In einer Interpellation fordert der Berner Nationalrat Erich von Siebenthal vom Bundesrat Auskunft über die Praxis der Spätabtreibung in der Schweiz. In der Begründung des am 15. Dezember 2016 eingereichten Vorstoss heisst es: „Die Öffentlichkeit weiss wenig über die Tatsache der Spätabtreibungen. Dass in der Schweiz mitunter lebensfähige Neugeborene dem Sterben überlassen werden, ist kaum bekannt.“ Artikel in den Medien zu diesem Thema seien Ausnahmen.

Der SVP-Nationalrat von Siebenthal erwähnt einen Fall aus der Aargauer Zeitung vom 3. Mai 2014: „Die Zeitung berichtete von einem Knaben, der bei einer eingeleiteten Frühgeburt in der 25. Schwangerschaftswoche lebend zur Welt kam. Obwohl er selbständig atmete, überliess man ihn dem Sterben. Nach zwei Stunden war der Neugeborene tot.“ Solche Vorkommnisse findet der Berner Nationalrat nicht tolerierbar.

Von Siebenthal stellt dem Bundesrat u.a. folgende Fragen:

  • Bis zu welcher Schwangerschaftswoche maximal wurden in den Jahren 2003 – 2015 mit welchen Begründungen Spätabtreibungen vorgenommen?
  • Wie viele Fälle sind bekannt, in denen in der Schweiz in den Jahren 2003 – 2015 lebensfähige Neugeborene dem Sterben überlassen wurden?
  • In welchen Fällen ist das Personal verpflichtet, medizinische Hilfe zu leisten?
  • Warum erachtet er es als richtig, lebensfähige Neugeborene dem Sterben zu überlassen?
  • Auf Grund welcher Kontrollmechanismen kann er garantieren, dass es in den Bereichen Abtreibung/Spätabtreibung zu keinen Missbräuchen kommt?

Fälle, in denen überlebensfähige Kinder nach einer Spätabtreibung einfach dem Sterben überlassen werden, sind europaweit häufig. 2015 forderte darum das „European Centre for Law and Justice“ (ECLJ) in einer Petition das Parlament des Europarats auf, den Mord an Kindern, die eine Abtreibung überlebt haben, klar zu verurteilen. Mit 226’000 Unterschriften ist sie die grösste Petition, die je an den Europarat gerichtet wurde. Überleben Kinder eine Spätabtreibung, dann sind sie laut den Petitionären in den meisten Fällen dazu verurteilt, ohne Versorgung qualvoll zu sterben. Oft kämpften sie bis zum Tode mit extremer Atemnot. Das sind Zustände, die auch strafrechtliche Brisanz haben.

Zukunft CH hat im Infodienst 2015 über einen Fall berichtet, bei dem eine junge Assistenzärztin 2006 im Berner Inselspital einen solchen Fall selbst miterleben musste, auf eigenen Wunsch hin allerdings unbeteiligt blieb: Bei einem Kind in der 30. Schwangerschaftswoche bestand Verdacht auf eine Behinderung. Der Abtreibungsarzt holte das Kind per Kaiserschnitt aus dem Bauch der Mutter und überliess es ohne lebenserhaltende Massnahmen seinem Schicksal. Lediglich schmerzlindernde Mittel waren für den Fall vorgesehen, dass das Kind Schmerzsymptome zeigen sollte. Die junge Ärztin, die es heute bedauert, nicht die Staatsanwaltschaft informiert zu haben, erinnert sich an die Schilderungen ihrer Dienstkolleginnen über das Erstaunen des Vaters, als dieser das möglicherweise völlig gesunde Kind erblickte: „Ist es wirklich krank?“ Dennoch habe man es einfach sterben lassen.