Die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) macht am heutigen Mittwoch auf die Einschränkung der Religions- und Gewissensfreiheit in Aserbaidschan aufmerksam. Das Gastland des Eurovision Songcontest garantiere zwar in seiner Verfassung Religionsfreiheit, nach Einschätzung der IGFM werde diese Freiheit in der Praxis aber vielfach durch bürokratische Hürden und Willkür eingeschränkt und teilweise ausgehebelt. Ziel der Kontrolle seien gleichermassen muslimische und christliche Gemeinden. Besonders stark betroffen seien aber vor allem kleinere christliche Glaubensgemeinschaften wie Baptisten oder die Sieben-Tage-Adventisten, so die IGFM.
Nach staatlichen Angaben sind nominell rund 96 Prozent der Bevölkerung Muslime, davon etwa ein Drittel sunnitisch und zwei Drittel schiitisch. Die übrigen Einwohner sind vorwiegend russisch-orthodoxe, armenisch-apostolische Christen oder Atheisten. Nach der Unabhängigkeit Aserbaidschans 1991 ist die freie Ausübung von Religion mehrfach durch Gesetze und Verordnungen reglementiert und eingeschränkt worden. Allein das Gesetz zur Religionsausübung wurde seit der Verabschiedung im Jahr 1992 bisher 14 Mal geändert.
Am gravierendsten ist der Zwang zur staatlichen „Registrierung“. Im Jahr 2010 mussten sich alle religiösen Gruppen in Aserbaidschan neu registrieren lassen, unabhängig von ihrem früheren Status. Ohne diese Zulassung sind jegliche religiöse Aktivitäten verboten und werden mit hohen Geldstrafen geahndet.
Für die grossen Glaubensgemeinschaften erfolgte die Neuregistrierung relativ problemlos, während gleichzeitig von rund 800 Anträgen kleinerer Glaubensgemeinschaften hunderte nicht entschieden wurden. Diese Religionsgruppen sind damit de facto in die Illegalität gedrängt. Beispielhaft ist die baptistische Gemeinde in Neftechala, die bereits seit 1952 existierte und vor 2010 als religiöse Gemeinschaft registriert war. Sie erhielt beim Neuantrag bis zum Stichtag keine Rückmeldung und wurde letztendlich im Dezember 2011 zwangsweise geschlossen.
Bisher wurden die religiösen Gruppen in Aserbaidschan seit 1992 insgesamt fünfmal gezwungen, sich staatlich registrieren zu lassen. Zehn Gemeinden wurde die Registrierung bisher formell verweigert. Darunter befinden sich eine Moschee-Gemeinde, eine internationale christliche Gemeinde und Gemeinden der Baptisten, der Sieben-Tage-Adventisten und der Zeugen Jehovas. Auch registrierte Gemeinden können Opfer von Durchsuchungen und anderen behördlichen Schikanen sein. Erst am 12. Mai drangen Polizisten in die Adventistengemeinde in Gynaja ein und verlangten von den rund 50 anwesenden Minderjährigen schriftliche Genehmigungen der Eltern, dass ihre Kinder an dem Gottesdienst teilnehmen durften. Kinder und Erwachsene wurden über Stunden festgehalten und befragt.
IGFM-Hörfunkspot: „Der Sound von Baku“
Die IGFM will in diesen Tagen, in denen Europa in Baku eine grosse Eurovision Songcontest-Party feiert, verstärkt auf diese Missstände aufmerksam machen, und zwar mit einem Radio-Spot, der die ESC-Fans wie ein trojanisches Pferd überrumpelt. Denn er bringt die Hörer zunächst mit einem Gute-Laune-Song in Stimmung, um sie wenige Sekunden später mit dem zu konfrontieren, wie die Machthaber abseits der Glamour-Welt mit ihren Kritikern umgehen. Das Konzept wurde entwickelt von der Düsseldorfer Agentur Euro RSCG und zusammen mit den nhb studios Düsseldorf pro bono umgesetzt. Unterstützt wird die Kampagne ausserdem von vielen privaten Radio-Stationen in ganz Deutschland, die den Spot kostenlos senden.
Zum IGFM-Hörfunkspot: „Der Sound von Baku“ (38 Sekunden, mp3-Datei, 1,45 MB):