Die „Solidaritätsgemeinschaft Kamp Armen“ wirft in ihrer neuesten Aussendung von Ende Mai den türkischen Behörden „Verschleppungstaktik“ bei der Rettung des armenischen Waisenhauses von Istanbul vor seiner Zerstörung vor. Erste Jubelmeldungen, der Eigentümer habe auf den Abbruch des Gebäudes verzichtet, seien verfrüht, da die zuständige Behörde der Rückwidmung des Grundstückes an die armenische Waisenhausstiftung noch immer nicht zugestimmt hat. Die christliche Menschenrechtsaktivistin Ira Tsourou fürchtet, dass die Angelegenheit bis zu den türkischen Neuwahlen am 7. Juni verschleppt und dann erst recht mit dem Untergang des historischen Waisenhauses enden wird.
Bei dem Waisenhaus handelte es sich ursprünglich um eine Volksschule der armenisch-evangelischen Gemeinde von Akritas (heute: Tuzla), einem asiatischen, östlichen Christenvorort von Istanbul. Nach Vertreibung der christlichen Bevölkerung 1923 wurden in dem nun leer stehenden Haus Kinder untergebracht, die den Genozid der Türkei an den Armeniern überlebt hatten. Viele dieser Kinder mussten arbeiten. Mit einem Teil ihres Lohns wurde die kleine Schule zum heutigen „Kamp Armen“ ausgebaut. 1980 enteignete der türkische Staat die Liegenschaft, obwohl es sich bei ihr um eine auch nach seinen Gesetzen geschützte religiöse Stiftung (Vakuf) handelte. Später verkaufte die Regierung die Immobilie an einen Privatmann. Er liess das Waisenhaus weitermachen, bis er sich jetzt angesichts des Baubooms in Istanbul entschloss, das „Kamp Armen“ abzureissen und Wohnhäuser zu errichten. Seinen Bulldozern werfen sich seitdem Demonstrantinnen und Demonstranten für die Erhaltung des Waisenhauses entgegen. Die türkische Regierung zeigt sich an seiner Beseitigung interessiert, da es an den Armeniergenozid von 1915 erinnert, seit dessen Beginn im April 100 Jahre vergangen waren.

Von Heinz Gstrein