Jedes Jahr seit 1911 findet am 8. März der Weltfrauentag statt. Paradox dabei ist: Die heutige Gesellschaft tut sich schwer, den Begriff „Frau“ klar zu definieren. Grund genug, einen kurzen Blick in die Vergangenheit zu werfen, um zu analysieren, wie es dazu kommen konnte.
Von Ursula Baumgartner
Was ist eine Frau? Als die ersten Frauenrechtlerinnen ab 1910 für das Frauenwahlrecht demonstrierten, hätten sie wohl nicht im Traum daran gedacht, dass man diese Frage einmal ernsthaft stellen würde.
Die Wellen des Feminismus
Die amerikanische Dozentin Abigail Favale lehrte lange die Gender-Theorie, bevor sie sich entschieden davon abkehrte. In ihrem Buch „Die geleugnete Natur“ unterscheidet sie vier Wellen, die der Feminismus im Laufe der Jahrzehnte durchlief. Hatten die Frauen der oben erwähnten ersten Welle noch keine radikalen oder revolutionären Ansichten, traten in den 1960er Jahren Feministinnen auf den Plan, die eine umfassendere soziale und politische Gleichberechtigung forderten. Bereits hier waren die Themen Geburtenkontrolle und Abtreibung zentral, wollten die Vertreterinnen dieser Welle doch die Rolle der Frau in Familie und Arbeitswelt von Grund auf neu definieren.
Die Betonung der ungehemmten sexuellen Freiheit ist charakteristisch für die dritte Welle, die Favale in den 1990er Jahren verortet. Einziger Massstab für sexuelle Moral ist seither die persönliche Einwilligung. Bis zur vierten Welle Anfang der 2010er Jahren verschiebt sich der Fokus in Richtung Geschlechtervielfalt. Die Zweigeschlechtlichkeit wird zunehmend geleugnet. Parallel zieht man immer schärfere Grenzen zwischen dem biologischen Geschlecht (engl. „sex“) und dem sogenannten sozialen oder gefühlten Geschlecht (engl. „gender“). Auf einmal gibt es die Vorstellung, dass sich auch ein biologischer Mann als Frau identifizieren kann. Der Gender-Begriff ist völlig losgelöst vom biologischen Geschlecht. Ja, mehr noch: Inzwischen müssen sich Frauen rechtfertigen, wenn sie Schutzräume wie Duschen und Umkleidekabinen nicht mit biologischen Männern teilen wollen, die für sich die „Identität einer Frau“ in Anspruch nehmen.
Solche tiefgreifenden Wandlungen passieren nicht im luftleeren Raum. Starke Vordenker und ein gewisser gesellschaftlicher Nährboden sind notwendig, um sie zu ermöglichen. Neben zahlreichen anderen haben Margaret Sanger, Simone de Beauvoir und Judith Butler dieses Umdenken in der Gesellschaft massgeblich mitgeprägt.
Margaret Sanger
Die amerikanische Frauenrechtlerin Margaret Sanger (1879–1966) war überzeugt davon, dass Frauen nicht in erster Linie von Männern oder der Gesellschaft allgemein unterdrückt werden. Hauptfaktor der Unterdrückung ist ihrer Meinung nach der weibliche Körper und dessen Fruchtbarkeit. So könnten Frauen laut Sanger wahre Freiheit nur durch Verhütung und ein Recht auf Abtreibung erreichen.
Sangers Denken war zutiefst eugenisch geprägt – ebenso wie die von ihr gegründete Bewegung zur Geburtenkontrolle. Aus dieser ging „Planned Parenthood“ hervor, der heute weltweit grösste Anbieter von Abtreibung. Allein dieser Zusammenhang sollte einem zu denken geben.
Simone de Beauvoir
Auch die französische Philosophin Simone de Beauvoir (1908–1986) sieht Frauen von ihrer eigenen Biologie unterdrückt. Frauen seien eine „Beute der Spezies“ und „an ihren Körper gefesselt wie ein Tier“. Fruchtbarkeit und Mutterschaft sind für de Beauvoir gelinde gesagt nichts Erfreuliches. Eine Frau, die Mutter werde, gebe damit nicht „ihrer Existenz einen höheren Sinn“, sondern sie unterwerfe sich „passiv ihrem biologischen Schicksal“.
Zudem war sie der festen Überzeugung, es gebe nicht die Kategorien Frau und Mann an sich. Es gebe lediglich Geschlechterrollen, letztlich Erwartungen der Gesellschaft daran, wie „die Frau“ oder „der Mann“ zu sein hätten. Bekannt ist ihr Satz: „Man wird nicht als Frau geboren, sondern man wird dazu gemacht.“ Damit treibt sie, analysiert Favale, „einen Keil zwischen die Bedeutung von ‚Frau‘ und ‚weiblich‘“. Das Ergebnis dieser Entzweiung sehen wir heute allenthalben.
Um sich als Frau zu befreien, müsse man sich also von diesen Erwartungen, diesem Rollenbild losmachen. De Beauvoir sieht das Ziel in „genauso wie die Männer erzogenen und ausgebildeten Frauen“, die „ihren Wert in der Arbeit und beim Sport beweisen“. Je mehr diese Frauen in die männliche Sphäre vordrängen, desto mehr würde diese Sphäre als „androgyn“ wahrgenommen.
Mit anderen Worten: Frauen sind erst frei, wenn sie wie Männer sind – oder wenn es gar keine Geschlechter mehr gibt.
Judith Butler
De Beauvoirs Überlegungen ebneten die Bahn für die amerikanische Philosophin Judith Butler (*1956), einer der wichtigsten Vertreterinnen der Gender-Theorie. Sie geht noch einen gewaltigen Schritt weiter als de Beauvoir. Die Zweigeschlechtlichkeit des Menschen ist für Butler keine Tatsache, sondern eine gesellschaftliche Erfindung. Zwar leugnet sie biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht. Doch jegliche Interpretation dieser Unterschiede ist für sie keine Frage der Wahrheit, sondern eine Frage der Macht.
Butler vertritt die These der „Genderperformanz“. Hinter diesem sperrigen Begriff versteckt sich die Vorstellung, dass das Geschlecht nichts Natürliches oder Naturgegebenes ist, sondern etwas, das jeder Mensch durch sein Handeln und seine Worte hervorbringt. Favale vergleicht es mit einem Skript zu einer Rolle. Dadurch, dass Menschen dieses Skript umsetzen, bleibe die „Illusion“ erhalten, dass es die Kategorien Mann und Frau gebe. Für Butler sind dies jedoch rein soziale Konstrukte.
Was nun?
Heute leben wir in einem Zeitalter der beispiellosen Verunsicherung und Desorientierung im Bereich der geschlechtlichen Identität. Immer mehr junge Mädchen stellen ihr eigenes Frausein in Frage, identifizieren sich als „trans“ und lassen entsprechende Behandlungen an ihrem Körper vornehmen. Auch diese Entwicklung kam nicht aus dem Nichts. Woher sollen junge Frauen heute ein wirklich positives, inspirierendes Bild einer Frau haben? Wie will man zu einer ausgereiften Identität gelangen, wenn selbst der eigene Körper nicht mehr als Orientierung dienen darf?
Frausein ist dann etwas frei Wählbares, Optionales, ein „Feature“, das man wahlweise einem weiblichen oder männlichen Körper aufschnallen kann. Während man versucht, sich von Rollenbildern zu befreien, wird das Frausein an sich umgekehrt zu einer Rolle, die man – unabhängig von körperlichen Gegebenheiten – spielen kann oder nicht.
Sanger, de Beauvoir und Butler offenbaren in ihrem Kern jeweils etwas zutiefst Frauenfeindliches. Es ist eine grausame Ironie, dass ausgerechnet sie mit als Wegbereiter der Frauenbewegung gelten. Das Beste, was heutige Feministinnen also tun könnten, wäre, sich von ihnen zu distanzieren und neue, tatsächlich frauenfreundliche Wege zu beschreiten.
Der diesjährige Weltfrauentag wäre ein guter Anlass dafür.