Vor genau 75 Jahren, im Juni 1942, wurde die Widerstandsbewegung „Weisse Rose“ gegründet. Zum ihrem Kern gehörte neben den Geschwistern Scholl und Alexander Schmorell auch der Medizinstudent Christoph Probst. Wie seine Freunde bezahlte er seinen mutigen Einsatz gegen das Nazi-Regime mit dem Tod. Doch bis heute lebt sein Vermächtnis des Widerstandes gegen verbrecherische Diktaturen weiter.

Von Ralph Studer

Christoph Probst wurde am 6. November 1919 in Murnau geboren – ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und der Gründung der ersten deutschen Demokratie. Wirtschaftliche Not und politische Auseinandersetzungen charakterisierten die ersten Jahre der Weimarer Republik. Die distanzierte Rolle seiner Eltern zum späteren Nationalsozialismus prägte auch Christophs Persönlichkeit. Durch seinen Vater lernte er kulturelle und religiöse Freiheit kennen und wurde dadurch schon früh geistig herausgefordert, was ihm später in der Zeit des Nationalsozialismus half, sein kritisches und eigenständiges Denken auch unter schwierigen Umständen beizubehalten.

Schule, Studium und Familie

Auch Christophs Heimatort Murnau war von Unruhen erfasst und wurde bald zu einer Hochburg des Nationalsozialismus im bayerischen Oberland. Dem Hitlerregime gelang es in jener Zeit durch die Hitlerjugend, Jungen und Mädchen vom Elternhaus abzulösen und so für Adolf Hitler und den Nationalsozialismus zu begeistern. Auch Christoph geriet zunächst unter den Einfluss der Hitlerjugend, jedoch gelang es ihm, sich nicht durch sie vereinnahmen zu lassen. Nach einem Schulwechsel lernte er seinen Freund und späteren Mitkämpfer in der Widerstandsbewegung „Weisse Rose“, Alexander Schmorell, kennen. Mit Alexander verband ihn neben Sympathie und ähnlichem geistigen Denken die Begeisterung für Bergsteigen und Skifahren. Es entwickelte sich eine unzerreissbare Freundschaft.

Mit nur 17 Jahren schloss er das Abitur ab. Nach dem Arbeits- und Militärdienst begann er im Sommer 1939 sein Medizinstudium in München. Mit 21 Jahren heiratete er Herta Dohrn, mit welcher er drei Kinder hatte. Christoph war ein Familienmensch, wie der Brief vom 18. Oktober 1942 an Hans Scholl bezeugt: „Ach Hans, wenn man so dasitzt, ein Kleiner schaukelt im Wagen, der andere krabbelt einem auf den Schoss, dann geht einem das Herz auf und man zweifelt, ob man sich so viel Glück und Gnade verdient hat. Mit den Kindern zusammensein zu können ist ein so grosses Glück (…).“

Die Widerstandsbewegung „Weisse Rose“

Obwohl Christoph von seinen Eltern freireligiös erzogen wurde und nicht getauft war, war seine Haltung zum Leben und zu den Ereignissen von einer starken christlichen Glaubensüberzeugung geprägt. Christophs Distanzierung zum Hitlerregime vertiefte sich noch mehr, als er von den Euthanasie-Aktionen der Nazis in den Jahren 1939/1940 erfuhr, bei welchen „lebensunwertes“ Leben in den Heil- und Pflegeanstalten mit Gas und Gift beseitigt wurde. Seine Schwester Angelika hierzu: „Ich habe zunächst die ganze Abscheulichkeit des Geschehens nicht begriffen. Christoph machte sie mir klar. Er zeigte mir, dass kein Mensch, gleichgültig unter welchen Bedingungen, berechtigt ist, Urteile zu fällen, die allein Gott vorbehalten sind. Niemand, so sagte er, kann wissen, was in der Seele eines Geisteskranken vorgeht. Niemand kann wissen, welches geheime innere Reifen aus Leid und Jammer erwachsen kann. Jedes Leben ist kostbar. Wir sind alle Gottes Kinder.“

Durch seinen Freund Alexander Schmorell lernte Christoph 1941 Hans Scholl kennen. Trotz ihrer charakterlichen Unterschiede entstand eine feste Freundschaft. Bereits im Sommer 1942 verbreitete eine kleine Gruppe von Studenten um Hans Scholl und Alexander Schmorell unter dem Namen „Weisse Rose“ Flugblätter, welche zum passiven Widerstand gegen Hitler und den Nationalsozialismus aufriefen. Christoph Probst stiess erst später zur Weissen Rose, deren Mitglieder Studenten waren, die aus eher konservativ-bürgerlichen, aber christlich geprägten Elternhäusern entstammten. Sie beschäftigten sich in ihrer Freizeit viel mit Literatur, Philosophie, Religion und Musik. Massgebenden Einfluss auf die Studenten der Weissen Rose übten in der aktiven Zeit vom Frühsommer 1942 bis Februar 1943 die beiden katholischen Publizisten Professor Carl Muth und Theodor Haecker aus.

Nach Bekanntwerden der Niederlage der deutschen Armee in Stalingrad Anfang 1943 mit dem für Deutschland verheerenden Ausgang intensivierte die Widerstandsbewegung ihre Aktionen. Bei solchen teilweise lebensgefährlichen Aktivitäten der Gruppe sollte Christoph nach dem Willen seiner Freunde herausgehalten werden, d.h. sich nicht an der Vervielfältigung und Verteilung der Flugblätter beteiligen, um seine Frau und Kinder nicht zu gefährden. Christoph nahm, sooft er konnte, an den Treffen in München teil. Erst die aussichtslose Lage der deutschen Armee vor Stalingrad brachte ihn dazu, diese Zurückhaltung endgültig aufzugeben und auf Bitte von Hans Scholl ein Flugblatt zu entwerfen. Christoph machte darin unmissverständlich klar, dass Hitler und sein Regime fallen müssen, damit Deutschland weiterlebt.

Das sechste und letzte Flugblatt wurde am 18. Februar 1943 im Treppenhaus der Münchner Universität verteilt. Hierbei wurden Hans und seine Schwester Sophie Scholl beobachtet, verhaftet und von der Gestapo verhört. Bei der Verhaftung hatte Hans Scholl den Entwurf von Christophs Flugblatt in seiner Jackentasche. Er wollte das Flugblatt vernichten und zerriss es in Fetzen, die er aber nicht mehr beseitigen konnte. Die Gestapo wurde der Papierreste habhaft und fand heraus, dass Christoph der Verfasser war. Am 19. Februar 1943 wurde er in Innsbruck verhaftet und nach München überstellt.

Prozess und Hinrichtung

Nach der Überstellung folgten Verhöre bei der Gestapo. In diesen Verhören und der Gerichtsverhandlung bat er um Gnade wegen seiner jungen Familie. Auch Hans Scholl versuchte seinen Freund Christoph vor Gericht zu retten, doch ohne Erfolg. Am 22. Februar 1943 fand der Prozess gegen die Geschwister Scholl und Christoph statt, welche mit einem Todesurteil für alle Angeklagten endete. Christophs Abschiedsbriefe an seine Frau, Mutter und Schwester wurden nicht ausgehändigt; nur der Einblick in die Briefe wurde ihnen gestattet. Seine Mutter erinnert sich wie folgt: „Ich danke dir, dass du mir das Leben gegeben hast. Wenn ich es recht bedenke, so war es ein einziger Weg zu Gott (…). Mein einziger Kummer ist, dass ich euch Schmerz bereiten muss. Trauert nicht zu sehr um mich, denn das würde mir in der Ewigkeit Schmerz bereiten. Eben erfahre ich, dass ich nur noch eine Stunde Zeit habe. Ich werde jetzt die heilige Taufe und Kommunion empfangen. Wenn ich keinen Brief mehr schreiben kann, grüsse alle Lieben von mir. Sag ihnen, dass mein Sterben leicht und freudig war.“ An seine Schwester schrieb er: „Ich habe nicht gewusst, dass Sterben so leicht ist. Ich sterbe ganz ohne Hassgefühle. Bald bin ich noch viel näher bei euch als je. Ich werde euch einen herrlichen Empfang bereiten.“ Kurz vor seinem Tod empfing Christoph die Taufe und die heilige Kommunion durch den katholischen Gefängnisgeistlichen.

Angelika Probst würdigt in der Nachkriegszeit ihren Bruder Christoph wie folgt: „Sein ganzes Menschsein, bis in die kleinsten Äusserungen seines Wesens, war Ausdruck des LebendigGuten, Liebreichen und Wahrhaftigen (…). Diese Geschlossenheit seines Wesens verlieh seinen Worten eine mitreissende Einprägsamkeit und Überzeugungskraft und manchmal, wenn er sprach, (…) Letztgültiges zu sagen, berührte uns fast wie ein Hauch die Ahnung seines frühen Todes.“

Diese Worte dürfen nicht dazu führen, Christoph Probst als unerreichbaren Helden, als Übermensch erscheinen zu lassen. Im Gegenteil: Christoph war in vieler Hinsicht ein ganz normaler, junger Student wie viele andere damals und heute. Sein Leben war geprägt von der Liebe und Fürsorge zu seiner Frau und seinen Kindern, er ging begeistert in die Berge, genoss die Natur und pflegte die Freundschaft zu Hans und Alexander. Doch zeichnete ihn eines besonders aus: Er stand viel konsequenter als die meisten seiner Zeit zu seiner Überzeugung. Der französische Historiker Joseph Rovan sagt es treffend: „Aber immer wieder hat es Menschen gegeben, die nein gesagt haben, manchmal ganz allein, manchmal zusammen mit anderen, und dieser Verbrecherstaat hat sich gegen sie zur Wehr setzen müssen (…), indem er Christoph Probst sowie die Geschwister Scholl deshalb hinrichten liess.“

Ralph Studer ist Jurist mit Anwaltspatent, Mediator, dipl. Sekundarlehrer und Mitglied des Stiftungsrates bei Zukunft CH.