Die „traditionelle“ Familie erwies sich in der Corona-Krise erneut als unverzichtbarer Schutzfaktor. Das vermeintlich toxische Zusammenleben in der Isolation wurde nicht selten gar zum erholsamen Rückzug ins Private. Feministinnen versuchen dennoch, Corona zu vereinnahmen und antifamiliäre Affekte zu schüren.

Von Dominik Lusser

Der Corona-bedingte Lockdown hat nicht nur das Leben vieler Familien entschleunigt und Müttern und Vätern die Gelegenheit gegeben, mehr Zeit gemeinsam und mit ihrem Nachwuchs zu verbringen. Er hat unbestritten auch zu gewissen Mehrbelastungen insbesondere bei Frauen geführt, die neben der gewohnten Haus- und/oder Erwerbsarbeit auch noch länger ihre Kinder betreuen und Schulunterricht erteilen mussten. In den Nachbarländern der Schweiz, die weit schärfere Massnahmen bis hin zu wochenlangen Ausgangsperren verhängten, hat während des Lockdowns auch die häusliche Gewalt zugenommen, von der bekanntlich ebenfalls mehr, aber nicht ausschliesslich Frauen betroffen sind.

Es war zu erwarten, dass feministische Kräfte versuchen würden, das Wasser dieser besonderen Lage auf ihre Mühlen zu lenken, um die arbeitsteilige bürgerliche Familie zum widerholten Mal als ausbeuterisch verächtlich zu machen und den egalitaristischen Umbau der Gesellschaft, der jede faktische Ungleichheit mit Ungerechtigkeit gleichsetzt, weiter voranzutreiben. Dass die vierte Gewalt dazu gerne Hand bietet, ist nicht neu. Deutschsprachige Mainstreammedien machten sich in den vergangenen Wochen oft ohne kritische Distanz zu einer Plattform feministischer Propaganda. So war die Rede von einem „Rückschlag in der Emanzipation“ oder gar einer „entsetzlichen Retraditionalisierung“.

Wenn es um die Wurst geht

„Krisen verstärken Ungleichheiten, auch im Geschlechterverhältnis“, erklärte Tina Büchler, Gender-Forscherin an der Universität Bern, in der Sendung Kulturplatz im Schweizer Fernsehen SRF. Büchler befürchtet Karriereknickst von Frauen, Einzementierung alter Rollenmuster und einen längerfristigen Einbruch der Frauenerwerbsquote. Die Stimmen, die mit der Corona-Pandemie eine Krise der Frauen angebrochen sehen, würden „zunehmend lauter“, verkündete das SRF in beschwörend-dramatischem Tonfall. Zu diesen Stimmen gehört auch Flavia Kleiner, Initiantin der Frauenpolitik-Kampagne „Helvetia ruft!“. Auch für sie birgt die Krise Gefahren für die Gleichstellung: „Jedes Mal, wenn ich in den letzten Wochen die Zeitung aufschlug, erklärte mir ein anderer Mann, was gerade abgeht in der Welt.“ Die überwiegend männliche Expertise in der Öffentlichkeit mitten in einer Krise von globaler Dimension wirke „nachhaltig“, schlussfolgerte das SRF. Die Begründung lieferte wiederum Gender-Forscherin Büchler: Das Verlangen nach starker Führung sei hierzulande stark konnotiert mit Konzepten wie Rationalität und Vernunft, mit harten Wissenschaften oder mit Sicherheit und Schutz. In diesem Zusammenhang werde oft die Metapher vom „Vater Staat“ gebraucht, und dies vermittle die Nachricht: „Wenn es um die Wurst geht, müssen die Männer ran.“ Und das sei wirklich ein herber Rückschlag für die Gleichstellungsbemühungen der letzten Jahre.

Zur Untermauerung der Rückschritt-Theorie bemühte das SRF auch das leidvolle Thema der häuslichen Gewalt. Dies, obwohl in der Schweiz die diesbezüglichen Zahlen konstant geblieben sind und – was oft unter den Tisch gekehrt wird – eines von drei Opfern häuslicher Gewalt inkl. Tötungsdelikte männlich ist.

Sachlichkeit aber hat den radikalen Feminismus seit jeher wenig interessiert. Geht es doch darum, die Familie als gefährlichen Ort der Unterdrückung und Ausbeutung der Frau zu diskreditieren, an den sie während der Corona-Zeit erst recht gefesselt gewesen sei. Auf welchem ideologischen Fundament dieses Narrativ steht, zeigt ein Interview der linken Wochenzeitung Jungle World mit der Frankfurter Soziologie-Professorin Sarah Speck: „Durch die Massnahmen und den verordneten Rückzug ins ‚Private‘ wird auf einmal jene ‚unsichtbare Grundlage des Kapitalismus‘ sichtbar, von der die marxistisch-feministische Analyse seit einem Jahrhundert spricht. Und zwar die Ausbeutung systematisch entwerteter Reproduktions- und Sorgetätigkeiten, also von Arbeiten, die dem Lebenserhalt dienen“, so die Forscherin. „Ein Grossteil dessen, was inzwischen an Sorgetätigkeiten vergesellschaftet oder kommodifiziert (kommerzialisiert, Anm. Red.) war, verlagert sich wieder zurück ins Zuhause.“ Dieses aber sei schon immer ein Ort gewesen, „um neue Formen der Ausbeutung zu erfinden und zu erproben.“ Ferner müsse man, so Speck, „hinzufügen, dass im Rahmen von stay at home das Zuhause als Ort der Geborgenheit und des Wohlbefindens gilt“, was aus feministischer Sicht zu hinterfragen sei. „Denn es ist ein Ort der Aufrechterhaltung alltäglich notwendiger Arbeit, die in dieser Situation noch viel umfangreicher ist. Und es ist für viele ein Ort der Gewalt.“

Problemfixiertheit

Es ist diese Problemfixiertheit, die linke Theoretikerinnen offenbar daran hindert, das Ganze der Realität Familie in den Blick zu bekommen. Auch wenn jeder Fall häuslicher Gewalt tragisch ist; Sie ist – was stabile Familien und Partnerschaften betrifft – nicht der Normalfall. Doch dies interessiert Feministinnen so wenig wie die unzähligen Studien, die Ehe und Familie als Glücksfaktor im Leben vieler Menschen ausweisen. Erst letztes Jahr untersuchten Forscher an der Universität Chicago den Zusammenhang zwischen Ehe und Glücklichsein (The Atlantic, 2019). Dabei fanden sie heraus, dass die Wahrscheinlichkeit, dass sich junge Erwachsene als glücklich beschreiben, bei den Verheirateten etwa 75 Prozent höher liegt als bei den Unverheirateten.

Daran konnte offenbar auch der Corona-Lockdown nichts ändern. Im Gegenteil zeigen bereits erste Forschungen, wie krisenresistent und unverzichtbar stabile familiäre Verhältnisse für die Gesellschaft auch in den letzten Wochen waren. Nicht wenige Männer und Frauen „erlebten den Lockdown wie den erholsamen Rückzug auf eine Insel. Man verbrachte Tage mit den wichtigsten Menschen daheim, musste nichts, hatte Zeit füreinander, fühlte sich verbunden, aufgehoben“, beschreibt Birgit Schmid in der NZZ die Ergebnisse einer Untersuchung der Universität Osnabrück. Diese zeigt, dass es während der Covid-19-bedingten Isolation jenen Personen am besten ging, die in einer festen Partnerschaft oder mit Kindern leben. „Wer in familiären Strukturen eingebunden ist, erlebt weniger Stress und grössere Zufriedenheit.“ Weniger zufrieden hingegen sei gewesen, wer allein oder im selben Haushalt als WG zusammenlebt. Entgegen den Voraussagen vom toxischen Zusammenleben in der Enge hätte sich, so Schmid, die sogenannte Keimzelle der Gesellschaft – Vater, Mutter, Kind – als Institution erwiesen, die in Krisenzeiten den grössten Schutz bietet. „Eltern, die Home-Schooling machen mussten, hatten eine gute Zeit, so anstrengend es war. Das Virus brachte Familien und Liebespartner einander näher.“ Die gelebte Realität entlarvt so die Theorien der Familienkritiker, die nicht nur die romantische Liebe oder die Mutterliebe zum sozialen Konstrukt erklären, sondern auch die glückliche Familie als Trugbild kritisieren, als postfaktisch.

Die durch linke Theoretikerinnen immer neu aufgestellte Forderung, die Familie abzuschaffen, steht, wie auch Birgit Schmid feststellt, in marxistischer Tradition: „Mit der Kritik an der Familie wird seit Karl Marx oder Max Horkheimer immer auch Kritik an den herrschenden Verhältnissen geübt. Würde die Familie in ihrer traditionellen Form abgeschafft, wäre dies das Ende des Patriarchats. Ebenso würde der Kapitalismus überwunden. Denn mit der Kleinfamilie kam angeblich das Besitzdenken in die Welt.“ Zur Erinnerung: Laut dem „Kommunistischen Manifest“ von Marx und Engels soll der Mensch der klassenlosen Gesellschaft von familiären Bindungen gänzlich befreit sein. Befreit, um sich vollständig in den Dienst des alles bestimmenden Arbeiterstaates zu stellen. Über den Marx-Engelschen Hass auf das „traute Verhältnis von Eltern und Kindern“ und die als Form der Prostitution verrufene „bürgerliche Ehe“ scheint der verbissene Gleichstellungskampf des Feminismus bis heute nicht hinausgekommen zu sein.

Was Frauen wirklich wollen

Offenbar aber geht das feministische Rhetorik, die Geschlechterverhältnisse seien durch Corona in die 1950er-Jahre zurückkatapultiert worden, an den Sehnsüchten und Lebenszielen gerade junger Frauen vorbei. Dies zeigt die Shell-Jugendstudie 2019, wonach eine deutliche Mehrheit der Jugendlichen beider Geschlechter die sogenannt traditionelle Rollenaufteilung anstrebt. Die grosse Mehrheit der Frauen scheint nach wie vor nicht bereit, den Vater und Ernährer ihrer gemeinsamen Kinder gegen die Fürsorge von „Vater Staat“ einzutauschen, der daran interessiert ist, alle Bürger in den Arbeitsprozess zu integrieren und so zu Steuersubjekten zu machen. Die Vorteile des Modells Familie, das vielen Müttern den Rücken freihält, sich ohne finanzielle Sorgen ihren Kindern zuzuwenden, lassen sich eben trotz linksfeministischer Diskurshoheit nicht einfach wegdiskutieren.

Eine brandneue Studie von Pro Familia zeigt übrigens, dass auch bei idealen Rahmenbedingungen kaum eine Mutter 100 Prozent berufstätig sein möchte. Daraus ein Problem zu machen, kommt höchstens Feministinnen in den Sinn. Denn wieso sollte es Frauen übel genommen werden, wenn sie stattdessen am höheren Verdienst ihrer Männer partizipieren, um unbezahlten, aber deswegen nicht minder wichtigen Tätigkeiten nachzugehen, an deren gesellschaftlicher Abwertung der Feminismus die Hauptschuld trägt?