Panik ist ein schlechter Ratgeber. Streicht die Christlichdemokratische Volkspartei (CVP) ihr exklusives Markenzeichen aus dem Parteinamen, droht ihr der Fall in die Bedeutungslosigkeit.

Von Dominik Lusser

Die Ursprünge der CVP liegen im Engagement der „Katholisch-Konservativen“ gegen die „Radikal-Liberalen“ während des Kulturkampfs im 19. Jahrhundert. 1912 gilt als Gründungsjahr der Partei, die sich damals den Namen Schweizerische Konservative Volkspartei gab. Der zunehmende Einfluss christlichsozialer Sektionen, die sich für die Arbeiterschaft einsetzten, führte 1957 zur Umbenennung in Konservativ-Christlichsoziale Volkspartei. 1963 errang diese mit einem Wähleranteil von 23,4 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis. Zur selben Zeit tauchte innerhalb der Partei die Forderung nach Anpassung an die gewandelte Gesellschaft auf. Auch wurden Stimmen laut, aus dem „katholischen Ghetto“ auszubrechen und das „C“ aus dem Namen zu streichen. Man entschied sich 1970 allerdings für den Namen CVP. In den 1990er- und 2000er-Jahren verlor die Partei viele konservative Wähler an die Schweizerische Volkspartei (SVP). 2019 verzeichnete sie mit 11,4 Prozent den bisher tiefsten Wähleranteil.

Linksrutsch

Die CVP versteht sich heute als überkonfessionell und liberal-sozial, wobei sie im Sinne der sozialen Marktwirtschaft liberale Grundsätze mit der Wahrung sozialer Grundrechte verbinden will. Die Partei ist schon früh auf den Zug der Umwelt- und Klimapolitik aufgesprungen und steht einem institutionellen Rahmenabkommen mit der EU offen gegenüber, das Gegner als Vorstufe zum EU-Beitritt kritisieren. In Asyl- und Migrationsfragen steht die CVP für wenig spektakuläre Mittepositionen. Gesellschaftspolitisch hat sich die Partei, mit wenigen Ausnahmen vor allem im Tessin und Wallis, immer stärker dem linksliberalen Mainstream angenähert. Sie setzt dafür auch ihren Ruf als Familienpartei aufs Spiel. Im Februar 2020 zog die CVP ihre 2012 eingereichte Volksinitiative „Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe“ zurück, ein Schritt, den die NZZ als „ebenso peinlich wie aufschlussreich“ kommentierte. Ziel der Initiative war es, die steuerliche Benachteiligung von 700’000 Ehepaaren gegenüber Konkubinatspaaren zu beenden. Beiläufig hätte die Heiratsstrafe-Initiative die Ehe explizit als „Verbindung von Mann und Frau“ in der Verfassung verankert, was die Partei, in der die Stimmung innert weniger Jahre zugunsten der Homo-„Ehe“ gekippt war, vor ein grosses Dilemma stellte.

Um dem Wählerschwund Einhalt zu gebieten, verfolgt die Parteispitze neuerdings eine doppelte Strategie. Die CVP bemüht sich um eine Fusion mit der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP, Wähleranteil 2,5 Prozent), deren Untergang kaum mehr aufzuhalten sein wird. Dafür ist sie sogar bereit, das „C“ zu streichen. Während der Historiker Markus Somm von einem „Marketing der Panik“ spricht, sieht sich Parteipräsident Gerhard Pfister durch eine Umfrage bestärkt. Demnach sind 53 Prozent der CVP-Mitglieder, obwohl sie sich christlichen Werten verbunden fühlen, der Meinung, die Partei brauche einen neuen Namen. Für Pfister zeigt die Umfrage, die auch die Meinung der Stimmbevölkerung untersuchte, dass die CVP von aussen nach wie vor als katholische Partei wahrgenommen wird: „Das ‚C‘ hält 80 Prozent der Stimmberechtigten davon ab, uns zu wählen, selbst wenn sie mit unserer Politik übereinstimmen.“ Die Umfrage zeigt aber ebenso, dass ein Namenswechsel auch relevante Verluste bei der angestammten Wählerschaft zur Folge haben könnte. Die Partei ist darum gespalten. Die CVP des Kantons Wallis etwa hat klar kommuniziert, ihren Namen unbedingt behalten zu wollen. Der Walliser Ständerat Beat Rieder meint, der Namenswechsel einer grossen Volkspartei sei ein Zeichen der Schwäche. Anstelle des Namenswechsels plädiert er für eine Profilschärfung der Partei. Die bislang heftigste Kritik kam vom Luzerner Alt-Nationalrat Pius Segmüller. „Wenn das ‚C‘ gestrichen wird, trete ich aus der CVP aus“, sagte der ehemalige Kommandant der Päpstlichen Schweizergarde gegenüber der Luzerner Zeitung. Richtiger fände er es allerdings, wenn jene gingen, die sich am „C“ störten. Am 5. September hat die Parteileitung „Die Mitte“ als neuen Namen vorgeschlagen, über den die 80‘000 Mitglieder in einer Urabstimmung befinden sollen.

Flucht vor sich selbst

Ausgerechnet der Protestant Markus Somm sieht in der Debatte um das „C“ den „Kern der identitären Verwahrlosung, die die Partei ergriffen hat.“ Viel zu lange schon sei die CVP auf der Flucht vor sich selbst. „Die CVP ist eine katholische, oder meinetwegen: christliche Partei – oder sie ist gar nichts. Moderne, Liberale, Progressive, Urbane, Sozialliberale, Grüne, Mitte: Davon gibt es unter den Politikern im Überfluss, aber Christen?“ Angesichts der Tatsache, dass die römisch-katholische Kirche nach wie vor die grösste Glaubensgemeinschaft der Welt und die Schweiz immer noch überwiegend ein christliches Land sei, frage er sich, „warum ‚christlich‘ für die CVP nicht mehr gut genug ist.“ Die CVP hat nach Somms Einschätzung nicht deswegen Wähler verloren, weil sie diesen zu katholisch oder zu konservativ vorgekommen sei, sondern im Gegenteil: „Sie hat sich zu sehr dem Zeitgeist oder der Linken ausgeliefert.“

Im Nationalrat, in dem die Kantone anteilsmäßig zur Bevölkerung vertreten sind, hat die CVP gerade noch 25 von 200 Sitze. 1963 waren es 48. Zudem stellt sie seit 2003 nur noch einen Bundesrat. Was die CVP aber nach wie vor zu einem politischen Schwergewicht macht, ist ihre Stärke im Ständerat, wo jeder Kanton zwei Sitze innehat. Dort ist sie – dank ihrer ungebrochenen Dominanz in den kleinen katholischen Kantonen – mit 13 von 46 Sitzen immer noch die stärkste Kraft. Es gibt also noch einiges zu retten für die Christdemokraten.