Das Konzept der «sexuellen Vielfalt» und eine Sexualaufklärung, die nach Wunsch von Experten bereits im Kindergarten mit vier Jahren beginnen soll, hat die Bestseller-Autorin Birgit Kelle in ihrem Vortrag vom 20. März 2017 in Zürich kritisch hinterfragt. Kindergartenkinder bräuchten keine Prävention vor Geschlechtskrankheiten, sondern «Liebe, Behütetsein und kindergerechtes Spielzeug». Bei dem Anlass der Schweizerischen Stiftung für die Familie kamen auch Vertreter der Elterninitiative Sexualerziehung Schweiz und von Zukunft CH zu Wort.

Für die deutsche Bestseller-Autorin Birgit Kelle geht der aktuelle Sexualkundeunterricht an den tatsächlichen Bedürfnissen der Kinder vorbei: «Kindergartenkinder brauchen noch keine Prävention vor Geschlechtskrankheiten, weil sie ihre Spielgefährten nicht aus Versehen schwängern werden in der Bauecke. Sie brauchen statt dessen Liebe, Behütetsein und kindgerechtes Spielzeug», erklärte die Journalistin und vierfache Mutter Birgit Kelle in ihrem Vortrag am 20. März in Zürich.

Die Empfehlungen der WHO (die auch in der Schweiz propagiert werden), wonach eine Sexualaufklärung schon bei Kindern ab dem Alter von vier Jahren beginnen soll, sei eine «Kompetenzüberschreitung dieser Organisation». Es zeuge von einer totalen Unkenntnis dessen, was Kinder in diesem Alter brauchen würden. «Das ist kein Unterricht, das ist nahezu Kindsmissbrauch. Wenn sich im Park nebenan ein erwachsener Mann vor einer erwachsenen Frau entblösst und ihr damit ungebeten und ungewollt seine Sexualität aufdrängt, dann wird das strafrechtlich als Exhibitionismus angeklagt. Wenn wir hingegen im Unterricht kleinen Kindern ungebeten die Sexualität von Erwachsenen bis ins Detail aufdrängen, dann ist es angeblich ein Bildungsauftrag der Schule.»

Es sei naiv zu glauben, dass hier ein paar harmlose Spinner am Werk seien, erklärt Kelle. «Dass zeitgleich nicht nur in der Schweiz, sondern massiv auch in Österreich und Deutschland das Konzept ,sexuelle Vielfalt’ durch staatliche Institutionen mit dem Instrument der Bildungspolitik in die Schulen getragen wird, hat System und Strategie.»

Laut Kelle erfährt die Sexualaufklärung in der Schule derzeit eine Verschiebung in allen Ländern: «Früher konzentrierte man sich auf zwei Themen: Wie entstehen Kinder und wie verhütet man Schwangerschaften? Nach der Entdeckung von AIDS hat man zudem die Prävention vor Geschlechtskrankheiten massiv nach vorne gerückt. Heute besteht der Kern der neuen, sogenannten ‚neoemanzipatorischen Sexualpädagogik‘ darin, den Kindern möglich früh und ausführlich Geschlechtsverkehr in all seinen Variationen zu erklären und nahezubringen, bis hin zur Darstellung verschiedener Sexualpraktiken.»

«Viele Eltern fühlen sich verunsichert»

Bestätigt wurden die Aussagen von Birgit Kelle durch zwei Fachleute, die nach dem Vortrag ihre Erfahrungen mit der Sexualpädagogik in der Schweiz schilderten: «Immer wieder beklagen sich Eltern bei unserer Fachstelle über verstörende Inhalte des schulischen Sexualkundeunterrichtes», schilderte Regula Lehmann, Elterncoach und Leiterin der Fachstelle «Elterninitiative Sexualerziehung», ihre Erfahrungen. Anhand von mehreren Beispielen zeigte sie, wie auch Eltern und Kinder durch den aktuellen Sexualkundeunterricht an Schulen verunsichert sind.

Dominik Lusser, Leiter Familienprojekte Zukunft CH, zeigte Beispiele, wo von kantonalen Fachorganisationen empfohlene Webseiten eine pornoverharmlosende Haltung propagieren. Pornografie werde Jugendlichen als Inspirations- und Erregungsquelle empfohlen. Im Namen eier vermeintlichen Vielfalt werde ihnen ein Bild von Sexualität vermittelt, das alle möglichen Sexualpraktiken als «okay» darstelle und Sexualität letztlich auf ihren Lustaspekt reduziere. Mögliche Gefahren würden heruntergespielt – zum Beispiel:

Die Webseite Cybersmart.ch, die von «Berner Gesundheit» verantwortet wird, dem Partner des Kantons Bern für Sexualpädagogik, schreibt: «Erwachsenen wie Jugendlichen dient die Pornografie auch zur sexuellen Erregung und Stimulation (Cybersex). Neben der Selbstbefriedigung kann gemeinsamer Pornografiekonsum auch Bestandteil der Paarsexualität sein.» Bei der Online-Beratung lilli.ch wurde kürzlich ein 14-Jähriger mit der fragwürdigen Information, legale Pornografie sei «grundsätzlich nicht schädlich», quasi indirekt zum Konsum pornografischer Inhalte ermutigt. Es sei unverantwortlich, so Lusser, wenn manche Fachleute für sexuelle Gesundheit auf diese Weise das Strafgesetzbuch zum Massstab eines guten Umgangs mit der Sexualität machten.

Toleranz oder Akzeptanz?

Birgit Kelle sieht die aktuelle Sexualaufklärung der Schulen und das Konzept der «sexuellen Vielfalt» in einem grösseren Kontext. Darauf hat sie bereits in der Einladung zum Vortrag hingewiesen: «Vorgeschoben wird dabei immer nur das Werben für ‚Toleranz und Akzeptanz‘ für neue Formen des Zusammenlebens und verschiedene sexuelle Orientierungen und Identitäten. Im Fokus steht möglichst viel Wissen um Sexualität und alle ihre Spielarten, und das wenn möglich schon ab der ersten Klasse. Abweichenden Meinungen und Widerstand wird nicht mehr mit Diskussion und Sachargumenten begegnet, sondern mit der Beschuldigung von angeblicher Diskriminierung. Die Kinder sind mit einem Sexualkundeunterricht konfrontiert, der ihnen mehr schadet als nützt.» Und im Gegensatz zu Erwachsenen könnten Kinder weder ausweichen, noch hätten sie dieselbe intellektuelle Reife, um bei Bedarf zu widersprechen.

Rund 150 Personen, je etwa gleich viele Frauen wie Männer, haben den rund einstündigen Vortrag am 20. März 2017 im Zürcher «Glockenhof» besucht. Die rege Diskussion im Anschluss zeigte eine hohe Wertschätzung für die Referentin: für ihre frei, engagiert, sachlich und klar verständlich vorgetragenen Ausführungen ebenso wie für ihre Standpunkte. Dies kam auch im gelegentlichen Zwischenapplaus oder im Schmunzeln über humorvolle Zuspitzungen, etwa über Gesellschaftsbilder in Fernsehserien, zum Ausdruck.

Besonders Wert legte Birgit Kelle in ihren Antworten auf die Vielfalt der Meinungen und Lebensformen, die zum Wesen einer Demokratie gehöre: «Ich kämpfe nicht gegen den Begriff der Vielfalt – ich benutze ihn.» Darum solle die Schule auf jegliche Fragen der Kinder eingehen und müssten sich Lehrpläne neuen Entwicklungen anpassen.

Aber es gehe nicht an, dass die Schule nur eine Position unterrichte und andere nicht nur verschweige, sondern gar stigmatisiere. Immer mehr werde in unserer Gesellschaft der Begriff der Toleranz durch Akzeptanz ersetzt. Toleranz bedeute, dass wir jemanden mit einer anderen Meinung ertragen. Akzeptanz hingegen gehe davon aus, dass wir die Meinung des andern zu akzeptieren haben. Eine Demokratie lebe jedoch von der Meinungsvielfalt, wo unterschiedliche Meinungen nebeneinander existieren.