Still und diskret informierte Ende März das Schweizerische Kompetenzzentrum für Sexualpädagogik und Schule an der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz via Homepage und Newsletter, dass es per Mitte 2013 aufgelöst werde. Für die Weiterarbeit seien weder Auftrag noch Mittel vorhanden. Ausserhalb des fachlichen und betroffenen politischen Publikums wurde dies nicht wahrgenommen. Die in Sachen Sexualerziehung in den letzten beiden Jahren sehr schnell präsenten Medien hielten es weder für nötig, die Öffentlichkeit darüber zu informieren noch diese Entwicklung zu kommentieren.
Einige Seltsamkeiten in den Erklärungen des Kompetenzzentrums

Seltsam mutet uns die Erklärung an, dass das bisherige Kompetenzzentrum immer wieder diffamiert und mit Petitionen und Initiativen bekämpft worden sei. Denn das Kompetenzzentrum, verschiedene Behördenvertreter und eine breite Journalistenschar wurden in den letzten beiden Jahren nicht müde, in der kontroversen Diskussion zur Basler Sex Box und zur lancierten Schutzinitiative immer wieder zu betonen, dass die Opposition nur aus einem kleinen Häufchen bestehe, insbesondere aus fundamentalistischen Christen aus der konservativ-freikirchlichen Ecke, die alle verklemmt und ewig gestrig seien. Dies kann ja kein ernst zu nehmender Gegner sein, der einem Kompetenzzentrum wirklich gefährlich werden könnte, das mit Bundesmitteln ausstaffiert an einer Hochschule wirken kann und beansprucht, auf anerkanntem akademischem Niveau zu arbeiten.

Seltsam mutet uns die Erklärung an, dass die Tabuisierung des Lebensthemas Sexualität nun weiterbestehe und dass aufgrund der Schliessung des Kompetenzzentrums Eltern nun weiterhin verunsichert seien und Kinder und Jugendliche mit ihren Fragen allein gelassen würden. Beanspruchte etwa das Kompetenzzentrum die alleinige Kompetenz und Hoheit darüber, verunsicherten Eltern beizustehen und Kinder und Jugendliche in ihrem Alleinsein zu begleiten? Gründet das schweizerische Selbstverständnis nicht darauf, dass viele Zuständigkeiten im Sinne eines Milizwesens an eine mündige und kompetente Bevölkerung delegiert werden und nicht bevormundend durch Experten und den Staat ausgeübt werden? Bedeutet der schweizerische Milizgedanken nicht gerade auch, dass Eltern kompetent sein sollen, um ihre eigenen Kinder erziehen zu können?

Seltsam mutet uns die Erklärung an, dass das Kompetenzzentrum beansprucht, auf Verfassungsrechten zu basieren, ohne konkret zu werden, um welche es sich handelt. Demgegenüber war dieses Kompetenzzentrum aber nicht bereit, Elternrechte zu akzeptieren, sondern sogenannte Experten und Behördenvertreter versuchen immer wieder, Selbstbestimmungsrechte von Kindern gegen Elternrechte auszuspielen. Offenbar werden die entsprechenden Menschenrechte nicht akzeptiert: „Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Freiheit der Eltern … zu achten, die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen“. Diese elterliche Freiheit wurde im internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte im Dezember 1966 als Teil der UN-Menschenrechte formuliert und im Dezember 1991 von der Schweizerischen Bundesversammlung genehmigt. In dieser Sache soll eben die Zuständigkeit und Verantwortung bei den Eltern liegen und nicht beim Staat, der Staat verpflichtet sich, die Freiheit der Eltern sicherzustellen. Ob das nun dem bisherigen Kompetenzzentrum und diversen Erziehungsdirektionen passt oder nicht: dieses Menschenrecht meint mit „sittlicher Erziehung“ eben gerade auch die Erziehung zu Fragen der Sexualität und der intimen Beziehungen. Und wenn dies durch eine verpflichtende Teilnahme an entsprechendem Unterricht an der Schule und durch die explizite Verweigerung von Dispensationsmöglichkeiten übersteuert werden soll, dann ist dies ein Angriff auf diese elterliche Freiheit. Ein unterstützendes oder ergänzendes Angebot darf nicht eine rechtlich geschützte Freiheit durch ein behördlich verordnetes Obligatorium übersteuern – gerade deshalb hat sich ja die Schweiz verpflichtet, diese Freiheit der Eltern sicherzustellen.

Seltsam mutet uns die Erklärung an, dass kein Auftrag mehr vorhanden sei. Besteht das Problem nicht mehr? Waren die ursprüngliche Problemerfassung und Auftragserteilung ein Irrtum? Oder war der eingeschlagene Weg zur Problemlösung und Zielerreichung nicht gangbar? Konnte der akademisch-fachliche Beweis für diesen Weg nicht erbracht und eine erfolgreiche Evaluation der Massnahmen nicht geleistet werden? Oder wurde die politische Mehrheit für die avisierten Werte und Ziele nicht gefunden?

Wie weiter? Drei Anti-Thesen

Aber wie soll es nun weitergehen? Welche Fragen müssen nun mit wem diskutiert werden, damit Eltern nicht mehr verunsichert und Kinder in ihren Fragen nicht mehr alleingelassen werden, wie das Kompetenzzentren konstatiert? Viele Fragen müssen diskutiert werden, gerade auch von den betroffenen Eltern selbst. Das Kompetenzzentrum hat in den letzten Jahren durch unsere Steuergelder finanziert zahlreiche Meinungen verbreitet und Position bezogen.

Grundsätzlich lassen wir die Aussagen und Empfehlen und kommunizierten Erkenntnisse des bisherigen Kompetenzzentrums als das stehen, was sie sind: Meinungen, Absichtserklärungen und Positionsbezüge. In der akademischen Methode der Dialektik nennen wir das eine „These“.

Im Sinne einer dialektischen Suche nach Wahrheit formulieren wir als betroffene Eltern nun drei Anti-Thesen als Einstieg in die nun notwendige Diskussion:

• Es muss grundsätzlich geklärt werden, wer diese Kompetenz erarbeiten und verbreiten soll. In der Erarbeitung von Kompetenzen müssen Motive und Ziele, Grundlagen und Modelle, Weltbilder und Menschenbilder, ideologische und religiöse Hintergründe offen gelegt werden. Dabei muss sichergestellt werden, dass in der Wertediskussion unterschiedliche Menschenbilder und Beziehungsmodelle aus unterschiedlichen Kulturen, Religionen und Ideologien in fairer und respektvoller Weise nebeneinander dargestellt und miteinander verglichen werden. Eltern müssen entscheiden können, wem sie in Fragen der „sittlichen Erziehung“ vertrauen wollen.

• Es kann in der Schweiz nicht akzeptiert werden, dass nur ein einziges Kompetenzzentrum geschaffen und mit Bundesgeldern unterstützt wird, so dass dieses in monopolistischer Weise einseitige Thesen als Wahrheit verbreiten kann. Echter wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn wächst durch die Konkurrenz von Ideen, Argumenten und Forschungsprojekten. Es ist nötig, dass verschiedene Modelle und Kompetenzen erarbeiten werden, damit diese schliesslich auf ihre Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit hin evaluiert werden können. Kontroverse Verifizierungen und Falsifizierungen sind Zeichen wissenschaftlicher Güte zum Wohle unserer Kinder.

• Es kann nicht hingenommen werden, dass unsere Kinder und Jugendlichen angeblich mit ihren Fragen alleine gelassen werden – die Sexualisierung von Werbung und Medien, die Pornografisierung von Internet und Social Media ist offensichtlich – wir können nicht verstehen, wie das Kompetenzzentrum angesichts dieser Entwicklung eine Tabuisierung suggerieren kann. Es kann aber auch nicht hingenommen werden, dass Staat und Experten sich zwischen Eltern und Kinder drängen und die Zuständigkeit der Eltern konkurrieren oder gar untergraben. Das schweizerische Milizprinzip muss gewahrt bleiben, es kann in der Schweiz nicht hingenommen werden, dass Experten und der Staat sich über die Köpfe von verantwortungsvollen Eltern hinweg setzen können, die ihre Zuständigkeit wahrnehmen wollen.

Es muss geklärt werden, was es bedeutet, wenn die Schweiz sich verpflichtet, die Freiheit der Eltern sicherzustellen, dass die sittliche Erziehung der eigenen Kinder in Übereinstimmung mit der eigenen Überzeugung der Eltern stehen darf. Es muss konkret geklärt werden, wie weit ergänzende und insbesondere obligatorische Massnahmen des Staates in Fragen der sittlichen Erziehung gehen dürfen, wenn diese im Widerspruch zur Überzeugung der Eltern steht. Sexualerziehung ist eben gerade nicht von derselben Qualität wie Schulunterricht in Bruchrechnen oder Grammatik. Das primäre Ziel dieser Bestrebungen muss aus unserer Sicht darin bestehen, Eltern zu sensibilisieren, in ihre Verantwortung zu rufen und in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken – gerade auch in Fragen der Sexualerziehung. Es kann nicht hingenommen werden, dass Eltern und Familien derart diffamiert werden können, als ginge ohne staatliche Experten rein gar nichts mehr, das Gegenteil ist der Fall, wie die aktuelle Studie der Universität Freiburg zur grossen Überraschung feststellt: „Der Einfluss der Familie ist für die Frühförderung des Kindes ‚überragend‘.“ Oder gelten solche empirische Erkenntnisse heute bereits als politisch inkorrekt? Oder zumindest als politisch nicht erwünscht? Es darf nicht hingenommen werden, dass systematisch suggeriert wird, dass Eltern ihre Verantwortung in der Erziehung ihrer Kinder gar nicht mehr wahrnehmen wollen oder können. Familiäre Verhältnisse, die staatliche Unterstützung in der Erziehung bedürfen oder wollen, sind als solche zu behandeln und dürfen nicht als Vorwand genommen werden, um per Obligatorium in die Freiheiten und Zuständigkeiten von verantwortungsvollen Eltern und intakten Familien einzugreifen.

Nun geht es darum, den Sinn und Wert dieser „Anti-Thesen“ zu verifizieren – gemeinsam, im Gespräch, in der Debatte. Grundlagen müssen gesucht und Wissen muss zusammengetragen werden – aus verschiedenen Quellen. Unterschiedliche Modelle müssen verglichen werden, Motive und Ziele müssen transparent gemacht und überprüft werden. Und dazu wird es auch empirische Forschungsarbeit brauchen, denn die Sinnhaftigkeit von Erziehung muss sich in der Wirklichkeit des Lebens bestätigen – die Fachleute nennen das „Evaluation“. Schliesslich sind auch wir Eltern von vier Kindern, die zu mündigen Erwachsenen heranwachsen sollen, die ihre Sexualität eines Tages bewusst und verantwortungsvoll in ihren Beziehungen leben sollen, früher nannte sich so etwas „sittliche Reife“. Leider stehen uns als betroffenen Eltern dazu keine Bundesgelder in Millionenhöhe zur Verfügung.

http://dieweiterdenkerin.wordpress.com/

Dr. Andreas M. und Ulrike Walker (Gastkommentar)