion geleistet hatte, von den Arabern erobert wurde, wurde in dem Kapitulationsvertrag der Stadt zwar festgelegt, dass die christliche Bevölkerung künftig die Kopfsteuer (dschizya) zu entrichten hat, ansonsten aber samt ihren Heiligtümern weitgehend ungestört bleibt. Doch später wurde die Johannes-Basilika in zwei Hallen als Kirche und Moschee verwendet. Und Kalif al-Walid I. liess sie 705 in die Umayyaden-Moschee als erste monumentale Moschee des Islam umwandeln.

Neue Kirchen mussten unscheinbar, ohne Türme und Glocken und in Hintergassen sein. Erst die osmanischen Reformedikte von 1830 und 1856 gestatteten den Bau von Kuppelkirchen mit Glockentürmen an Hauptstrassen und -plätzen, wie sie bis heute vor allem in Istanbul oder Kairo noch zu finden sind. Der radikalisierte Islam der Neuzeit will aber wie in Saudi-Arabien überhaupt keine Kirchen dulden oder zerstört sie durch Terrormilizen mit dem „Islamischen Staat“ an der Spitze. Genau in diese Richtung bewegt sich nun auch die Türkei unter Erdogan.