Nach klaren Verstössen bei der Verabschiedung der Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften (IGV) im Juni 2024 verletzt die WHO beim geplanten Pandemievertrag abermals ihre eigenen Vorgaben. Angesichts dieser offenkundigen Faktenlage ist es umso unverständlicher, dass der Bundesrat schweigt und sich gegen diese Rechtsverletzungen für die Schweiz nicht zur Wehr setzt.  

Von Ralph Studer

Vor knapp einem Jahr hat die Weltgesundheitsversammlung (WGV) in einem fragwürdigen Verfahren unter Verletzung eigener Vorschriften die IGV-Änderungen angenommen (Zukunft CH berichtete darüber).

„Verstoss gegen rechtsstaatliche Prinzipien“

Werfen wir einen Blick zurück. Am 17. April 2024 wurde ein konsolidierter Entwurf mit einschneidenden Neuerungen – darunter ein internationaler Finanzierungsmechanismus und Massnahmen zur Bekämpfung von Desinformation – veröffentlicht. Laut Art. 55 Absatz 2 IGV hätten die wesentlichen Änderungsvorschläge spätestens am 27. Januar 2024 allen WHO-Vertragsstaaten vorliegen müssen. Die finale Fassung lag jedoch erst am Tag der Abstimmung, am 1. Juni 2024, vor. Ein solches Vorgehen „verstösst nicht nur gegen die IGV selbst“, wie das Aktionsbündnis freie Schweiz (ABF) zu Recht schreibt, „sondern auch gegen rechtsstaatliche Grundprinzipien – denn was nicht rechtzeitig vorliegt, kann auch nicht ordentlich geprüft werden.“

Konsensverfahren ist nicht vorgesehen

Trotz dieser Tatsachen legt die Schweiz keinen Widerspruch gegen dieses Vorgehen ein. Dazu kommt, dass die Abstimmung im WGV-Plenum am 1. Juni 2024 über die IGV-Änderungen im „Konsensverfahren“ erfolgte ohne vorherige Traktandierung und ohne Zählung der anwesenden Stimmberechtigten, der Ja-Stimmen, der Nein-Stimmen und der Enthaltungen.

Der Beschluss über eines der wichtigsten Rechtsgeschäfte der WHO und ihrer Mitgliedstaaten wurde somit ohne Gewissheit getroffen, ob das notwendige 51-Prozent-Quorum tatsächlich erreicht worden war. Die bei WGV-Abstimmungen massgebenden Art. 72ff. der WHO-Geschäftsordnung erlauben verschiedene Varianten von Stimmenzählung (Handerheben, elektronisch und geheim), jedoch nicht dieses hier angewandte Konsensverfahren. Dies ist also ein klarer Verstoss gegen die eigenen rechtlichen Vorgaben, der noch gravierender wird, wenn der Bundesrat nicht bis zum 19. Juli 2025 Widerspruch gegen diese IGV bei der WHO einlegt. Tut er dies nicht, treten diese IGV-Änderungen automatisch für die Schweiz per 19. September 2025 in Kraft.

Entwurf des Pandemievertrags liegt nicht vor

Beim aktuellen Verstoss der WHO geht es erneut um die eigene Geschäftsordnung. Gemäss Art. 15 dieser Geschäftsordnung müsste ein offizieller Entwurf des Pandemievertrags, über den anlässlich der 78. WGV vom 19. bis 27. Mai 2025 in Genf abgestimmt werden soll, den WHO-Mitgliedstaaten spätestens sechs Wochen vor Sitzungsbeginn zugestellt werden.

Bis anfangs Mai 2025 war allerdings kein offizieller Vertragsentwurf öffentlich zugänglich – weder auf der Homepage der WHO noch auf derjenigen des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Lediglich ein geleakter Entwurf vom 16. April 2025 ist durchgesickert.

Der letzte verfügbare Entwurf auf der Webseite der WHO stammt aus der Vorverhandlungsphase und ist mit dem 27. Mai 2024 datiert. Somit existiert bis heute keine offizielle Publikation, keine Übersetzung, keine Möglichkeit zur öffentlichen Prüfung.

Trotz Rechtsverletzungen: Bundesrat schweigt weiterhin

Damit missachtet die WHO erneut Verfahrensregeln und Fristen. Dies ist eine weitere eklatante Verletzung gegen demokratische und rechtsstaatliche Grundsätze. Statt aus den Verfehlungen bei der Verabschiedung der IGV zu lernen und verlorenes Vertrauen wiederherzustellen, verspielt die WHO ihre letzte Glaubwürdigkeit. Ein verlässlicher Partner sieht anders aus.

„Umso unverständlicher“, schreibt ABF Schweiz zutreffend, „ist das anhaltende Schweigen des Bundesrats, der es versäumt, die im Raum stehende Frage zu klären, ob die Inhalte des Pandemievertrags überhaupt mit der Schweizer Verfassung und Gesetzgebung vereinbar sind.“

Es gehört zu den verfassungsmässigen Aufgaben des Bundesrats, die Souveränität der Schweiz zu schützen, die Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten und Schaden von den Bürgern fernzuhalten. Die Frage ist ernsthaft zu stellen: Wann nimmt der Bundesrat endlich seine Aufgabe bei diesen WHO-Verträgen wahr und setzt sich für die Interessen unseres Landes ein?