Am 29. Oktober 312, also vor genau 1700 Jahren, besiegte Konstantin I. in der Schlacht an der Milvischen Brücke seinen Rivalen Maxentius und wurde damit zum alleinigen Herrscher im römischen Westreich. Weltgeschichtliche Bedeutung kommt der Schlacht an der Tiberbrücke im Norden Roms deswegen zu, weil der siegreiche Konstantin in der Folge eine christenfreundliche Politik betrieb und damit den Aufstieg des Christentums zur kulturprägenden Religion in Europa einleitete.
Bereits das von Kaiser Galerius im Jahre 311 verabschiedete Toleranzedikt beendete die Christenverfolgung im Ostteil des Römischen Reiches. Die Schlacht bei der Milvischen Brücke markiert aber dennoch aus späterer Sicht zusammen mit der Mailänder Vereinbarung von 313, durch welche den Christen im ganzen Reich Religionsfreiheit zugestanden wurde, den Übergang zu einer christenfreundlichen Politik, da Konstantin seinen Sieg dem Wirken des Gottes der Christen zuschrieb und sich auch persönlich dem Christentum zuwandte.

Wie der Kirchenschriftsteller Eusebius von Caesarea – Zeitgenosse Konstantins – berichtet, soll Konstantin vor der Schlacht ein leuchtendes Kreuz mit der Inschrift „In diesem Zeichen siege!“ erschienen sein. Konstantin wählte daraufhin das Christusmonogramm als Feldzeichen für seine Truppen und errang den Sieg.

Humanisierung der römischen Gesellschaft

Auch wenn die meisten Historiker die Historizität dieser Erscheinung anzweifeln, gilt doch als gesichert, dass Konstantin unmittelbar nach seinem Sieg eine Wende zum Christentum vollzogen hat. So verzichtete er etwa nach seinem Einzug in Rom auf die üblichen heidnischen Dankopfer auf dem Kapitol. Und schon im Februar 313 erliess er das sogenannte Toleranzedikt von Mailand, welches allen Bewohnern des Römischen Reiches Religionsfreiheit brachte.

Als Religion des Kaisers erfuhr das Christentum von da an regen Zulauf. Der Kaiser gab den Christen beschlagnahmten Besitz zurück, befreite den Klerus von der Steuer und liess repräsentative Kirchen errichten. Das Christentum wurde immer mehr zur gestaltenden Kraft des öffentlichen Lebens und der Kultur. Im Rahmen moralischer Reformen verbot Konstantin im Jahre 315, die Gesichter von Kriminellen, die als Arbeiter in die Bergwerke oder als Gladiatoren in die Arenen geschickt wurden, mit dem Brandstein zu markieren, ebenso das Brennen der Gesichter von Sklaven, mit der Begründung, dass das menschliche Gesicht „das Bild der himmlischen Herrlichkeit“ sei. Aus Respekt vor dem christlichen Kreuz verbot er die Kreuzigung, die damals grausamste Form der Hinrichtung. 321 setzte Konstantin den Sonntag als wöchentlichen Feiertag fest. Auch unter Konstantins Nachfolgern setzte sich der christliche Einfluss fort. So verbot Kaiser Valentinian I. im Jahre 374 Abtreibung, Kindstötung und Kindsaussetzung.

Christentum wird Staatsreligion

Bei allen positiven Effekten, welche der zunehmende Einfluss der christlichen Religion auf die römische Gesellschaft mit sich brachte, entstanden nach der „Konstantinischen Wende“ auch neue Probleme. Insbesondere nach der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion im Jahre 380 rückte die Kirche zusehends in ein engeres Verhältnis zur politischen Macht, von welcher sie sich bis weit in die Neuzeit hinein nie mehr ganz hat lösen können. Über viele Jahrhunderte erblickte die Kirche in der römischen Reichsgewalt und später im mittelalterlichen Kaisertum den Garanten nicht nur ihrer eigenen Freiheit, sondern auch der Wahrung religiöser Rechtgläubigkeit.

Als Kehrseite dieser Entwicklung kam aber auch die Kirche selbst immer wieder unter den Druck weltlicher Herrscher, welche das Christentum ganz in der Tradition römischer Staatsreligion für die politische Stabilität des Reiches zu instrumentalisieren versuchten. Die römischen wie die mittelalterlichen Kaiser fassten ihre Herrscherfunktion als sakrales Amt auf und griffen in innerkirchliche Angelegenheiten ein, was von Beginn an den Widerstand der Christen hervorrief.

Auf dem Weg zum säkularen Staat

In Rückbesinnung und Aktualisierung des in der Bibel überlieferten Prinzips, dass die Gnade der Erlösung die Schöpfungsordnung nicht überflüssig mache und verdränge, sondern bestätige („Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, Gott aber, was Gottes ist!“), verteidigten christliche Theologen wie zum Beispiel Augustinus schon zu Beginn des 4. Jahrhunderts die Unterschiedenheit von Kirche und Staat und unterstrichen den weltlichen Charakter der politischen Herrschaft. Diesen Kampf um die Freiheit der Kirche und des Glaubens setzten die mittelalterlichen Päpste gegen die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches fort und erreichten schliesslich – wie Martin Rhonheimer in seinem Buch „Christentum und säkularer Staat“ zeigt – „die definitive Säkularisierung (…) der politischen Gewalten“. Dieser wichtige Schritt “war zwar noch nicht die Geburtsstunde der politischen Neuzeit, wohl aber der Beginn ihrer embryonalen Entwicklung. Sie wurde nicht durch Politiker und aus politischen Interessen, sondern durch die Päpste und aufgrund religiöser Anliegen und mit theologischen Argumenten eingeleitet.“

Obwohl im 18. und 19. Jahrhundert oft auch gegen den Widerstand der christlichen Kirchen erstritten, so ist die heute selbstverständliche Säkularität der europäischen Staaten keinesfalls ausschliessliches Produkt einer nicht-christlichen Aufklärung. Von ihrem Ursprung her ist sie viel eher die Frucht der zivilisatorischen Kraft des Christentums, welches die legitime und gottgewollte Unterschiedenheit von Schöpfungs- und Heilsordnung nach der „Konstantinischen Wende“ gegen die Verabsolutierung politischer Macht erfolgreich verteidigt hat.