Am 13. Juni 2021 stimmt das Schweizer Volk über das Covid-19-Gesetz ab. Wie zu jeder Abstimmung gibt es dazu im Abstimmungsbüchlein Informationen. Das Problem: Das Büchlein enthält nur den Stand des Covid-19-Gesetzes vom 25. September 2020. Seither wurden jedoch zahlreiche neue Artikel in das Gesetz aufgenommen. Diese werden entsprechend nicht aufgeführt – ein fragwürdiges Vorgehen des Bundes bei einer der wichtigsten Abstimmungen der letzten Jahre.

Von Ralph Studer

Vielen Stimmbürgern ist es nicht bewusst: Der Text des Covid-19-Gesetzes (kurz „Covid-Gesetz“) im Abstimmungsbüchlein vom 13 Juni 2021 ist derjenige, der am 25. September 2020 vom Parlament verabschiedet wurde. Jedoch – und das ist elementar – wurden die im März 2021 eingefügten Gesetzesartikel (SR 818.102 – Bundesgesetz vom 25. September 2020 über die gesetzlichen Grundlagen für Verordnungen des Bundesrates zur Bewältigung der Covid-19-Epidemie) im Abstimmungsbüchlein nicht publiziert. Dieses Vorgehen des Bundesrats ist zwar rein „formaljuristisch“ gesehen korrekt, da nur gegen die Fassung vom 25. September 2020 das Referendum ergriffen wurde. Diese neuen Gesetzesbestimmungen würden aber bei einem Nein zum Covid-Gesetz ebenfalls wegfallen bzw. bei einem Ja angenommen.

Gerade diese im März 2021 eingefügten Gesetzesartikel sind von zentraler Bedeutung und besitzen durchaus politische Sprengkraft:

  • Art. 1a ermächtigt den Bundesrat, eigenständig Kriterien für Einschränkungen und Erleichterungen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens festzulegen.
  • Neu geregelt in Art. 3/Art. 3a/Art. 3b sind nun auch Contact-Tracing (Kontaktrückverfolgung), Stufenplan, Schwellenwerte, Impfplan, Quarantänebefreiung für Geimpfte sowie die Förderung von Tests.
  • Art. 6a ermächtigt den Bundesrat Anforderungen für den Nachweis der Impfung, Testung und Genesung festzulegen.

Insofern ist die im Abstimmungsbüchlein auf Seite 41 hervorgehobene Infobox „Es geht nicht um das Impfen“ eine Fehlinformation. Art. 3 enthält ausdrücklich einen Impfplan und in Art. 3a erhalten Geimpfte die ersten „Sonderrechte“, indem sie von der Quarantäne ausgenommen werden. Ungeimpfte werden dadurch ungleich behandelt. In Art. 6a wird ein Impfpass (ein fälschungssicherer „Nachweis“) per Gesetz eingeführt. Darüber hinaus erhält der Bundesrat in Art. 3 die Rechtsgrundlage, ein umfassendes, wirksames und digitales Contact-Tracing einzuführen.

Der Bundesrat verschweigt zudem im Abstimmungsbüchlein, dass Teile des Covid-Gesetzes durch die Revision im März 2021 bis Ende 2031 in Kraft bleiben. Der Bundesrat kann so je nach Bedarf weitere Verschärfungen einführen und weiterhin die Freiheitsrechte der Bürger wie bis anhin massiv beschränken, sei es im Bereich Religionsfreiheit (Gottesdienste/Anzahl der Personen), Versammlungsfreiheit usw.

Die dargestellte Sachlage verlangt nach einer Klarstellung und Information der Bevölkerung über diese erwähnten Gesetzesänderungen durch Bundesrat und Bundeskanzlei. Geschieht dies nicht, ist eine mögliche Verletzung des in Art. 34 Abs. 2 unserer Bundesverfassung garantierten Anspruchs auf freie Willensbildung und unverfälschte Stimmabgabe des Stimmbürgers nicht von der Hand zu weisen. Jeder Stimmbürger soll seinen Entscheid gestützt auf einen möglichst freien und umfassenden Prozess der Meinungsbildung treffen können.[1] Dies ist allerdings nicht möglich, wenn der Bundesrat für die Meinungsbildung wesentliche Informationen dem Stimmbürger vorenthält.

Gefahr einer gesellschaftlichen Spaltung

Im Mai 2021 hat der Bundesrat auch entschieden, dass mit dem Covid-Zertifikat Geimpfte, negativ Getestete und Genesene künftig u.a. wieder an Grossveranstaltungen im Inland teilnehmen können. Die beabsichtigte Einführung eines Impfzertifikates zeigt bereits, in welche Richtung das Ganze geht: Eine Ungleichbehandlung der Nichtgeimpften mit der Gefahr einer Spaltung der Gesellschaft und dem Abdriften in eine Zweiklassengesellschaft. Die Teilhabe am sozialen Leben und die Ausübung der Freiheitsrechte dürfen nicht daran gekoppelt sein, ob jemand geimpft ist oder nicht. Das kommt einem indirekten Zwang gleich, der allgemeinen Freiheitsgedanken zuwiderläuft. Ein solches Vorgehen stellt einen Verstoss gegen die geltende Bundesverfassung und unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung dar.

Im Übrigen hat Vorreiter Israel im Inland den „Green Pass“, wie er dort heisst, bereits per 1. Juni 21 wieder abgeschafft und damit diesbezüglich die Zweiklassengesellschaft beendet hat. In den USA habe sogar bereits erste Bundesstaaten ein Verbot einer solchen Form von Diskriminierung erlassen (z.B. Florida).

Finanzhilfen auch ohne das aktuelle Covid-Gesetz möglich

Der Bundesrat argumentiert im Abstimmungsbüchlein, dass die finanziellen Unterstützungsleistungen bei einem Nein zum Covid-Gesetz keine Grundlage mehr haben. Diese Argumentation ist haltlos. Diese finanziellen Hilfeleistungen sind in der Bevölkerung unbestritten und könnten z.B. problemlos aus dem aktuellen Covid-Gesetz herausgenommen werden und in ein eigenes Gesetz überführt werden. Im Parlament ist bereits eine Motion von NR Pirmin Schwander dazu hängig ist, welche in der Sommersession behandelt werden kann. Doch gegen eine solche Herausnahme wehrt sich der Bundesrat, da er sonst einen gewichtigen Trumpf in diesem Abstimmungskampf vergeben würde. Für den Bundesrat steht viel auf dem Spiel: Sollte dieses Covid-Gesetz verworfen werde, könnte dies auch als Nein zu den Massnahmen und zum Vorgehen des Bundesrats bzw. des BAG interpretiert werden.

Grösste Machtfülle des Bundesrats seit dem Zweiten Weltkrieg

Noch nie hat der Bundesrat seit dem Zweiten Weltkrieg so viel Macht und Kompetenzen ausgeübt wie aktuell in der Corona-Krise. Und wie ging der Bundesrat mit dieser Machtfülle um? Persönliche und wirtschaftliche Freiheitsrechte wurden eingeschränkt mit beträchtlichen Folgen und Kosten für die Allgemeinheit, fehlender Perspektive für die Jungen, Eingriffen bei Kindern durch Maskenpflicht und neuerdings „Androhung“ einer Impflicht für ab Zehnjährige, massiven sozialen und psychischen Folgen (Vereinsamung und Isolation älterer Menschen vor allem in Alters- und Pflegeheimen usw.). Bis anhin hat der Bundesrat in dieser Pandemie[2] noch nie Rechenschaft über die Notwendigkeit und die Verhältnismässigkeit dieser Massnahmen ablegen müssen. An sich müsste gerade bei einer solchen Machtfülle der Exekutive das Parlament seine verfassungsmässige Kontroll- und Aufsichtsfunktion gegenüber dem Bundesrat wahrnehmen. Doch dies ist nicht geschehen. Auch die Gerichte haben in der Schweiz bis anhin keine wirksame Überprüfung der effektiven Gefährlichkeit von Covid-19 und der Verhältnismässigkeit der Massnahmen vorgenommen, obwohl schon einige Verfahren vor Schweizer Gerichten durchgeführt wurden. Daran ist erkennbar, dass unser demokratischer Rechtsstaat, in dem solche Massnahmen einer wirksamen Überprüfung unterzogen werden müssten, angeschlagen ist.

Freier und umfassender Prozess der Meinungsbildung?

Eine ausgewogene und freie Meinungsbildung ist in einer intakten Demokratie eine Selbstverständlichkeit. Dafür braucht es die Bereitschaft der Politik, staatliche Massnahmen und deren Argumente zur Diskussion zu stellen, und es braucht Medien, welche die Basis für entsprechenden Meinungsaustausch schaffen, indem sie verschiedene divergierende Meinungen aus Politik, Wissenschaft und Bevölkerung zu Wort kommen lassen. Ein lebhafter Meinungsaustausch und Dialog sind charakteristisch für eine intakte Demokratie. Dass gerade dies in der vorliegenden Krise nicht stattfand, stimmt sehr nachdenklich. Statt einer sachlich-differenzierten Berichterstattung, die auch staatliche Massnahmen kritisch hinterfragt, basierten die journalistischen Berichte mehrheitlich vor allem in der Anfangsphase – aber teils bis in die Gegenwart – stark auf Angst. Ein solcher Journalismus schürt die Unsicherheit bei Menschen und arbeitet mit negativen und destruktiven Emotionen.

Wird die Bevölkerung aber ständig mit Angst und Panik machenden Berichten und Bildern konfrontiert, verändert sich zwangsläufig die Sichtweise und das Verhalten der Menschen. Sie werden zunehmend ängstlich, unsicher, ziehen sich sowohl aus der Gesellschaft, Beziehungen und Diskussionen zurück. Ihr Denken wird dominiert von diesen negativen Emotionen. Überwiegen Angst und Panik bei einem Menschen, so ist er auch in seiner Meinungsbildung für tatsächliche Fakten und tatsächliches Wissen kaum mehr empfänglich.

Zur unausgewogenen Berichterstattung kommt hinzu, dass Auseinandersetzungen mit kritischen Experten und Fakten nur wenig stattfanden – und wenn, dann oft auf sehr einseitige bzw. polemische Art. Menschen mit kritischer Sichtweise wurden allzu oft ausgegrenzt und in schubladisierte Reihen gestellt. Eine solche Art der Ausgrenzung bis hin zur Diffamierung führt jedoch zu Meinungsanpassung, Denkverboten und Einschüchterung Andersdenkender. Dies alles berücksichtigend wäre es erstrebenswert, wenn sich die Medien wieder vermehrt auf ihre ureigene Aufgabe besinnen: Kontrolle der Staatsorgane, Aufbereitung wichtiger Meinungen und Fakten zum Hintergrund und Information der Bevölkerung. Die durchgeführte politische Linie ist nicht alternativlos, wie uns Politik und die Mehrheit der Medien seit Beginn der Coronakrise weissmachen wollen.

Auf unsere Demokratie und die am 13. Juni 2021 stattfindende Volksabstimmung hat dies gravierende Auswirkungen: Ein freier und umfassender Meinungsbildungsprozess konnte kaum wirklich stattfinden. Neben der oben erwähnten möglichen Verletzung des in Art. 34 Abs. 2 der Bundesverfassung garantierten Anspruchs auf freie Willensbildung und unverfälschte Stimmabgabe des Stimmbürgers ist dies eine bedenkliche Entwicklung. Dank des erfolgten Referendums kann nun zumindest eine Art politischer Diskurs im Vorfeld der Abstimmung vom 13. Juni 2021 noch stattfinden.

 

[1] Häfelin/Haller/Keller/Thurnherr, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 9. Auflage 2016, S. 417.

[2] Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat im Jahr 2009 die Definition einer „Pandemie“ ohne triftigen Grund angepasst. Früher wurde für das Ausrufen einer Pandemie eine enorm hohe Zahl von Todes- und Erkrankungsfällen verlangt. Neu gilt folgende Definition: „Eine Pandemie ist die weltweite Ausbreitung einer neuen Krankheit.“ (vgl. www.who.int, abgerufen 25.5.2021; Reiss/Bhakdi, Corona unmasked, S. 27).