Während seines Besuchs in der Türkei hat der deutsche Bundespräsident Christian Wulff auch die Situation der christlichen Minderheit im Land angesprochen. Über die Auswirkungen der Rede des Bundespräsidenten auf die Zukunft der Christen in der Türkei und über deren aktuelle Lage hat das weltweite katholische Hilfswerk „Kirche in Not“ am vergangenen Wochenende den protestantischen Pastor Wolfgang Häde aus der nahe Istanbul gelegenen Stadt Izmit befragt. Pastor Häde ist Autor des Buchs „Mein Schwager – ein Märtyrer“, erschienen im Neufeld-Verlag. Herr Pastor Häde, wie zufrieden waren Sie mit der Rede des Bundespräsidenten?
Ich war froh darüber, dass er deutlich zur Situation der Christen im Land Stellung bezogen hat. Ebenfalls positiv fand ich, dass er auch weniger bekannte Probleme angesprochen hat, wie zum Beispiel die schwierige Anerkennung von Gemeinden als Rechtspersönlichkeiten, den schwierigen Unterhalt der Kirchen sowie die fehlende Möglichkeit der Ausbildung von Priesternachwuchs.
Gab es etwas, das Wulff vergessen hat?
Er hätte stärker betonen sollen, dass zur Religionsfreiheit auch der freie Religionswechsel gehört. Jeder Mensch muss seinen Glauben weitersagen dürfen und Menschen, die das wünschen, sollten auch ihre Religion wechseln dürfen.
Die Türkei will in die EU und muss daher die europäischen Standards bei den Menschenrechten und der Religionsfreiheit erfüllen. Gab es in den vergangenen Jahren Verbesserungen?
Durchaus. Bis vor wenigen Jahren war es zum Beispiel noch nicht möglich, dass christliche Gemeinden eine juristische Person sein konnten. Das ist jetzt in der Form von Vereinen möglich. Dennoch ist es für uns protestantische Christen nach wie vor sehr schwierig, Kirchengebäude zu errichten oder zu mieten. Die Rechtslage hat sich verbessert, aber die Praxis hängt noch zurück. Die Gesetzeslage ist besser als die gesellschaftliche Realität.
Ist die Türkei bei der Religionsfreiheit auf einem guten Weg?
Interessant ist, dass die Türkei schon seit längerer Zeit formell Religionsfreiheit gewährt. Es hat schon Ende der Achtzigerjahre ein höchstrichterliches Urteil gegeben, das ausdrücklich festgestellt hat, dass zur Religionsfreiheit auch das Recht gehöre, seine Religion zu propagieren und sich zu versammeln. Andererseits fehlte es an Ausführungsbestimmungen und klaren Stellungnahmen von hohen staatlichen Stellen. Es besteht also Rechtsunsicherheit und es gibt immer noch Schikanen gegen Christen, vor allem auf den unteren behördlichen Ebenen.
Haben Sie ein Beispiel für eine solche „Rechtsunsicherheit“?
Viele Türken glauben, es sei verboten in der Öffentlichkeit über seinen Glauben zu sprechen. Das ist aber schon lange nicht mehr der Fall. Ich kenne Christen, die in Istanbul mit Menschen über ihren Glauben gesprochen haben und denen die Polizei das verbieten wollte. Das hat sich mit Hilfe eines Anwalts schnell aufgeklärt. Aber solche Fälle zeigen, dass selbst die Polizei oft nicht über die rechtliche Situation im Bilde ist.
Das klingt, als gäbe es auch viel Willkür …
In der Tat. Vor kurzem hat die Vereinigung der protestantischen Kirchen einen ausführlichen Bericht vorgelegt, in dem sie unter anderem die Probleme beim Kauf oder Anmieten von Räumen für Gottesdienste schildert. Es gibt Bestimmungen, die eine gewisse Mindestgrö sse für einen solchen Raum oder ein Grundstück vorschreiben, was für die zumeist sehr kleinen protestantischen Gemeinden gro sse finanzielle Probleme darstellt. Au sserdem ist der Ermessensspielraum von unteren Beamten so gro ss, dass bei persönlichen Vorbehalten gegen Christen und das Christentum, Anträge einfach abgelehnt werden können.
Sind Christen also generell in der Türkei nicht angesehen?
Es gab vor ein oder zwei Jahren eine Umfrage in verschiedenen islamischen Ländern darüber, was die Menschen über Christen denken. Traurigerweise kam dabei heraus, dass in der Türkei die schlechteste öffentliche Meinung über Christen besteht. Menschen im Iran, in Indonesien oder Ägypten hatten sich viel positiver über Christen geäu ssert.
Woher kommt denn diese schlechte Meinung über die Christen?
Die Gründe dafür sind komplex. Vorurteile gegen Christen wurden jahrelang auch von höchsten politischen Stellen in der Türkei geschürt, was heute zum Teil etwas besser geworden ist. Immer wieder gibt es regelrechte Medienkampagnen gegen Christen. Seit langer Zeit stehen auch in den Schulbüchern viele falsche Dinge über Christen und das Christentum. Das wird erst jetzt langsam korrigiert.
Besteht ein Zusammenhang zwischen diesem Christenbild und gewaltsamen Übergriffen gegen Christen in der Türkei?
Ja, ganz sicher. Im Fall der Ermordung meines Schwagers Necati Aydin und der beiden anderen protestantischen Pastoren in Malatya im April 2007 hatten vorher lokale Zeitungen rei sserisch Stimmung gegen die dortigen Christen gemacht mit dem Tenor: „Jetzt sind die Missionare nach Malatya gekommen.“ Es wurde mit total übertriebenen Zahlen operiert, zum Beispiel, dass 46 neue Kirchen in Malatya gegründet worden seien.
Die Mörder von damals kamen aus dem nationalistischen Umfeld. In welchem Zusammenhang steht der Nationalismus zu Taten wie dieser?
Tatsächlich kann man sagen, dass Gewalttaten gegen Christen häufiger aus nationalistischen als aus religiösen Motiven verübt werden. Allerdings ist es oft auch eine Vermischung von Religion und Nationalismus, denn noch heute ist die Meinung weit verbreitet, ein echter Türke müsse Moslem sein. Ich glaube, wenn man es akzeptieren könnte, dass ein Türke, der sich freiwillig, mit vollem Herzen für das Christentum entscheidet, kein Verräter an der Nation ist, sondern sein Land ebenso lieben kann wie ein Muslim, dann wären wir einen bedeutenden Schritt weiter.
Volker Niggewöhner (Kirche in Not)