Der St. Galler Bischof Markus Büchel, designierter Präsident der Schweizerischen Bischofskonferenz und Martin Werlen, Abt des Klosters Einsiedeln, kritisierten am 20. November 2012 gegenüber blick.ch die Volksinitiative «Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache». Die Initiative, die im Juli 2012 mit 111‘000 Unterschriften eingereicht worden ist, fordert, die Finanzierung der Abtreibung aus dem Leistungskatalog der obligatorischen Krankenversicherung zu streichen.
Initiative stärkt „Zweiklassen-Medizin“

Für die Kirche sei der Schutz des Lebens absolut zentral, erklärte der Bischof gegenüber dem Blick. Die Initiative führe jedoch „an diesem Ziel vorbei“, da es ihr nur um die Finanzierung der Abtreibung gehe. Zudem werde es immer wieder Frauen geben, die sich für eine Abtreibung entscheiden würden. „Das können wir als Kirche nicht verhindern, das wird auch die Initiative nicht verhindern“, gibt der Bischof zu bedenken. Der Bischof argumentiert weiter, dass die Initiative Frauen in finanziell schwachen Verhältnissen viel stärker treffe als Frauen in finanziell besseren Verhältnissen. Büchel sieht die Initiative daher als einen „Schritt in eine Zweiklassen-Medizin“ und lehnt sie ab.

Die Initiative auf eine Kostenfrage zu reduzieren, wie es Bischof Büchel tut, zielt aber am Anliegen der Initianten vorbei. Diesen geht es vielmehr um eine grundsätzliche Haltung gegenüber dem Leben. „Abtreibungen seien keine Krankheit“ und sollen deswegen aus dem Leistungskatalog gestrichen werden, liest man auf der Homepage der Initiative privatsache.ch. Die Initiative will auch sicherstellen, dass die „obligatorische Krankenversicherung eher Leben rettet und heilt, nicht aber Leben vernichtet“. Zudem will man finanzielle Anreize durch die Krankenversicherung stoppen, Schwangerschaften abzubrechen. Das, so hoffen die Initianten, werde die Anzahl der Abtreibungen reduzieren. Doch all dies scheint die Haltung des Bischofs nicht zu beeinflussen.

Jeanne Smits, Chefredakteurin der französischen Zeitung Présent, schreibt hierzu auf ihrem Blog leblogdejeannesmits.blogspot.ch: „Man meint zu träumen: Der kirchliche Würdenträger scheint mehr durch seine kollektivistische Sicht der Medizin und der Krankenkasse beschäftigt zu sein als mit dem Anliegen vieler Schweizer, mit der Tötung der Kleinsten in keiner Weise und insbesondere nicht durch die Mitfinanzierung der Eingriffe etwas zu schaffen zu haben.“

Abtreibung ist nicht Privatsache

Der Abt von Einsiedeln, Martin Werlen, würdigt in ähnlich skurriler Logik gegenüber Blick zwar die gute Absicht der Initiative, „gegen die institutionalisierte ‚Normalität‘ der Abtreibung“ anzutreten. Stellt sich dann allerdings gleich auf die Seite der Gegner: «Aber die Initiative stellt das Prinzip der Abtreibung nicht in Frage, sondern reduziert sie zu einer Privatangelegenheit. Das ist sie aber gerade nicht.»

Der Abt hat zwar Recht wenn er meint, dass es die primäre Aufgabe der Kirche sei, „sich so gut wie möglich einzusetzen, dass es gar nicht zu Abtreibungen kommt“. Auch ist ihm zuzustimmen, wenn er die Abtreibung prinzipiell nicht für eine Privatsache, sondern für ein Problem hält, das letztlich eine gesamtgesellschaftliche Lösung erfordert. Ist man aber deswegen verpflichtet, solange zur Finanzierung der Tötung ungeborener Kinder beizutragen, bis ein gesellschaftlicher Konsens gegen Abtreibung erreicht ist? Nur weil Abtreibung ein gesellschaftliches Problem ist, heisst das nicht, dass auch die Schuld daran kollektiviert werden muss!

Es ist für viele Christen unterschiedlicher Konfession unverständlich, wieso Abt Werlen und Bischof Büchel in der Initiative „Abtreibungsfinanzierung ist Privatsache“ nicht ein wichtiges Signal an die Gesellschaft und einen Beitrag zu einer gesamtgesellschaftlichen Diskussion über die „Normalität“ der Abtreibung sehen können. Auch der Blick versteht die Kehrtwende der beiden katholischen Geistlichen nicht. Ihre Argumentation sei „insofern überraschend“, als sich die Schweizerische Bischofskonferenz im Abstimmungskampf über die Fristenregelung, die 2002 vom Volk angenommen worden ist, eindeutig auf die Seite der „radikalen Abtreibungsgegner“ gestellt habe.

Bleibt nur zu hoffen, dass die „Logik“ von Büchel und Werlen in der Bischofskonferenz, die sich Anfang Dezember mit der Initiative beschäftigen wird, nicht durchsetzen wird.

Von Dominik Lusser