Mit dem Comic „Hotnights“ präsentierte „Sexuelle Gesundheit Schweiz“, offizieller Partner des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) bei der Umsetzung des „Nationalen Programms HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen (NPHS)“, im November 2012 ein neues umstrittenes Lehrmittel. „Hotnights“ ist mit finanzieller Unterstützung des BAG, Sektion Promotion und Prävention, und dank eines Beitrags des Migros Kulturprozents realisiert worden. Erschienen ist es im Schulverlag Plus.

Von Dominik Lusser

Speziell gut eigne sich „Hotnights“ für die Oberstufe, also für Schüler ab 14/15 Jahren, schreibt „Sexuelle Gesundheit Schweiz“ in der Medienmitteilung. Das Lehrmittel biete „eine zeitgemässe Plattform für die Diskussion rund um Sexualität, Schutz und Gesundheit“. Denn für Jugendliche gäbe es das, „was viele erwachsene verloren glauben: die Suche nach der echten Liebe, die eigentlich die Suche nach dem echten Menschsein“ sei.

Der Comic „Hotnights“

Klingt doch hoffnungsvoll, dieser letzte Satz! Doch schon ein erster Blick in den Comic mit expliziten Sex-Darstellungen konfrontiert einen mit den nackten Tatsachen des Menschenbildes, welches das BAG und seine Helfershelfer unter dem Deckmantel der Gesundheitsprävention in den Köpfen der Schüler verankern wollen. „Musik, Freundschaft, Liebe, Smartphones und Facebook. Alles ohne Mahn- oder Drohfinger, und nur mit dem allernötigsten Minimum an Safer Sex Botschaften.“ Die Geschichte ist schnell erzählt: „Hotnigths“ ist ein Openair, auf dessen Showbühne viele dürftig bekleidete Frauen zu sehen sind und an dem sechs Freunde einiges erleben. Die frisch verliebten Malou und Tobi haben zum ersten Mal Sex, werden dabei aber von zwei bösen Punks mit dem Handy gefilmt. Es kommt zu Gewaltszenen. Samet und Nina dürfen auf dem Openair leider keinen Sex haben, weil Nina grad ihre Tage hat. Johnny ist schwer gut drauf und angelt sich auch dieses Mal wie gewohnt eine Blondine, vergisst aber blöderweise, nach ihrem Namen zu fragen. Und dann gibt es noch den schwulen Marc. Dieser trifft auf den Backstage-Manager Patrick, gibt ihm aber einen Korb, weil Marc sich nach einem festen Partner sehnt, Patrick aber nur den schnellen unverbindlichen Sex sucht. Das alles in einer äusserst vulgären Sprache. Im Hintergrund sind immer wieder die Safer-Sex-Plakate des BAG zu sehen. Und noch bevor sich die Freunde einen Platz für ihre Zelte auf dem „Bumsfeld“ sichern können, müssen sie beim Eingang zum Openair am Love-Life-Personal vorbei, das sie mit Gratiskondomen ausstattet.

Zweifellos werden hier die Wochenenderlebnisse nicht weniger Schweizer Jugendlicher, aber eben doch nur einer Minderheit, realistisch geschildert. Wäre es die Absicht der Autoren, die Schüler durch diese Geschichte wenigstens zu echt kritischen Diskussionen anzuregen, könnte die schon mit 15 Jahren freizügig lebende Minderheit von ihren Lehrern und Klassenkameraden vielleicht doch noch etwas lernen. Doch das didaktische Begleitmaterial weist in eine ganz andere Richtung. Hier einige Beispiele:

Das didaktische Begleitmaterial

Das Thema „Pille, Präser, Pipapo“ soll anhand einer Stelle aufgerollt werden, in der Samet Johnny einen Safer-Sex-Kurs erteilt: „Weil wir beim Rumturnen die Kontrolle verloren haben“ hat mich „Nina mal auf so’ne Fachstelle geschleppt“, wo sie ihr die „Pille danach“ gegeben haben. In einer Fussnote im Comic erfahren die Schüler, wo man die „Notfallpille“ rezeptfrei bekommen kann. Und im Anhang wird präzisiert, dass man bei Schwangerschaft „drei Wahlmöglichkeiten“ habe: Das Kind auszutragen, es zur Adoption freizugeben oder es abzutreiben. Für alle Wünsche werde man unter www.sexuelle-gesundheit.ch kompetent beraten. Im „Experten-Kommentar“ des didaktischen Begleitmaterials wird es Samet hoch angerechnet, Nina für die Pille danach zur Beratungsstelle begleitet zu haben. Damit hätte er gezeigt, dass er Verantwortung übernehme und auch in schwierigen Situationen zu seinen Freunden stünde.

„Das erste Mal“ soll anhand des Liebespaares Malou und Tobi thematisiert werden. Tobi ist sich unsicher, ob angesichts seiner nahen Abreise in die USA der Zeitpunkt richtig war. Doch zerstreut er seine Bedenken mit dem lapidaren Satz: „Aber es gibt Dinge, die geschehen halt einfach“. Malou hingegen bedenkt, dass sie sich bei Tobi zuhause bestimmt wohler gefühlt hätte als im Zelt. Wenn eine spontane Diskussion über Zeitpunkt, Rahmenbedingungen und Vorkehrungen für die entsprechende Klasse „zu weit“ gehe und nicht möglich sei, solle man sich, so der didaktische Ratschlag, für die Diskussion möglichst nahe an die Figuren und ihre Aussagen halten. Auf die Erörterung des Themas ganz zu verzichten, weil es vielleicht für die grosse Mehrheit der Klasse noch völlig irrelevant ist, ist offenbar keine Option.

Die dürftig bekleideten Frauen, mit denen sich einer der Openair-Musiker auf der Bühne umgibt, soll Anlass geben, über den Slogan „Sex sells“ sowie das schwierige Thema der Grenze zwischen Kunst und Pornographie ins Gespräch zu kommen. Erwartet wird eine kontroverse Diskussion. Falls aber die Frage zu schwierig sei, werde es möglicherweise beim Input des Lehrers bleiben. Eine „ehrliche und authentische Stellungnahme“ der Lehrperson werde, so die Einschätzung der Ratgeber, von den Schülern dankbar aufgenommen.

Unter dem Titel „Spitz auf Blond“ sollen die Schüler bei Bedarf darauf aufmerksam gemacht werden, dass Weiberheld Johnny nicht vorschnell als oberflächlich abzuurteilen sei. Wichtig sei die ganze Skala zwischen „Herumexperimentieren“ und „fester Beziehung“, auf der es „kein Richtig oder Falsch“ gäbe.

Der Lesetext „Expertenmeinung“, der das Verhalten aller beteiligten Comic-Figuren kommentiert, übertrifft ferner alles. Malou wird als starke Frau gelobt, weil sie als Frau Kondome am Openair dabei hatte. Nina wird wegen ihrer klaren Ausdrucksweise („Bumsfeld“, „flotter Dreier“, usw.) geschätzt: Sie nehme definitiv kein Blatt vor den Mund. Wer sich aber über Sex getraue zu sagen, was ihm gefalle und was eben nicht, sei im Bett meist auch glücklicher. Zu Johnny wird einfach festgestellt, dass er offenbar keine tiefere Beziehung suche. Das sei aber ok, wenn die Beteiligten damit einverstanden seien und er in seinen Absichten ehrlich und transparent bleibe. Auch der schwule Patrick hat natürlich das gleiche Recht. Dieser gehöre als Mann mit wechselnden Partnern zwar zu einer besonderen Risikogruppe. Darum aber gebe es ja, wenn es für ihn „hot“ werde, die einfachen Safer Sex Regeln, mit denen er sich und seine Partner schützen könne. Die einzigen, die Experten-Schelte einstecken müssen, sind die beiden Punks, welche Malou und Tobi beim Geschlechtsverkehr mit dem Handy gefilmt haben. Indem sie immer gleich alles ins Internet stellen, zeigen sie, dass ihre Social-Media-Kompetenz noch zu wünschen übrig lässt.

Von der erfüllten Sexualität

Gewidmet ist dieses „Lehrmittel“ (!) übrigens „allen Jugendlichen, auf dass sie eine selbstbestimmte und erfüllte Sexualität entwickeln können“. So also sieht ganz konkret der viel gepriesene ganzheitliche (angeblich den ganzen Menschen einbeziehende), lebensbejahende Ansatz der Sexualpädagogik aus, der nach Wunsch des BAG in den Leerplänen der Schweizer Schulen verankert werden soll. Für all diejenigen, welche diesen Stil wenig lebensbejahend und wenig förderlich für eine ausgewogene, echt ganzheitliche Entwicklung unserer Jugend halten, bleibt noch bis zum 17. Januar 2013 Zeit, das Referendum gegen das Epidemiengesetz (EpG) zu unterschreiben. Mit dem ansonsten in Kraft tretenden Gesetz bekäme der Bund erheblich mehr Kompetenzen, die Kantone zur Umsetzung der vom BAG ausgearbeiteten Präventionsprogramme, von denen „Hotnights“ ein konkreter Ausdruck ist, zu drängen.