In mehreren europäischen Ländern finden Märsche für das Leben statt, um auf das anhaltende Unrecht der Abtreibung aufmerksam zu machen. In der Schweiz allerdings ist es verdächtig ruhig zu diesem Thema. Höchste Zeit also, öffentlich für das uneingeschränkte Lebensrecht werdender Kinder einzutreten. Am 18. September 2010 findet in Zürich die erste Schweizer Version, der „Marsch für s’Läbe“ statt. Beatrice Gall von Zukunft CH sprach mit Dr. Daniel Regli von der Familienlobby und Christoph Keel von Human Life International Schweiz, zwei Organisatoren des Anlasses.
Zukunft CH: Der Marsch fürs Leben hat in vielen Ländern eine lange Tradition. Wie hat die internationale Geschichte des Marsches für das Leben begonnen?

Keel: Am 22. Januar 1973 fällte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten einen verhängnisvollen Entscheid: Der Fall Jan Roe v. Wade erklärte sämtliche bundestaatlichen Regelungen, welche Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche einschränkten, als ungültig. Abtreibung sei eine „Privatsache“ und folglich ein Verbot derselben ein Eingriff in die Privatsphäre. Die mit einem Decknamen bezeichnete Frau „Jane Roe“, welche richtig Norma McCorvey heisst, outete sich später. Sie wurde eine bekennende Lebensrechtlerin und versuchte sogar, dieses verhängnisvolle Urteil rückgängig zu machen. Sie gestand, dass sie ihre dritte Schwangerschaft austrug, welche ihre Rechtsanwältinnen als Anlass für die Klage genommen hatten. Weiter offenbarte sie, dass diese Schwangerschaft nicht durch eine Vergewaltigung entstanden war, wie sie ursprünglich angegeben hatte. Dieses Urteil, in dem die Richter eine politische Entscheidung fällten, für welche sie gemäss der Gewaltentrennung nicht zuständig sind, beruht also weitgehend auf Lügen. Im Herbst des Jahres 1974 tat sich ein Personenkreis von Lebensrechtlern zusammen und plante für den ersten Jahrestag dieser Entscheidung einen Gedenkmarsch vor dem Capitol in Washington, also dem Parlamentsgebäude der Vereinigten Staaten. Dieser Marsch wurde seither ununterbrochen durchgeführt. Beim ersten Marsch nahmen rund 20’000 Leute teil, heute sind es durchschnittlich 200’000. Er gilt als die Lebensrechtsveranstaltung in den USA.

Zukunft CH: Wer ist in der Schweiz auf die Idee gekommen, nun auch hier einen Marsch fürs Leben durchzuführen? Und warum? Gab es vorher keinen „Bedarf“?

Regli: Die Familienlobby Schweiz wurde im März 2009 gegründet. Als eine wichtige Zielsetzung definierten wir von Anfang an den uneingeschränkten Lebensschutz werdender Kinder. Dieses Ziel und die Absicht, in der Schweiz einen Lebensrechtsanlass durchzuführen, kommunizierten wir umgehend auf unserer Webseite. In Folge signalisierten mit Human Life International (HLI) Schweiz und Christians For Truth (cft) zwei christliche Organisationen, die schon längere Zeit über öffentliche Aktivitäten zu Gunsten des Lebensrechts nachgedacht hatten, eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Nun organisiert eine Spurgruppe aus den drei oben genannten Organisationen den Anlass. Natürlich gibt es seit Einführung der Fristenlösung im Jahr 2002 einen speziellen Bedarf, öffentlich gegen die Abtreibung Stellung zu beziehen. Leider erfüllen die Schweizer Kirchen diesen Auftrag aber nur schlecht. Die Reformierten sind zumeist liberal und verteidigen sogar die Abtreibung. Katholiken und Freikirchen mögen eher gegen Abtreibung sein. Doch geben sie sich solche Mühe, gesellschaftlich guten Anklang zu finden, dass sie kaum mehr Worte des Tadels oder der Anklage über die Lippen bringen. Das ist doch kein Zustand, dass man zu furchtbarem Unrecht massenhaft schweigt! Darum entschieden wir uns, das Thema Lebensrecht mit dem „Marsch für s’Läbe“ öffentlich aufzugreifen.

Zukunft CH: Wie vielen Kindern wird in der Schweiz jährlich das Lebensrecht verweigert?

Keel: Die offiziellen Statistiken sprechen von über 10’000. Das heisst konkret, dass auf 1‘000 Geburten etwa 130 Abtreibungen kommen. Die „stillen“ Abtreibungen, welche durch abtreibende Verhütungsmittel wie die Pille, Pille danach und Spirale geschehen, sind in dieser Statistik nicht eingeschlossen. Doch die Statistik ist sehr ungenau: Einerseits, weil nachweislich Abtreibungen unter anderen Diagnosen verbucht werden wie etwa Fehlgeburten und Curettagen aus medizinischen Gründen, andererseits, weil niemand wirklich Interesse an einer genauen Abtreibungsstatistik hat. Doch auch wenn es nur noch eine Abtreibung in der Schweiz geben, ist das eine zu viel und ein „Marsch für s’Läbe“ wäre gerechtfertigt. Menschenwürde lässt sich nicht einfach mit Zahlen quantifizieren. Wie viele Einsteins, Beethovens oder Piccards sind uns bereits verloren gegangen?

Zukunft CH: Für den Schlussgottesdienst der Veranstaltung konnten Sie keine Kirche finden. Warum?

Regli: Zuerst haben wir angefragt, ob wir die Fraumünster-Kirche neben dem Zürcher Stadthaus benutzen dürften. Die Verantwortlichen des Fraumünsters hatten ihre Kirche letzten Sommer z.B. für die ökumenische Schlussfeier der Euro Pride 2009 hergegeben. Homosexuelle und Transsexuelle durften sich dort also die kirchliche Bestätigung für ihren Lebensweg abholen. So wollten wir herausfinden, ob es bei all dieser reformierten Weltoffenheit auch Platz hat für christlich motivierten Lebensschutz. Leider erfüllten sich unsere Befürchtungen und wir erhielten vom Fraumünster und von zehn weiteren Kirchgemeinden nur Absagen. Predigerkirche, Kirche Enge, St. Jakob, St. Anna und die Friedenskirche waren grundsätzlich nicht bereit, ihre Tore für Lebensrecht-Christen zu öffnen. Die anderen Kirchgemeinden begründeten ihre Absage mit logistischen Argumenten. So mussten wir uns entscheiden, den Gottesdienst Openair, also unter freiem Himmel, durchzuführen.

Zukunft CH: Es gibt eine Charta im Zusammenhang mit dem Marsch für s’Läbe. Was hat es damit genau auf sich?

Keel: Es war für die Organisatoren von Beginn an wichtig, eindeutig auszudrücken, warum wir für das Lebensrecht auf die Strasse gehen. Den Teilnehmenden ist so klar, hinter was sie sich stellen. Es herrscht Transparenz über die Werte, für welche der „Marsch für s’Läbe“ einsteht. Ausgangspunkt ist unsere Bundesverfassung, welche den Namen Gottes des Allmächtigen anruft, und der Satz: „Die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen“. Kinder vor der Geburt zählen wir zu den Schwächsten. Auch schwangere Frauen, welche alleine gelassen werden, zählen zu den Schwachen. Mit den jüngeren Entscheiden in der Schweizer Politik für die Fristen„lösung“, embryonale Stammzellenforschung, die vorgeburtliche Selektion durch Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik und der Schweiz als Destination für den Suizidtourismus wird genau dieser Schutz der Schwachen in Frage gestellt. Die Charta ruft zunächst zur Busse auf für die eigenen Unterlassungen, die Gleichgültigkeit überall dort, wo wir zu wenig für den Schutz der Schwachen getan haben. Dann ist sie auch ein Bekenntnis für einen verstärkten Einsatz in der Zukunft. Unrecht soll nie zum Recht erklärt werden.

Zukunft CH: Mit dem Marsch wird auch ein neues Abtreibungsverbot angestrebt – ist das nicht ein Wunsch mit wenig Aussicht auf Erfolg?

Regli: Es ist ähnlich wie mit einer Schneeflocke: Natürlich hat eine Schneeflocke zu wenig Kraft, eine dicken Baumast zu brechen. Dennoch: Wenn das Mass voll ist, bedarf es einer letzten Flocke und der Ast bricht. Klar – auch ich kann nicht versprechen, dass wir bis zu einem bestimmten Zeitpunkt ein erneutes Abtreibungsverbot hinkriegen. Ich weiss nicht, wie viele Schneeflocken es braucht. Aber etwas weiss ich: dass es unsere Pflicht ist, gegen das himmelschreiende Unrecht anzukämpfen. Jede Kultur, die staatlich legitimierte Menschenopfer bringt, ist eine sterbende Kultur. Sie wird früher oder später von der Weltbühne verschwinden. Es ist höchste Zeit, aus der Todesspirale herauszutreten! Wir müssen umkehren, und wir dürfen unseren Glauben und unsere Hoffnung in die Waagschale legen. Wir dürfen beten und arbeiten. Wir sollen eine Zukunftsvision für unser Volk hegen. Wir müssen nicht glauben, dass der Mist schon gefahren ist. Wir dürfen aufstehen und Umkehr einfordern.

Zukunft CH unterstützt den Marsch mit einer Trägerschaft. Der Präsident von Zukunft CH, Pfr. H. Stückelberger, wird den Abschlussgottesdienst des Marsches mit leiten und gestalten. Wir rufen möglichst viele Befürworter des Lebens auf, am 18. September 2010 teilzunehmen und für das Recht auf Leben einzustehen. Informationen gibt es im Internet unter www.marschfuerslaebe.ch. Dort finden sich auch die Angaben zum Unterzeichnen der Charta. Flyer zum Verteilen können online bestellt werden oder unter: Marsch für s’Läbe, Postfach 155, 8046 Zürich.

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Programm
„Marsch für s’Läbe“: 18. September 2010 in Zürich

14.00 Uhr: Beginn auf dem Zürcher Helvetiaplatz mit einer Kundgebung. Programm: Musik, kurze Zeugnisberichte, das Verlesen der Charta, Gebet, Stellungnahme von Nationalrätin Dr. Yvette Estermann, SVP, wie wir als Christen ein neues Abtreibungsverbot angehen können.

15.00 Uhr: Bekenntnismarsch durch die Strasse Zürichs, aufgeteilt in zwei Segmente: Den ersten Teil bildet ein Trauermarsch, welcher der Kinder gedenkt, denen in der Schweiz das Lebensrecht verweigert wurde und wird. Der zweite Teil, das Läbesfäscht, feiert die wunderbare Fülle des Lebens und ermutigt dazu, Leben anzunehmen und zu erhalten.

16.30 Uhr: Abschlussgottesdienst auf dem Helvetiaplatz unter freiem Himmel.

www.marschfuerslaebe.ch

Interview mit Daniel Regli (Familienlobby) und Christoph Keel (Human Life International Schweiz)