Ein Aufschrei ging in den letzten Wochen durch die Schweiz, als Fälle von möglicher Abstimmungsfälschung auftauchten. Auch wenn es sich bei den Unterschriftensammlungen um einen wichtigen Aspekt der Schweizer Demokratie handelt, ist nun wohlüberlegtes Handeln gefragt. Überstürzte Reformen dagegen sollte man vermeiden.
Von Ralph Studer
Unterschriftenfälschungen wird es wohl immer geben. Dies wird sich, wie die Erfahrung zeigt, in unserer Schweizer Demokratie beim Sammeln von Unterschriften für Referenden und Volksinitiativen nicht vermeiden lassen.
Volksabstimmungen als Korrektiv
Ein solches unrechtmässiges Vorgehen verletzt unsere demokratischen Gepflogenheiten, jedoch rüttelt es auch nicht an den Grundfesten unserer Demokratie. Damit sollen Fälschungen keineswegs verharmlost werden. Doch sie sollen auch nicht ein Gewicht erhalten, das zu einer grundlegenden Infragestellung unseren politischen Rechten führt. Dies wäre völlig unangebracht und unverhältnismässig. Deshalb erübrigt sich hier auch eine vertiefte kritische Auseinandersetzung mit unseren Volksrechten, deren Handhabung und Umsetzung. Referendum und Initiative gehören zur Schweiz wie der Föderalismus, die Mehrsprachigkeit und die Neutralität und machen letztlich den Kern unserer Demokratie aus.
Sollte tatsächlich einmal ein Referendum oder eine Volksinitiative zu Unrecht wegen gefälschter Unterschriften dem Schweizer Volk zur Abstimmung vorgelegt werden, hätte das Ergebnis der Volksabstimmung in jedem Fall eine Art „korrektive“ und „heilende“ Wirkung.
Verbot der bezahlten Unterschriftensammlung?
Bei einem Verbot kommerzieller Unterschriftensammlung geht es letztlich um die Frage, wer die „Macht im Staat“ hat. Profitieren würden von einem Verbot der kommerziellen Unterschriftensammler die etablierten Verbände und Parteien, die auf genügend Unterstützer zurückgreifen können. Bürger, kleinere Komitees und neue Kräfte wären dagegen bei der Lancierung von Referenden und Volksinitiativen im Nachteil.
Die Chancen wären völlig unterschiedlich, was demokratiepolitisch problematisch ist. Auch wenn die Bezahlung der Unterschriften zweifellos missbraucht werden kann, ermöglicht dies doch einen gewissen Ausgleich bei den politischen Rechten und schafft „gleichlange Spiesse“ zwischen den politisch versierten Akteuren und personell weniger gut aufgestellten Bürgerorganisationen. Zudem wäre in Anbetracht der Vorfälle auch zu prüfen, ob strafrechtlich verschärfter gegen Fälscher von Unterschriften vorzugehen ist.
Digitalisierung als Ausweg?
Eine andere Idee, die in der Debatte kursiert, ist die Forderung nach einer weitgehenden Digitalisierung der Unterschriftensammlung. Diesfalls würden die Stimmbürger ihre Unterschrift direkt via Smartphone oder Computer abgeben. Dass diese Variante weitaus grössere Risiken, insbesondere im Bereich Sicherheit und Datenschutz schafft als die aktuell publik gewordenen Fälschungen befürchten lassen, wird dabei geflissentlich ausgeblendet.
Imageschaden vermeiden
Es spricht vieles dafür, dass die „schwarzen Schafe“ unter den kommerziellen Unterschriftensammlern wie von selbst verschwinden. Denn welche Partei oder Organisation kann es sich aus Reputationsgründen leisten, mit in Verruf geratenen Unterschriftensammlern zusammenzuarbeiten? „Parteien und Verbände, deren Anliegen bei Verdachtsfällen ebenfalls Schaden nimmt“, so der Journalist Antonio Fumagalli, „werden sich künftig doppelt überlegen, das entsprechende Unternehmen erneut zu engagieren.“
Was bleibt?
Auch die Schweiz hat ihre Fehler und Mängel. So sehr wir uns bemühen, unsere Schweizer Demokratie zu verbessern und sie vor Übergriffen zu schützen, werden wir auch die letzte Missbrauchsgefahr kaum jemals ausschalten können. Auch wenn die Fälle von möglicher Fälschung genau zu prüfen sind und die Verantwortlichen bei bestätigtem Unrechtsgehalt zu Rechenschaft zu ziehen sind, besteht kein Grund, mit übertriebenen Reaktionen darauf zu reagieren. Schnellschüsse sind in jedem Fall zu vermeiden.
Weder ist ein Verbot von bezahlten Unterschriften noch eine übereilte und unausgegorene Digitalisierung der Demokratie voranzutreiben. Denn beide Vorhaben schaden letztlich genau dem, was sie vorgeben zu schützen, nämlich der Demokratie selbst.