Eine Tagung des Psychologischen Instituts der Uni Zürich unter der Leitung von Prof. Guy Bodenmann behandelte am 25. August 2017 das Thema „Bindung – was die Welt zusammenhält“ aus verschiedenen Perspektiven. 45 Prozent der Kinder erfahren nicht die elterliche Zuwendung, die sie eigentlich benötigen. Während mangelnde oder falsche Bindung zu psychischen Störungen führt, können genetisch bedingte Entwicklungsstörungen wie Depression oder ADHS durch elterliche Sensibilität kompensiert werden. Von der Tagung berichtet die Schweizerische Stiftung für die Familie.

Die Bindungstheorie beruht auf der Erkenntnis, dass schon das Kleinkind das Bedürfnis hat, enge und von intensiven Gefühlen geprägte Beziehungen zu einem Mitmenschen aufzubauen, insbesondere zur Mutter. Die Theorie wurde von dem britischen Kinderpsychiater John Bowlby, dem schottischen Psychoanalytiker James Robertson und der US-amerikanisch-kanadischen Psychologin Mary Ainsworth entwickelt. Unterschieden wird dabei die sichere Bindung von der unsicher-vermeidenden, der unsicher-ambivalenten und der desorganisiert/ desorientierten Bindung.

Die Art der Bindung im frühen Kindesalter hat Auswirkungen auf das ganze Leben, wie eine Fachtagung des Psychologischen Instituts der Uni Zürich am 25 August zeigte. Bindung hat mit Lernen im Babyalter, mit dem Lernerfolg in der Schulzeit, mit der Beziehung der Ehepartner und mit dem Familienklima zu tun. Umgekehrt können viele Probleme in der Entwicklung von Kindern oder Eheprobleme auf unsichere oder vermeidende Bindung im Kindesalter zurückgeführt werden. Wo eine sichere Bindung gelingt, entwickelt sich ein Mensch, der gute Beziehungen zur Umwelt, zum Partner und auch zu sich selbst aufbauen kann.

Der Mensch ist auf Bindung hin angelegt

Kinder sind von Geburt an biologisch mit dem Programm „Bindung“ ausgestatten, sie müssen und wollen sich binden, an wen auch immer, sagte an der Tagung in Zürich die Psychologin Karin Grossmann, die an den Universitäten von San Diego, Salzburg und Regensburg lehrte. Im Idealfall ist das zuerst die Mutter. Aber auch Väter oder andere Bezugspersonen nehmen die Funktion des Bindungspartners wahr. Klaus Grossmann, Ehemann von Karin, der ebenfalls an verschiedenen Unis Psychologie lehrte, betonte: Gute Väter öffnen aufgrund einer sicheren Bindung die Welt für ihre Kinder.

Bindung vermittelt psychologische Sicherheit, und diese ermöglicht laut Grossmann gleichzeitig „spielerisch unbehinderte freie Einfälle“ – und „analytisches Denken“. Damit sind optimale Voraussetzungen für ein erfolgreiches Lernen gegeben, das bereits im Babyalter beginnt.

45 Prozent der Kinder mit problematischer Bindung

Prof. Guy Bodenmann, Leiter des Psychologischen Instituts der Uni Zürich, wies auf die Folgen unsicherer Bindung hin. Er erklärte, dass heute jedes dritte Junge zwischen drei und sechs Jahren psychische Störungen oder grenzwertiges Verhalten zeigt, bei Mädchen sind es sogar 38.5 Prozent. Ursachen dafür können schwierige Verlusterfahrungen (Deprivation) oder mangelnde Bezugspersonen, die eine sichere Bindung ermöglichen (Hospitalismus), sein. Auch eine mangelnde Sensibilität der Eltern für die Bedürfnisse des Kindes kann Störungen auslösen. Sein Institut hat Programme entwickelt, mit denen Eltern dafür geschult werden können. Bodenmann betonte auch, dass genetisch bedingte Entwicklungsstörungen wie Depression oder ADHS durch elterliche Sensibilität kompensiert werden könnten.

Laut Irina Kammerer, wissenschaftliche Mitarbeiterin von Guy Bodenmann, sind aktuell in der Schweiz 45 Prozent der Kinder unsicher gebunden. Sie haben nie die intensive elterliche Zuwendung erfahren, die sie sich ersehnten. Dieses Defizit kann aber therapeutisch angegangen werden. Das Psychische Institut der Uni Zürich hat dafür Programme entwickelt, die in Zusammenarbeit mit Eltern, andern Bezugspersonen und unter Einbezug von Lehrpersonen umgesetzt werden.

Bindungsstörungen in Partnerschaften

Kathrin Widmer, die ebenfalls im Psychologischen Institut der Uni Zürich arbeitet, zeigte die Folgen unsicherer Bindung auf das Verhalten in Partnerschaften auf. Diese können darin bestehen, dass Nähe ambivalent erfahren wird, obwohl ein starkes Bedürfnis dafür besteht. Oder sie können sich in einem ängstlich kontrollierenden Verhalten äussern. Eine erhöhte psychische Labilität kann Stress in der Partnerschaft verstärken. Die Therapie zielt dann auf eine schrittweise vertiefende, emotionsbezogene und bedürfnisorientierte Kommunikation. Voraussetzung für ein Gelingen der Therapie sei aber ein hohes Commitment der Paare, also der beiderseitige Wille und die Verpflichtung, die Partnerschaft fortzusetzen.

Quelle: Schweizerische Stiftung für die Familie