Die Covid-19-Pandemie schlägt vielen Menschen aufs Gemüt. Manche Menschen gebrauchen Alkohol oder andere Substanzen, um Einsamkeit, Stress oder wirtschaftliche Sorgen auszuhalten. Wer auf diese Weise Entlastung sucht, riskiert, einen problematischen Konsum zu entwickeln. Besonders gefährdet sind aktuell Menschen, die direkt von Corona betroffen sind, zeigt das am 10. Februar 2021 erschienene Schweizer Suchtpanorama 2021.

Die sozialen und wirtschaftlichen Folgen der Gesundheitskrise führen dazu, dass zunehmend Menschen versuchen, Belastungen durch Alkohol- und Medikamentenkonsum oder Geldspiele zu bewältigen. Besonders bedenklich: Mehr Menschen als sonst sind heute suchtgefährdet, denn die Belastung durch Corona verursacht neue Risikogruppen. Dazu zählen all jene, die von Covid-19 unmittelbar betroffen oder einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt sind: Pflegende in Notfallstationen, das Personal im Transportwesen oder im Verkauf; dazu kommen Menschen, die ein Trauma erlitten wie z.B. schwer Erkrankte und ihre Angehörigen.

Alkoholkonsum: jährlich 2.8 Milliarden Franken Schaden

Ein Beispiel ist der Alkoholkonsum: „Fast neun von zehn Personen trinken zumindest gelegentlich, gut jede fünfte Person trinkt zu viel oder zu oft: Mittel- und langfristig dürften der Risikokonsum und Alkoholabhängigkeit in Teilgruppen der Bevölkerung steigen. Davon betroffen sind insbesondere Männer sowie Personen mit geringerem soziökonomischem Status. Dazu kommen jene, die von der Pandemie am stärksten betroffen sind, wie ausländische Studien nahelegen. Auswirkungen auf die mentale Gesundheit werden wie bei früheren Epidemien oder Katastrophen noch Jahre danach weiterbestehen und durch ungesunde Bewältigungsversuche mit Alkohol, Drogen und Medikamenten verlängert und verschlimmert. Darunter leiden immer auch Familienangehörige“, heisst es im Bericht.

Die geschätzte Anzahl alkoholabhängiger Menschen in der Schweiz beläuft sich laut Angaben von Sucht Schweiz auf 250’000. Rund 1550 Personen sterben landesweit jährlich an den Folgen ihres Alkoholkonsums, das entspricht etwa 8 Prozent aller Todesfälle in der Altersgruppe der 15- bis 74-Jährigen. Dabei sind ein häufig unterschätztes Risiko alkoholbedingte Krebsleiden. Bei den 15- bis 24-jährigen Männern sind sogar knapp 20 Prozent der Todesfälle auf Alkohol zurückzuführen, meist wegen Unfällen und Verletzungen. Alkoholmissbrauch verursacht in der Schweiz jährlich geschätzte volkswirtschaftliche Kosten von rund 2.8 Milliarden Franken; dies entspricht 335 Franken pro Kopf.

Medikamentenkosum: Zunahmen unter Buben

Mehrere Dutzend Jugendliche verstarben in den letzten rund drei Jahren infolge eines Medikamenten-Mischkonsums. Dabei nahm v.a. der Medikamentenkonsum unter den Buben in den letzten 15 Jahren zu. Lieferungen und Verkäufe von starken opioidhaltigen Schmerzmitteln steigen weiterhin an. Wie sich die Corona-Pandemie auf den Medikamentenkonsum auswirkte, ist aufgrund fehlender Daten aktuell unklar. Möglich ist, dass die allgemeine Verunsicherung bei gewissen Menschen zu einem Mehrkonsum führte. Hier wäre laut Sucht Schweiz ein zeitnahes Monitoring nötig.

Geldspiele: folgenreiche Öffnung von Online-Angeboten

Klarer ist der Bereich der Geldspiele. Hier birgt ein zufälliges zeitliches Zusammentreffen unabsehbare Folgen: „Die mit der Gesundheitskrise fast gleichzeitige Öffnung des Geldspielmarktes für Online-Angebote wird sich für manche Spielende stark auswirken“, prognostiziert der Bericht. Seit 2019 erlaubt das neue Geldspielgesetz, das Geldspiele auch online anzubieten. Geldspielangebote haben durch den nationalen Lockdown im letzten Frühjahr ein starkes Wachstum erlebt. Gleichzeitig nahm die Werbung für Online-Geldspielplattformen massiv zu, teils mit aggressiven Methoden: An Schweizer Bahnhöfen, im Internet, im TV und in personalisierten Newslettern fordern Anbieter zum Geldspiel auf. Das Werbevolumen für Glücksspiele erfuhr eine massive Zunahme allein im April 2020, mehr als die Hälfte betraf Online-Casinos. Die Werbeoffensive sowie die Mussestunden daheim dürften etliche Personen auch hierzulande dazu bewegt haben, Geldspiele auszuprobieren. Dazu kommen Spielende, die zuvor eigentlich nur in Casinos, also nicht online, spielten. „Diese Entwicklung ist aus Präventionssicht Besorgnis erregend, zumal Online-Geldspiele besonders problematisch sind: die Möglichkeit, gleichzeitig auf mehreren Plattformen zu spielen, die schnelle Spielabfolge, der permanente Zugang zum Geldspiel, keine soziale Kontrolle und der fehlende Bezug zum realen Geld zählen zu den Besonderheiten. Mehrere Studien bestätigen, dass wer online um Geld spielt, mehr Risiken eingeht und Probleme entwickelt“, so das Fazit im Bericht.

Schon vor der Pandemie spielten gut 3 Prozent der Bevölkerung exzessiv um Geld und fast jeder zehnte Online-Spieler hat deswegen Probleme. 18- bis 29-Jährige sind überdurchschnittlich betroffen. Darunter leiden auch nahestehende Personen. „Letzteren steht es zu, Probleme anzusprechen, den Betroffenen kein Geld zu leihen und bei Bedarf selber professionelle Beratung zu beanspruchen“, so der Bericht.

Kontrollverlust bei Internetnutzung

Die Online-Welt birgt auch ausserhalb von Geldspielen Gefahren. Bis zu 290’000 Personen in der Schweiz verlieren die Kontrolle über ihre Internetnutzung. Von der Corona-Pandemie sind sowohl Chancen als auch Risiken zu erwarten: Der digitale Graben zwischen Alt und Jung dürfte kleiner werden. Gleichzeitig riskieren jene einen Kontrollverlust, die z.B. emotionalen Stress zu regulieren versuchen und die schon vor der Pandemie Mühe bekundeten, ihr Nutzungsverhalten im Griff zu behalten. Während epidemiologische Daten darauf hindeuten, dass internetbezogene Störungen unter Frauen und Männern etwa gleich häufig auftreten, sind Mädchen und Frauen deutlich weniger in Behandlung als Männer. Fachleute gehen davon aus, dass Frauen sich eher wegen gleichzeitig auftretenden Erkrankungen in Behandlung begeben und Symptome der internetbezogenen Störung unbehandelt bleiben. Auch werden bei ihnen Probleme vom sozialen Umfeld weniger wahrgenommen. Hier besteht besonderer Handlungsbedarf, um das Problembewusstsein zu schärfen und eine Unterstützung zu ermöglichen.

Hilfsangebote nutzen

Sind die Probleme da, so schämen sich viele und trauen sich nicht, Unterstützung zu suchen. Menschen sollen mit ihren Konsumproblemen nicht alleine gelassen werden. Für sie gibt es Hilfe – Angebote existieren in allen Regionen. Sucht Schweiz appelliert an Betroffene, Angehörige und Arbeitgeber, frühzeitig Hilfe zu holen. Ein solcher Schritt zeugt von Mut und ist in der Krise zentral, um die negativen Auswirkungen der Pandemie auch langfristig zu begrenzen.

Mehr zu den Hilfsangeboten: www.suchtschweiz.ch/rat-und-hilfe/

Das gesamte Dossier: www.suchtschweiz.ch