In wenigen Wochen feiern wir wieder Weihnachten und damit die Geburt Jesu. Wie gross die Bedeutung dieses Festes nicht nur für uns als Einzelne ist, sondern für die ganze Gesellschaft, zeigt Pfr. Hansjürg Stückelberger in seinem Buch auf. Nachfolgend ein Auszug davon.

Von Pfr. Hansjürg Stückelberger

Mit der Geburt Jesu beginnt die neue Weltzeit. Im Evangelium (griech. euangélion „frohe Botschaft“) verkündet Gott die Erlösung vom Fluch der Sünde und der Gottferne. Die Ebenbildlichkeit der Menschen mit Gott bleibt, obwohl die Menschen nicht mehr im Paradies leben. Gottes Ziel und Wille ist es, dass wir „gleichgestaltet sind (oder werden) dem Bild seines Sohnes“ (Röm 8,29). Dessen sollen sich alle Gläubigen bewusst sein. Es ist jetzt etwas Neues in ihren Herzen; ihr Wesen ist nun wie ein Spiegel Gottes.

Von neuen, verwandelten Menschen gehen neue Kräfte aus, und sie erneuern ihre Umgebung und langfristig auch die Gesellschaft. Gottes Liebe verändert und heilt sie hin zu mehr Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden und Wohlstand, ein Stück näher an die ungebrochene Gemeinschaft mit ihm im Paradies. Dazu war es zuerst nötig, die Jahrtausende alte, eiserne Zwangseinheit von Religion, Kultur und Staat aufzubrechen und immer mehr Freiheit zu gewinnen. Wie gelang es der anfänglich winzigen Minderheit von Christen im Römischen Reich, das Reich zu prägen, um schliesslich in der Demokratie die Freiheit zum Staatsziel zu machen?

Im biblischen Gottes- und Menschenbild sind alle Elemente unserer freiheitlichen Demokratie enthalten: Der Rechtsstaat ohne Ansehen der Person, die Gleichwertigkeit von Frau und Mann, das Individuum mit der Freiheit des Denkens und der Forschung, samt der daraus entstehenden Technologie mit ihrem überfliessenden Reichtum, aber auch die Abschaffung der Sklaverei und die unantastbare Würde des Menschen, die Trennung von Kirche und Staat, die soziale Wohlfahrt und die Menschenrechte, oder zusammengefasst, die ganze zivilisatorische Stärke des Westens. Allerdings waren für diese revolutionäre Umwandlung Jahrhunderte nötig.

Konflikte mit dem Römischen Reich

Weil die Christen den offiziellen Opferfesten fernblieben und das Weihrauchopfer vor der kaiserlichen Statue verweigerten, sah man in ihnen Staatsfeinde. Sie unterminierten in den Augen der Römer die Sicherheit und den Wohlstand des Reiches. Man fürchtete die Rache der Götter. So wurden vom Kaiser Verfolgungen der Christen angeordnet, um die Einheit des Reiches zu sichern. Die Hinrichtungen von Christen bei Spektakeln in den Amphitheatern hatten eine erste unerwartete Wirkung. Die Öffentlichkeit erkannte darin: Christen sind anders. Es gab damals viele neue religiöse Gruppen, selbsternannte Propheten und Geheimbünde. Aber niemand von deren Anhängern wäre bereit gewesen, mit dem Tod für die neue Lehre einzustehen. Die Zahl der Christen wuchs hingegen gerade wegen der Verfolgungen, so wie es im bekannten Zitat des Kirchenschriftstellers Tertullian hiess: „Das Blut der Märtyrer ist der Same der Kirche.“

Zudem fielen die Christen auf, weil sie einander liebten, Frauen und Kindern einen höheren Stellenwert beimassen als ihr römisches bzw. heidnisches Umfeld, Kranke pflegten, Armen und Bettlern beistanden und Sklaven mit Respekt behandelten. Hinzu kam, dass vor allem die unteren Schichten das Evangelium annahmen: Frauen, Hafenarbeiter, Soldaten und Sklaven. Die Liebe zu Armen, Kranken und Sklaven war den Römern fremd. In Rom galten Macht, Geld und Ehre. Doch die Liebe der Christen untereinander und gegenüber Sklaven und Kranken beeindruckte sogar die Römer. Deshalb wandten sich langfristig trotz der Gefahren auch Reiche, vornehme Frauen, hohe Beamte und Offiziere dem Christentum zu.

Eine andere Wirkung der Verfolgungen wird oft übersehen. Sie betrifft die Christen selber. Die Gerichtsprozesse formten Individuen, eine Grundvoraussetzung für Freiheit und Demokratie. Lebensgestaltung aufgrund eigener Entscheidungen ist keineswegs so selbstverständlich, wie dies uns von der abendländischen Kultur geprägten Menschen vorkommen mag. Ein Blick auf das Stammesverhalten und ClanDenken vieler Völkern genügt. Auch im Islam wird selbständiges Denken weitgehend verhindert. Muslime sollen sich dem Willen Allahs unterwerfen. Der bekannte aus Syrien stammende Schriftsteller Bassam Tibi hat berichtet, wie er selbst erst in Deutschland gelernt hat, sich als Individuum zu verstehen.

Im Römischen Reich fand bei einer Christenverfolgung in der Regel eine persönliche Anhörung vor dem Richter statt. Jeder musste für sich selbst entscheiden, ob er für seinen Glauben an Jesus Christus zu sterben bereit war, und jeder konnte sich zum Beispiel durch ein Opfer vor der Kaiserstatue retten. Längst nicht alle blieben standhaft. Doch Christen leben in einer persönlichen Beziehung zu Gott und ihr Verhalten beruht auf Gewissensentscheiden. Sie wissen, dass sie geliebt sind. Denn alle Menschen sind als Gottes Ebenbilder geschaffen. Vor Gott gibt es keine Römer und Barbaren, keine Männer und Frauen, keine Hochgestellten und Arme, nicht Freie und Sklaven. Viele stuften die Freude über das neue Leben höher ein als alles, was ihnen bisher lieb und teuer war, und liess sie den Tod nicht fürchten.

Das freiheitliche Denken

Selbstverständlich war die gebildete Oberschicht der Antike auch im eigenen Denken geschult. Aber das war eine kleine und abgehobene Elite. Dagegen hat das Christentum über die Jahrhunderte wesentlich dazu beigetragen, dass individuelles Denken immer mehr das Verhalten aller Bürger beeinflusste. Eine freiheitliche Staatsordnung setzt voraus, dass Bürger selbst denken. Und eigenes Denken ist eine Grundvoraussetzung für die Entstehung von Naturforschung und exakter Wissenschaft. Die Verfolgung der Christen durch die römischen Kaiser hat entscheidend zur Individualisierung und zum freiheitlichen Denken beigetragen.

Es war das biblische Menschenbild, durch welches alle Widerstände überwunden und die Herzen durch Liebe verändert wurden. Schritt für Schritt wurde das christliche Menschenbild zur Grundlage der Gesellschaft und der Gesetzgebung. So entstanden die Voraussetzungen für die freiheitliche Demokratie.

Der Autor ist Gründer und Ehrenpräsident von Zukunft CH. Sein Buch kann bei Zukunft CH bestellt werden: www.zukunft-ch.ch/