Am 11. November 2018 findet der weltweite Gebetstag für verfolgte Christen statt. In vielen Kirchgemeinden wird an diesem Tag für 215 Millionen Christen gebetet, die in den verschiedensten Ländern unter Verfolgung leiden. Verschiedene Organisationen, darunter die Schweizerische Evangelische Allianz und die Menschenrechtsorganisation Open Doors, stellen Interessierten Material für Gottesdienste oder Gebetsabende zur Verfügung. Pünktlich zu diesem Gebetstag legt Open Doors auch eine neue Analyse vor, welche verschiedene Länder vergleicht und zeigt, dass die Verfolgung und der der Druck auf Christen alle Bereiche des Lebens betreffen kann: mit einem Eintrag in der Geburtsurkunde bis zur Verweigerung einer Grabstätte auf dem örtlichen Friedhof.

Die Analyse von Open Doors:

Christ in einem Land zu sein, das die Meinungsfreiheit nicht respektiert, ist von der Geburt bis zum letzten Atemzug von Druck und Verfolgung begleitet, die je nach Kontext sehr unterschiedlich sein kann. Die Organisation Open Doors, die seit mehr als 60 Jahren in den betroffenen Ländern aktiv ist, hat eine Analyse erstellt, in der die Lebensbedingungen verfolgter Christen in verschiedenen Ländern miteinander verglichen werden.

215 Millionen Christen werden derzeit weltweit verfolgt. Dieser Druck erfolgt längst nicht immer auf blutige Weise. Oft handelt es sich um subtile und psychische Formen der Gewalt, die sich durch alle Lebensphasen hindurch ziehen können.

Geburt und Kindheit: Nicht gleichberechtigt

In vielen Ländern, die sich auf dem Weltverfolgungsindex befinden, wird die Religionszugehörigkeit von Geburt an auf Ausweispapieren festgehalten. Die Religionszugehörigkeit ist nahezu unveränderlich, ausser wenn jemand zur Mehrheitsreligion wechseln will. Beispielsweise Ägypten: Die Erwähnung einer Minderheitsreligion in offiziellen Dokumenten führt oft zu Diskriminierungen oder gar zu einer Form der administrativen Unterdrückung.

Einige Länder, wie die Malediven, halten in der Verfassung fest, dass Einwanderer nur eingebürgert werden können, wenn sie Muslime sind; Kapitel 1, Absatz 9 in der Verfassung. Ausserdem kann nur Parlamentarier werden, wer sunnitischer Muslim ist (Kapitel 3, Absatz 73), gleiches gilt für den Staatspräsidenten (Kapitel 4, Absatz 109) und Kabinettsmitglieder (Kapitel 5, Absatz 130) sowie die Richter (Kapitel 6, Absatz 149).

Diese Gesetze stehen im Widerspruch zu den Grundsätzen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in der es heisst, dass „alle Menschen frei und gleich in Würde und Rechten geboren werden“ und dass „jeder Mensch das Recht hat, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln.“

Pubertät: Kein sozialer Aufstieg, Entführung

In Schulen und Ausbildungseinrichtungen hält die Diskriminierung an. Junge türkische oder kasachische Christen berichten, dass ihnen der Zugang zu öffentlichen Ämtern nicht gewährt wird, wenn sie ihren Glauben nicht verheimlichen.

Aber das grösste Trauma tausender christlicher Teenagermädchen ist es, entführt zu werden. Die Motivationen dahinter ist nicht einzig, dem Christentum zu schaden. Insbesondere steckt auch die Idee dahinter, eine Christin durch Zwangsheirat für einen anderen Glauben zu „gewinnen“, denn zukünftige gemeinsame Kinder übernehmen automatisch die Religion des Vaters. Die Auswirkungen sind für junge Mädchen, aber auch für ihre Familien und die gesamte christliche Gemeinschaft, traumatisch und führen zum Auseinanderbrechen sozialer Bindungen. In Nigeria beispielsweise wurden im Februar 2018 rund 110 Mädchen von der Terrororganisation Boko Haram entführt. Alle ausser Leah Sharibu waren Musliminnen. Diese wurden kurz darauf wieder freigelassen, einzig Sharibu wird immer noch zurückgehalten, weil sie sich weigert, ihren Glauben aufzugeben. Nun wurde sie von Boko Haram zur Sklavin erklärt.

Erwachsenenalter: Zwangsheirat und Gewalt

Viele Frauen, welche die Mehrheitsreligion ihrer Gemeinschaft verlassen haben, um zum Christentum überzutreten, werden zwangsverheiratet, meist mit einem Mann, der die Mehrheitsreligion sehr aktiv praktiziert. Wenden sich Frauen beispielsweise in Somalia, Afghanistan, Pakistan und im Irak einer Minderheitsreligion zu, besteht ein grosses Risiko, dass sie entführt oder zwangsheiratet werden.

In Somalia, Afghanistan und Teilen Pakistans wird eine Frau, die unter Verdacht steht, zum Christentum konvertiert zu sein, bestraft, indem sie mit einem Muslim zwangsverheiratet wird. In Pakistan werden junge christliche Frauen entführt, vergewaltigt, verheiratet und gewaltsam bekehrt. Es wird geschätzt, dass täglich im Durchschnitt zwei christliche Mädchen dieses Schicksal erleiden, also rund 700 pro Jahr. Im Irak sind junge christliche Frauen besonders anfällig für Entführungen und Menschenhandel. Im Falle, dass eine Person nach der Heirat zum christlichen Glauben übertritt, kann die Reaktion des Ehepartners radikal oder sogar gewalttätig sein.

Diskriminierung im Alltag

Für viele Christen in den Ländern, die auf dem Weltverfolgungsindex aufgeführt sind, bleibt die Ernährung der Familie eine zusätzliche, tägliche Herausforderung. Durch die Diskriminierung in der Arbeitswelt verarmt die christliche Minderheit zunehmend, insbesondere in Ländern, in denen die Religionszugehörigkeit auf Ausweispapieren erscheint, und erhöht so die Verletzlichkeit der christlichen Gemeinschaft. So berichten beispielsweise ägyptische Christen, dass ihnen bestimmte Posten in der Arbeitswelt verwehrt werden. Auf dem Arbeitsmarkt gibt es Arbeitgeber, die offen kommunizieren, dass sie keine Christen einstellen. Diese Form der Diskriminierung kann sich auch auf den Zugang zur Gesundheitsversorgung und zu öffentlichen Dienstleistungen auswirken, bis hin zum Verbot, Wasser aus dem Gemeinschaftsbrunnen zu schöpfen.

So starb beispielsweise Irfan Masih, ein 35-jähriger Christ, im Umar-Kot-Krankenhaus in Pakistan, weil drei Ärzte sich weigerten, ihn zu behandeln. Der Mann wurde beim Arbeiten in den Kanälen durch die Dämpfe bewusstlos. Er wurde von den Ärzten nicht versorgt, einerseits weil er Christ war, andererseits wegen der schmutzigen Arbeit, die er verrichtet. Hinzu kam, dass gerade Ramadan war.

Gewalt auch gegen Alte

In den meisten nicht-westlichen Kulturen ist der Respekt vor den Ältesten ein traditioneller und grundlegender Wert. Diese Betrachtung schliesst ältere Menschen aus christlichen Minderheiten in Ländern, in denen sie verfolgt werden, aus. Manchmal müssen sie sich sogar vor ihren Kindern oder Enkeln fürchten, wenn sich diese einem fanatisch geprägten Islam oder Hinduismus zuwenden. So zum Beispiel in Indien: Im Dorf Dokawaya wurde eine 55-jährige Christin wegen ihres Glaubens von ihrem Sohn und der Schwiegertochter – beide fanatische Hindus – erschlagen und verbrannt.

Gewalt droht Christen jeglichen Alters in etlichen Staaten, wie das Hintergrundmaterial zum diesjährigen Weltverfolgungsindex (WVI) belegt (es kann auf Wunsch angefordert werden). Ein weiteres Beispiel ereignete sich in Turkmenistan: Bei einer Attacke auf eine Hauskirche im Norden des Landes verhafteten die Polizisten einen 77-jährigen Christen und verspotteten ihn vor seiner Familie. Seine 68-jährige Frau wurde zu Tode geprügelt.

Bestattungen verweigert

In den Regionen der Welt, in denen sie diskriminiert werden, haben Christen auch Schwierigkeiten bei der Beerdigung von Mitgliedern ihrer Gemeinschaften. In gewissen Ländern ist die Bestattung der Angehörigen von religiösen Minderheiten schlicht verboten. Die Länder mit den diesbezüglich grössten Problemen sind Afghanistan, Bhutan, Libyen, Malediven, Nepal, Nordkorea, Somalia und Jemen.

In den letzten Monaten stand auch die koptische Gemeinschaft in Ägypten vor solchen Schwierigkeiten. Die Verfolgung „verfolgt“ den Verstorbenen bis ins Grab: Die Frage nach den Riten für die Bestattung eines Christen, der aus einem anderen religiösen Hintergrund konvertiert ist, entzweit Familien und Gemeinschaften.

Zusätzlich zum Schmerz, den der Verlust eines geliebten Menschen bedeutet, erleben die Christen in den Ländern des WVI viel Diskriminierung bei der Bestattung ihrer Angehörigen. In Aserbaidschan weigern sich die lokalen Behörden manchmal, den Tod eines Konvertiten anzuerkennen und behindern damit das Nachlassverfahren.

Geheime Bestattungen

Die Nepalesen sind gezwungen, geheime Bestattungen im Wald durchzuführen. Manchmal sind es die Verwandten des Verstorbenen, die sich weigern, den Leichnam in ihrem Dorf zu bestatten, weil sie befürchten, dies würde ihnen Unglück bringen. Für die Angehörigen ist dies eine schmerzhafte Situation, die durch das Inkrafttreten von Anti-Bekehrungsgesetzen in Nepal in diesem Sommer noch verschärft wird.

Ein weiteres Beispiel liefert Bhutan: Es ist für Christen mit buddhistischem Hintergrund sehr schwierig, eine Beerdigung nach christlichem Ritus zu organisieren, da das Christentum im Land nicht anerkannt ist. Begräbnisse finden oft nachts statt, an abgelegenen Orten und im Geheimen. Bhutanische Christen bestatten ihre Toten sogar lieber im benachbarten Indien.

In Tadschikistan stiess in diesem Sommer ein zum Christentum konvertierter Mann auf den Widerstand eines Imam, der sich weigerte, dessen Frau auf dem Friedhof bestatten zu lassen und der behauptete, dass die verstorbene Frau und ihr Mann „Verräter des Islam“ seien.

Quelle: Medienmitteilung Open Doors, 31. Oktober 2018