Die Frage nach dem Menschsein des Embryos wird schon seit Jahrzehnten in ungezählten Publikationen kontrovers diskutiert. Biotechnische Manipulationen wie Klonen, Stammzellforschung, Präimplantationsdiagnostik (PID) sind Schlagworte, die täglich die Medien beschäftigen. Dabei wird genügend Widersprüchliches vertreten, was es dem interessierten Fachfremden oft erschwert, sich hinter dem Wust von Informationen zurechtzufinden. Der Terminus Embryo bezeichnet das Entwicklungsstadium des menschlichen Lebens vom Zeitpunkt der Befruchtung an bis zum dritten Monat. Danach spricht man von einem Fötus. Diese medizinisch technischen Begriffe haben sich auch im täglichen Sprachgebrauch etabliert. Es gab Zeiten, in denen man in Bezug auf das werdende Leben von einem „Kind“ sprach. Embryo und Fötus hingegen versachlichen das, was hinter diesen Begriffen liegt: den Menschen mit seiner personalen Würde. Eine Mutter wird davon sprechen, dass sie ein Kind erwartet und nicht einen Embryo, einen Fötus oder gar einen Zellhaufen. Der Embryo ist also ein Jemand und nicht ein Irgendetwas, über das ohne moralisch-ethische Bedenken verfügt werden kann. Für jene, die den Embryo zum Zwecke des Experimentierens glauben gebrauchen zu dürfen, darf er aber kein voller Mensch sein, vor allem nicht ein von Gott geschaffenes Geschöpf, denn mit einem selbstorganisierten Produkt der Evolution lässt es sich unbeschwerter experimentieren. Das Festhalten an einer unumschränkt wertfreien Forschung degradiert den menschlichen Embryo jedoch immer mehr zu einer Sache.
Entwicklung als Mensch, nicht zum Menschen

Die biologische Sichtweise ist notwendig, jedoch nicht hinreichend. Von entscheidender Bedeutung ist die Frage, was den Menschen von anderen Lebewesen unterscheidet, was ihn als Mensch erkennen lässt, vor allem welche Würde ihm gegeben ist. Bei der Beschreibung von Lebensvorgängen genügen nicht allein Darstellungen molekularer und biologischer Vorgänge. Der Mensch ist mehr, als was mit naturwissenschaftlichen Methoden nachgewiesen werden kann. Seine Geist-Seele-Einheit prägt auch seine Gestalt, die sowohl eine quantitative als auch eine qualitative Dimension besitzt. Mit dem Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei und Samenzelle beginnt das artspezifische menschliche Leben, ein neues Individuum entsteht, das sich kontinuierlich als Mensch und nicht zum Menschen entwickelt. Was sich im Laufe seiner Entwicklung ändert, ist nur das Erscheinungsbild. Der Mensch ist dadurch „der ganz Andere der Schöpfung“ (Adolf Portmann, schw. Zoologe, †1982), mit einer menschlichen Identität und Würde ausgestattet. Entweder ist das Ich da oder es ist nicht da; dass ein Un-Ich zuerst ein Vor-Ich, dann ein Kaum-Ich und dann – immer „icher“ werdend – ein Ich-bin-Ich wird, ist so undenkbar wie ein viereckiger Kreis (Max Thürkauf, schw. Naturwissenschaftler, †1993).

Dass dies in der heutigen Diskussion um die verbrauchenden embryonalen Stammzellen bestritten wird, ändert nichts an der Tatsache. (Bei der Gewinnung embryonaler Stammzellen wird der Embryo in der ersten Phase seiner Existenz zerstört.) Genügend wissenschaftliche Beweise sind vorhanden. Nicht zuletzt die „Humanembryologische Dokumentationssammlung Blechschmidt“, die Rekonstruktionen der menschlichen Frühentwicklung zeigt. Der Göttinger Anatom und Humanembryologe Erich Blechschmidt hat in jahrzehntelanger Forschungsarbeit zeigen können, dass die Entwicklung des menschlichen Embryos, der biologisch individualspezifisch ist, sich von Anfang an von allen tierischen Embryonen klar unterscheidet. Auch die ersten Stunden eines Menschen gehören zu seiner Biographie. Diese Arbeit von hoher wissenschaftlicher Präzision ist frei von jeder Spekulation. Es handelt sich ausschliesslich um wissenschaftlich erwiesene Tatsachen. Für biotechnische Manipulationen im Bereich der embryonalen Stammzellenforschung sind jedoch die ersten sieben Tage nach der Fertilisation (Befruchtung) relevant. Vor allem in diesem Zeitabschnitt bedarf es des Auges des Fachmanns, um den Menschen schon an seiner Gestalt erkennen zu können, wenn erst wenige Tage seit seiner Empfängnis verstrichen sind.

Zweifel an embryonaler Stammzellenforschung

Ungeachtet der Studien, die begründete Zweifel an der Tauglichkeit embryonaler Stammzellen zu therapeutischen Zwecken anmelden, wird immer noch die Verheissung auf Heilung für Krankheiten, für die bisher wenig Heilungschancen bestanden, propagiert. Nicht wenige Forscher stehen jedoch einem therapeutischen Einsatz embryonaler Stammzellen skeptisch gegenüberstehen. Die Gefahr einer unkontrollierten Gewebewucherung, also einer Tumorbildung, ist gross. Dass sich die Forschung an humanen embryonalen Stammzellen als Fehlschlag erwiesen hat, sollte nach den bekannt gewordenen Erfolgen mit adulten (erwachsenen) Stammzellen einsichtig geworden sein. (Adulte Stammzellen können dem Körper entnommen werden, ohne dass dieser ernsthaften Schaden erleidet.) Selbst Jan Wilmut, der Schöpfer des Klon- Schafs Dolly, hat sich von dieser Embryonen verbrauchenden Wissenschaft distanziert. Daher stellt sich die Frage, was Verantwortungsträger veranlasst, an einer Forschung festzuhalten, die sowohl ethisch als auch wissenschaftlich nicht zu verantworten ist.

Profit und Macht statt Erkenntnis

Eine Antwort gibt uns der 2003 verstorbene Biochemiker von internationalem Rang, Erwin Chargaff, in seinem posthum veröffentlichten Werk „Stimmen im Labyrinth“: „Die Wissenschaft ist längst zur Technologie geworden, ist zur Herstellung von Entdeckungen um des Geldes willen herabgesunken.“ Wie tief der Fall ist, zeigt sich in den Anstrengungen der „commis voyageurs der Wissenschaft“, sich die Rechte ihrer Forschungsergebnisse zu sichern. „Sie beraten Regierungen und flüstern ihnen zu, welche Förderprogramme aufzulegen und welche Gesetze abzuschaffen sind. Sie sind Unternehmer und Lobbyisten in eigener Sache. Statt um pure Erkenntnis ringen sie heute vornehmlich um den grösstmöglichen Profit.“ Am internationalen „Human Genome Project“, das 1990 in den USA gestartet wurde, arbeiten „mehr als 1‘000 Wissenschaftler aus 40 Ländern.“ Ein Budget von drei Milliarden Dollar soll es ermöglichen, „die exakte Abfolge sämtlicher Bausteine der menschlichen DNS“ zu ermitteln.

Die Zukunftsszenarien, die sich die Gen-Ingenieure in ihren Laboratorien erbasteln, haben das für den Durchschnittsmenschen vorstellbare Mass längst überschritten. Die künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation) gehört schon zum Alltag, ebenso die Selektion der Retortenbabys nach Geschlecht. Dem Wunsch nach dem individuell genetisch optimierten Designerbaby wird bei Bedarf entsprochen. Mensch-Tier- Wesen und genetische Doppelgänger (Klone) sind keine „Science-Fiction“ mehr. Der Eingriff in die Keimbahn des Menschen zum Zweck, ihn neu zu gestalten, besser als er von Gott geschaffen wurde, hat konkrete Formen angenommen. Wie kaum ein Thema zuvor hat die Auseinandersetzung um das werdende humane Leben die Kluft von Wissenschaft und Glauben offen gelegt. „Der Glaube an Gott wurde durch den Glauben an die Wissenschaft verdrängt – um der Macht des Machens willen“ (Max Thürkauf). Doch ohne die Kraft des Glaubens an den Gott des Lebens wird der Mensch an die ehrgeizigen Pläne der Wissenschaftler und Politiker preisgegeben.

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Zum Autor:
Inge M. Thürkauf, Witwe des Naturwissenschaftlers und Philosophen Max Thürkauf, ist Schauspielerin und Publizistin. Sie verfasst Theaterstücke und hält Vorträge u.a. zum Thema Gender Mainstreaming.

Inge M. Thürkauf