Im Jahr 2020 zeigte Helen Calle-Lin den Arzt ihrer Tochter an, weil er die Minderjährige nach nur zwei Sitzungen als Transgender diagnostiziert und ihr gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Mutter Testosteron und die Entfernung der Brüste verschrieben hatte. Seit über einem Jahr setzt sie sich an der Seite des Vereins AMQG für die Förderung eines nicht militanten und sorgfältigen Umgangs mit der Geschlechterfrage bei Jugendlichen ein.

Zukunft CH: Frau Calle-Lin, was ist der Grund, dass Sie sich so vehement gegen geschlechtsverändernde Massnahmen an Minderjährigen einsetzen?

Calle-Lin: Im Alter von 17 Jahren erhielt meine Tochter vom stellvertretenden Psychiater und Leiter des „Office médico-pédagogique“ in Genf ein Zertifikat, um sich die Brüste entfernen zu lassen und eine von Swissmédic nicht genehmigte Hormontherapie mit Testosteron zu beginnen. Dies nach nur zwei 45-minütigen Beratungssitzungen, ohne ihren behandelnden Arzt zu konsultieren und gegen meinen Willen. Meine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft stützt sich auf Art. 301 al. 1 CPP – Art. 26 al. 1 und 2 und Art. 86 Abs. 1 des Heilmittelgesetzes (HMG), die klar besagen, dass ein Arzt den Patienten kennen muss, bevor ein Medikament verschrieben wird. Als Elternteil, der sich um die langfristige geistige und körperliche Gesundheit des eigenen Kindes sorgt, stellte ich fest, dass wir in der Familie ein hohes Risiko für Herz-Kreislauf-Thromboembolien haben. Die Einnahme von Produkten wie Testosteron hätte für meine Tochter ein erhöhtes Risiko für Schlaganfälle oder Thrombosen bedeutet. Ich bin davon überzeugt, dass es an der Zeit ist, Minderjährige und Jugendliche mit Komorbiditäten vor solchen Gesundheitsskandalen zu schützen.

Zukunft CH: Wissen Sie von weiteren ähnlichen Fällen?

Calle-Lin: Leider handelt es sich bei dem, was ich erlebt habe, nicht um einen Einzelfall. Das Problem liegt im System: am selben Tag stellte dieser Arzt zwei gleichartige Bescheinigungen für zwei gleichaltrige Mädchen aus, von denen eines dieses Jahr mit 18 Jahren von der Schule abging, sich nicht mehr als Junge fühlt und keine Anzeichen von Geschlechtsdysphorie mehr zeigt. Stellen Sie sich die gesundheitlichen Schäden vor, die die Jugendliche erlitten hätte, wenn sie den Rat dieses Arztes befolgt und die Testosteronbehandlung und Brustentfernung gemäss seiner Bescheinigung hätte durchführen lassen. Viele Psychologen verweisen Minderjährige an Transgender-Spezialisten und setzen sie so auf einen „Zug“, der mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Transition fährt. Aktivisten werben für diesen Prozess und man fragt sich nicht mehr, ob eine Transition wirklich der beste Weg ist. Die Erfahrung zeigt, dass es wichtig wäre, der explorativen, psychologischen Unterstützung den Vorrang vor der Medikalisierung von Jugendlichen und Minderjährigen zu geben.

Das Vorgehen vieler Spezialisten ist besorgniserregend, weil die meisten Kinder nach Begleitung in ihrer Identitätsfindung suchen, und nicht nach einer Geschlechtsumwandlung, bei der sie so schnell „unter das Skalpell kommen“. Viele Jugendliche bräuchten, wie beispielsweise der Fall von Keira Bell in Grossbritannien zeigt, eine offene, unvoreingenommene Therapie und keine übereilte Diagnose. Doch statt einer gründlichen Analyse werden von Swissmedic zu diesem Zweck nicht zugelassenes Testosteron und irreversible Operationen verschrieben. Man schickt Minderjährige, die sich mitten in der Entwicklung und auf der Suche nach ihrer Identität befinden zu einem „Mechaniker“, der an ihnen „herumschraubt“, indem er davon ausgeht, dass sie im „falschen Körper“ geboren wurden. Die Kinder werden sofort in eine sehr enge Bandbreite akzeptabler und stereotyper Verhaltensweisen für Jungen und Mädchen katalogisiert. Trans-Aktivisten fördern dieses stereotype Denken auf der Grundlage der Gender-Ideologie, die sich mit einer Politik der Akzeptanz brüstet. Diese Ideologie basiert jedoch auf dem Konzept, dass, wenn das Verhalten eines Kindes nicht mit gewissen Stereotypen übereinstimmt, eine Operation das Kind, das im „falschen Körper“ geboren wurde, korrigieren kann. Diese Ideologie scheint mir weit von Offenheit und Wohlwollen entfernt zu sein. Anstatt die Entwicklung des Jugendlichen zuzulassen, bis er tatsächlich das Erwachsenenalter und das Alter der Reife erreicht, werden gesunde Kinder und Jugendliche zu lebenslangen Patienten gemacht. Ich bin der Meinung, dass unter 25-Jährigen keine Behandlung zur Geschlechtsumwandlung verschrieben werden sollte, da das Gehirn einfach noch nicht weit genug entwickelt ist (wissenschaftliche Grundlage, die von der WHO anerkannt wird), um solche irreversiblen und schwerwiegenden Entscheidungen mit ausreichender Überlegung treffen zu können. Meine Meinung findet Bestätigung in den neuesten Empfehlungen der französischen Académie National de Médecine und den neuen nationalen Richtlinien in Schweden, die vom schwedischen Nationalrat für Gesundheit und Wohlbefinden veröffentlicht wurden.

Zukunft CH: Sie sagen, dass die Jugendlichen in diesen Beratungen angelogen werden. Was meinen Sie damit?

Calle-Lin: Viele Ärzte belügen die Jugendlichen, indem sie ihnen den Eindruck vermitteln, dass der Prozess der Geschlechtsumwandlung umkehrbar ist. Die Blockade der Pubertät ist jedoch kein umkehrbares Phänomen und das verwendete Mittel ist GnRH, das normalerweise bei männlichen Sexualstraftätern zur chemischen Kastration eingesetzt wird. Es versteht sich von selbst, dass dieses Mittel von der Swissmedic nicht für die Anwendung bei Kindern zugelassen ist, um deren Pubertät zu stoppen. Pubertätsblocker können zu Unfruchtbarkeit führen und verändern nicht nur den Körper, sondern auch das Gehirn.

Viele Ärzte sprechen mit ihren minderjährigen Patienten kaum über die gesundheitlichen Risiken wie Schlaganfall, Thrombose, Unfruchtbarkeit und die schädlichen Nebenwirkungen der hochdosierten Hormone, die lebenslang eingenommen werden müssen. Die Betroffenen leiden unter körperlichen Beeinträchtigungen wie ständigen Schmerzen, Müdigkeit, Herzproblemen, Thrombosen, Osteoporose und Haarausfall. Die Leber wird durch die lebenslange Einnahme von Medikamenten stark in Mitleidenschaft gezogen und das Risiko psychischer Nebenwirkungen, wie schwere Depressionen, ist ebenfalls sehr hoch.

Wie bereits erwähnt besteht seitens meiner Familie ein hohes Thromboserisiko. Der Arzt meiner Tochter hat mich jedoch nicht einmal gefragt, ob ein solches familiäres Risiko besteht, und der beigezogene Endokrinologe erklärte meiner minderjährigen Tochter, dass man im Leben Risiken eingehen müsse. Doch es kommt noch schlimmer: Die Aufsichtsbehörde Swissmedic, die ich kontaktiert habe, hat mir schriftlich erklärt, dass das Testosteron, das meiner Tochter verschrieben wurde, für diese Art der Anwendung weder für Frauen noch für Minderjährige zugelassen ist. Ich bin überzeugt, dass mit diesem Hormon gefährliche Experimente an Minderjährigen durchgeführt werden, ohne dass die Eltern und Kinder von den Ärzten informiert werden. Dieser Gesundheitsskandal findet unter den Augen der Kantonsärzte und Alain Berset statt.

Zukunft CH: Sie haben sich, bevor Sie sich zu einer Anzeige entschlossen, an Gesundheitsminister Alain Berset und das BAG gewandt. Wurden Ihre Bedenken ernst genommen?

Calle-Lin: Die Antworten, die ich erhalten habe, sind irritierend. Meiner Meinung nach ist Bundesrat Alain Berset schlicht und einfach blind gegenüber den Fakten. Was das BAG betrifft, so wird in ihren Antworten lediglich die heisse Kartoffel weitergereicht und die Verantwortung auf die Ärzte sowie die Kantonsärzte abgewälzt. Meines Wissens wurde nichts unternommen, um diese fragwürdigen Praktiken zu verhindern. Swissmedic hat mir geschrieben, dass der Kantonsarzt für die nicht genehmigte Verwendung der oben genannten Produkte verantwortlich ist. Die Antwort des Kantonsarztes schiebt die Verantwortung jedoch auf die behandelnden Ärzte. Zudem antworteten mir das BAG, der Kantonsarzt von Genf und der medizinische Direktor des Universitätsspitals Genf (HUG) mit medizinischen Studien aus den Jahren 2016-2017, obwohl wir uns im Jahr 2022 befinden und sich die Medizin weiterentwickelt. Der Beweis dafür sind die neuen Regelungen, die in den letzten zwei Jahren in Grossbritannien, Finnland und Schweden eingeführt wurden, um der wachsenden Zahl von Kindern und Jugendlichen mit Geschlechtsdysphorie und der steigenden Zahl von Mädchen, die sich als Jungen identifizieren, zu begegnen. Ich empfinde, dass die Antworten auf diese Fragen sehr stark von der hochpolitisierten Gender-Ideologie geprägt sind. Es gibt bereits politische Initiativen, die darauf abzielen, dass Kinder ab dem Alter von acht Jahren selbst über diese Frage entscheiden können und dass die Eltern kein Mitspracherecht mehr haben. Das ist bestürzend, denn die langfristige Gesundheit unserer Kinder muss universell sein und darf nicht von politischen oder religiösen Ideologien geprägt werden.

Zukunft CH: Wie beurteilen Sie den Ansatz der Schweizer Schulen bezüglich dieses Themas?

Obwohl die Schulen gerne ihre Neutralität betonen, stelle ich fest, dass sie stark von der Gender-Ideologie beeinflusst sind und glauben, das Richtige zu tun, indem sie LGBTQ-Vereinigungen in die Klassen einladen. Meine Tochter besuchte eine Privatschule, in der sich 20 Schülerinnen (mehr als zehn Prozent der Mädchen) von insgesamt 300 Schülern als Jungen, nicht-binär oder „Im falschen Körper“ identifizierten. Dies kann, statistisch gesehen, jedoch nicht der Realität entsprechen und belegt eine „soziale Ansteckung“. Als sich eines der Mädchen in dieser Gruppe nicht mehr als „Transgender“ definieren wollte, begannen die anderen, extremen Druck auf sie auszuüben und sie buchstäblich zu verfolgen. Leider arbeiten in der französischsprachigen Schweiz viele öffentliche Schulen mit Aktivisten zusammen und gewähren ihnen praktisch freien Zugang zu den Klassenzimmern. Den Schülern soll so früh wie möglich die Vorstellung eingeimpft werden, dass das (biologische) Geschlecht nicht dasselbe ist wie das sogenannte Gender (das Geschlecht, mit dem sich eine Person identifiziert), was nichts anderes bedeutet als die Unterscheidung zwischen „gefühlter“ und biologischer Geschlechtsidentität. Kinder werden ermutigt – oft ohne das Wissen ihrer Eltern – ihr biologisches Geschlecht in Frage zu stellen und ihren Vornamen oder ihr Geschlecht zu ändern, wenn sie das Gefühl haben, „transgender“ zu sein. Die öffentliche Schule erlaubt sich, „Coming-outs“ von Schülern zu organisieren, den Namen in den Schülerbüchern zu ändern oder die Vornamen von Schülern zu ändern, ohne die Eltern zu informieren oder zu konsultieren.

In der Schweiz wurden bis heute mehrere minderjährige Kinder mit Geschlechtsdysphorie, denen chemische und chirurgische „Behandlungen“ verschrieben wurden, gegen den Willen der Eltern in Heime eingewiesen, wenn die Eltern den Behandlungen mit GnRH, Testeronen bei Mädchen oder Östrogenen bei Jungen und chirurgischen Eingriffen wie doppelten Mastektomien an gesunden Brüsten und verschiedenen irreversiblen Eingriffen nicht zustimmten. Bei der KESB angezeigt werden diese Eltern von aktivistischen Vereinigungen oder von transaffirmativen Ärzten, die von entsprechenden Richtern unterstützt werden. Weil es keine offene Debatte gibt, glauben diese Personen, dass sie im Recht sind.

Zukunft CH: Sie engagieren sich in der Vereinigung AMQG. Was ist der Zweck dieses Vereins?

Calle-Lin: Als ich anfing, mich gegen diese Experimente mit Minderjährigen zu engagieren, lernte ich andere betroffene Eltern kennen. Unter ihnen war beispielsweise ein Vater, der sich weigerte, seine Zustimmung zu einem Geschlechtsumwandlungsprozess für seine 15-jährige Tochter zu geben. Daraufhin erhielt er eine richterliche Anordnung, in der ihm mitgeteilt wurde, er habe einen Monat Zeit, um seine Zustimmung zu geben, andernfalls würde ihm das Sorgerecht für sein Kind entzogen. Kinder, die sich einer solchen Behandlung unterziehen, werden so weit wie möglich von ihren Eltern isoliert, sobald diese nicht einverstanden sind oder der Geschlechtsumwandlung kritisch gegenüberstehen. Sie werden als „nicht unterstützende“ Personen abgestempelt, die ihre Kinder misshandeln. In Fällen, von denen wir wissen, werden die Kinder ausserhalb des Familienhaushalts untergebracht, damit die Behandlungen durchgeführt werden können.

Die Vereinigung AMQG setzt sich dafür ein, dass die Eltern, wie es das Gesetz vorsieht, diejenigen bleiben, die das Primat haben, zu entscheiden, was zum Wohl ihres Kindes gehört. Diese Befugnisse dürfen ihnen nur dann entzogen werden, wenn es einen begründeten und untermauerten Verdacht gibt, dass die Eltern nicht in der Lage sind, ihre Verantwortung zu übernehmen. Das elterliche Erziehungsrecht soll nicht zunehmend von Ärzten, Aktivisten oder Lehrern ausgehebelt werden, wie es leider immer häufiger der Fall ist. Eltern als wichtigste Bezugs- und Unterstützungspersonen für ihr Kind sollten mehr Rechte haben, insbesondere wenn es um Ideologien und Massnahmen geht, die Kinder und Jugendliche in einer sehr vulnerablen Lebensphase beeinflussen und irreversible Schäden verursachen.

Abschliessend ist es aus meiner Sicht wichtig, auf eine offene und demokratische Debatte zu diesem Thema zu drängen. Gegenwärtig werden in der Schweiz Vorstösse wie der amtliche Geschlechtswechsel oder die Frage von Konversionstherapien ohne demokratische Debatte und ohne umfassende Kenntnisse in Gesetze überführt, die eine auf explorativer Psychologie basierende Behandlung von Minderjährigen mit Geschlechtsdysphorie verhindern. Unser Appell als betroffene Eltern an die Politiker ist, Richtlinien zu erlassen, die auf aktuellen Studien und Debatten basieren, die bestehenden Meinungsverschiedenheiten selbst innerhalb der WPATH (World Professional Association for Transgender Health) berücksichtigen und vor allem das Prinzip PRIMUM NON NOCERE1 (dt.: erstens nicht schaden) durchsetzen und respektieren.

Zukunft CH: Vielen Dank für das Gespräch!

1 Primum non nocere ist ein Grundsatz, den die hippokratische Tradition ins Zentrum ihres moralisch geforderten ärztlichen Handelns stellt. Das Zitat lautet vollständig: primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare (erstens nicht schaden, zweitens vorsichtig sein, drittens heilen).

 

Hinweis:

Zukunft CH veranstaltet am 16. Juni 2022 von 19.30 bis 21.00 Uhr ein Online-Forum zum Thema „Transkinder“. Expertinnen und betroffene Eltern liefern an diesem Abend Hintergrundinformationen und beantworten Teilnehmerfragen. Jetzt anmelden! Mehr Infos und Anmeldung unter: www.zukunft-ch.ch/online-forum-transkinder