Kennen Sie Horst Wolfram Geißler? Dem deutschen Schriftsteller, der von 1893 bis 1983 gelebt hat, und seinen feinen, tiefgründigen Romanen verdanke ich die Wiederentdeckung eines sehr schönen deutschen Wortes: vergnügt.

Von Ursula Baumgartner

Wir leben in einer „Spassgesellschaft“. Ihr Ende wurde zwar schon des Öfteren ausgerufen, sie konnte sich jedoch bislang nicht entschliessen, endgültig zu gehen. Diese Spassgesellschaft zeichnet sich vor allem durch Hedonismus und ein fast suchtähnliches Streben nach Unterhaltung und oberflächlichen Vergnügungen aus. Der exponentielle Anstieg von Comedy-Sendungen in Fernsehen und Internet mag als Indikator für den Unterhaltungsbedarf der Gesellschaft dienen. Steckt aber das zuvor gepriesene Wort „vergnügt“ nicht schon in den soeben geschmähten „Vergnügungen“?

Ja, das tut es. Doch „vergnügt“ ist sehr viel mehr als die Teilnahme an Vergnügungen. „Vergnügt“ ist eine Geisteshaltung, eine Einstellung. Wer im wirklichen Sinne des Wortes vergnügt ist, ist nicht einfach nur lustig, gut gelaunt und lacht viel, obwohl das ohne Frage dazu gehört. Ein vergnügter Mensch besitzt eine grundlegende Seelenruhe und bewahrt sich seine Heiterkeit auch in schwierigen Phasen, kurz, ihn zeichnet eine gewisse Resilienz aus. Darunter verstehen Fachleute eine seelische Widerstandskraft und die Fähigkeit, mit Krisen und Rückschlägen umzugehen und im Idealfall sogar etwas daraus zu lernen. Eine solche Lebensfreude ist unabhängig von widrigen Umständen und nicht aus Unterhaltungssendungen und Vergnügungen zu beziehen. Man wird also paradoxerweise nicht vergnügt, indem man sich viel vergnügt.

Interessant übrigens, dass wir von „Lebensfreude“ sprechen und nicht von „Lebensspass“. Als ich noch ein Kind war, wünschte mir meine Grossmutter für Unternehmungen mit Freunden immer „viel Freude“. Ich fand das peinlich und altbacken. Als Kind und Jugendlicher will man doch Spass mit Freunden, nicht Freude! Inzwischen habe ich den tieferen Sinn und den Wert dieses Wunsches zu schätzen gelernt. Heute weiss ich: Man kann Freude aus Erlebnissen und Begebenheiten beziehen, in denen man überhaupt keinen Spass hatte, wie z.B. ein ernstes Gespräch mit Freunden, in dem man diese von einer völlig neuen Seite kennenlernte und die Freundschaft auf eine neue Ebene hob. Dass die Freude also viel dauerhafter und tragfähiger ist als der Spass, versteht sich damit von selbst.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen für die kommende Zeit also einen vergnügten Sinn und viel Freude bei all den grossen und kleinen Herausforderungen des Lebens.