Seitdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Urteil vom 26. Februar 2020 das Verbot der geschäftsmässigen, also auf Wiederholung angelegten, Suizidbeihilfe aufgehoben hat (das Institut für Ehe und Familie (IEF) hat hierzu berichtet), bleibt diese in Deutschland ungeregelt. Das bedeutet, sie ist zwar legal, es besteht jedoch einige Rechtsunsicherheit darüber, wer Suizidbeihilfe in Anspruch nehmen und wer unter welchen Umständen Beihilfe dazu leisten darf.

Von Antonia Holewik, IEF

Das BVerfG gestand dem Staat in seinem Urteil ein legitimes Interesse zu, vermeiden zu wollen, dass sich Suizid zu einer gesellschaftlichen Normalität entwickle. Zu diesem Zwecke sollte der Gesetzgeber Massnahmen beschliessen können, die den Erwartungsdruck auf Betroffene vermindern und sicherstellen würden, dass der Entschluss des Suizidwilligen frei und eigenverantwortlich und im Vollbesitz der geistigen Kräfte erfolgt.

Seither wird im deutschen Bundestag darüber diskutiert, wie eine solche gesetzliche Regelung der Beihilfe zum Suizid aussehen könnte (das IEF hat berichtet). Dabei lassen sich grob gesagt zwei Haupttendenzen in Bezug auf mögliche Regelungskonzepte erkennen. So wollen die einen eine möglichst liberale Regelung, die vor allem das „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“ schützen soll, während die anderen den Schutz vulnerabler Personen in den Vordergrund stellen und eine restriktive Regelung fordern, die den freien Entschluss zum Suizid sicherstellen soll. In diese beiden Kategorien lassen sich auch die kürzlich bei der Bundestagssitzung am 6. Juli abgelehnten überparteilichen Gesetzesentwürfe einreihen.

Regelung zur Absicherung des freien Willens

Die erste Gruppe von Abgeordneten rund um Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU/CSU), Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen), Petra Pau (Die Linke), Benjamin Strasser (FDP) und andere betonte in ihrem Entwurf vor allem die Schutzpflicht des Staates, die Freiverantwortlichkeit des Entschlusses zur Selbsttötung sicherzustellen. Deshalb setzte sie auf eine strafrechtliche Normierung, die die geschäftsmässige Förderung der Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe gestellt, jedoch Ausnahmereglungen beinhaltet hätte. Nicht strafbwäre demnach die Beihilfe zur Selbsttötung bei suizidwilligen Personen gewesen, die volljährig und einsichtsfähig sind. Ausserdem sah der Entwurf eine zweimalige Untersuchung durch einen nicht an der Selbsttötung beteiligten Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie im Abstand von drei Monaten und eine umfassende, ergebnisoffene und auf die Situation des Betroffenen angepasste Beratung vor.

Entwurf zur Absicherung des „Rechts auf selbstbestimmtes Sterben“

Der zweite Entwurf rund um die Abgeordneten Katrin Helling-Plahr (FDP), Petra Sitte (Die Linke), Helge Lindh (SPD), Renate Künast (alle Bündnis 90/Die Grünen) und weitere war das Ergebnis ursprünglich zweier unabhängiger Entwürfe, die jedoch auf Antrag zusammengelegt wurden. Dieser weitaus liberalere Gesetzesentwurf stellte vor allem das „Recht auf einen selbstbestimmten Tod“ in den Vordergrund und wollte einen klaren Rechtsrahmen bieten, um Menschen eine möglichst breite, straffreie Inanspruchnahme der Hilfe zu Selbsttötung zu ermöglichen. Der Entwurf schlug ein eigenständiges „Suizidhilfegesetz“ vor, das bei der Straffreiheit hauptsächlich auf den autonom gebildeten, freien Willen abstellte. Diesen sah der Entwurf dann als gegeben an, wenn der Suizidwillige Handlungsalternativen zum Suizid kennt, die jeweiligen Folgen bewerten kann, seine Entscheidung in Kenntnis aller erheblichen Umstände und Optionen trifft und sein Entschluss von einer gewissen Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit getragen ist. Die Dauerhaftigkeit könnte laut dem Entwurf dann angenommen werden, wenn zwischen einer freiwilligen Beratung und dem Verschreiben eines Sterbemittels durch einen Arzt mindestens zehn Tage vergangen seien sind. Die freiwillige Beratung wäre von den Ländern sicherzustellen gewesen und hätte ergebnisoffen und nicht bevormundend erfolgen müssen.

Zurückweisung beider Gesetzesentwürfe bei namentlicher Abstimmung

Der erste Entwurf mit dem Titel „Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmässigen Hilfe zur Selbsttötung und zur Sicherstellung der Freiverantwortlichkeit der Entscheidung zur Selbsttötung“ wurde mit 363 Stimmen dagegen und 303 Stimmen dafür bei 23 Enthaltungen zurückgewiesen. Der zweite mit „Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Suizidhilfe“ betitelte Entwurf wurde von 375 Abgeordneten, die dagegen und 286 Abgeordneten, die dafür stimmten, bei 20 Enthaltungen abgelehnt. Die Abstimmung erfolgte namentlich ohne Fraktionszwang.

Bundestag bekennt sich zur Priorität der Suizidprävention

Fast einhellige Zustimmung der Abgeordneten erhielt dagegen der Antrag auf Stärkung der Suizidprävention. Der Antrag macht darauf aufmerksam, dass in Deutschland etwa dreimal so viele Menschen wie im Strassenverkehr durch Suizid sterben. Allein im Jahr 2021 sollen sich laut dem Antrag 9215 Menschen das Leben genommen haben. Besonders betroffen seien jene, die an einer psychischen Erkrankung leiden. Deshalb brauche es eine stärker zielgerichtete Suizidprävention. Konkret wird die Bundesregierung in dem Antrag dazu aufgefordert, ein Konzept vorzuschlagen, wie bestehende Strukturen und Angebote der Suizidprävention unterstützt werden können. Ausserdem soll ein Gesetzesentwurf und eine Strategie für Suizidprävention vorgelegt werden, die unter anderem die Schaffung eines deutschlandweiten Suizidpräventionsdienstes vorsieht, der Menschen mit Suizidgedanken und ihren Angehörigen rund um die Uhr zur Verfügung stehen soll.

Kritik an „Hauruckverfahren“ im Vorfeld

Kritik an der kurzfristig anberaumten Schlussabstimmung über die Gesetzesentwürfe zur Regelung der Suizidbeihilfe kam im Vorfeld von der Bundesärztekammer, dem Nationalen Suizidpräventionsprogramm, der Deutschen Gesellschaf für Psychiatrie, Psychosomatik und Nervenheilkunde sowie der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Wie das Ärzteblatt berichtet, forderten Vertreter der Ärzteschaft, die Regelung der Suizidbeihilfe nicht ohne eine ernsthafte und tiefgehende Debatte, die auf die Lebenswirklichkeit der Betroffenen eingehe, zu beschliessen. Nach einer Unterbrechung durch die Corona-Pandemie sei es nötig, eine derartige Debatte nicht nur im Parlament, sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene weiterzuführen. Betont wurde ausserdem, dass einer Regelung des assistierten Suizids der Ausbau der Suizidprävention, „gezielte Information der Öffentlichkeit über die Möglich­keiten zur Gestaltung des Lebensendes unter würde­vollen Bedingungen“, sowie die Schaffung von Schutz- und Hilfsangeboten vorangehen sollten.

 

Quelle: Institut für Ehe und Familie (IEF)