Mit der Tagung „Gender Affairs – Politik und Praxis der Gleichstellung in der Schweiz“ zelebrierte die Schweizer Gleichstellungselite am 22. Januar 2016 im Wild’schen Haus zu Basel den Abschluss des Nationalen Forschungsprogramms NFP 60 zur „Gleichstellung der Geschlechter“. Zwölf weibliche und ein männlicher Wissenschaftler thematisierten den „gleichstellungspolitischen Handlungsbedarf“, den die acht Millionen Franken teuren Forschungsprojekte des NFP 60 zutage gefördert haben sollen. Dabei wurde einmal mehr deutlich: Der feministisch dominierten Gleichstellungs-Lobby geht es nicht, wie oft behauptet wird, um die Erweiterung von Handlungsspielräumen und mehr Freiheit, sondern um die Durchsetzung eines ideologischen Gleichheitsideals, notfalls auch mit Zwang.

Von Dominik Lusser u. Ralph Toscan

Gleichstellung, so der einhellige Konsens der Tagung, sei erst dann erreicht, wenn alle das soziale Handeln bestimmenden Unterschiede zwischen Frau und Mann entlarvt und beseitigt seien. Ferner gelte es, alle sogenannt strukturell bedingten Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern auszuräumen. Symptomatisch wird die Babypause einer verheirateten Frau, die bei Widereinstieg in den Beruf wegen Erfahrungsnachteilen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen weniger gute Aufstiegsmöglichkeiten und einen kleineren Lohn hat, als systembedingte Diskriminierung gesehen. Und das, obwohl das Heiraten genauso wie das Kinderkriegen absolut freiwillig sind und die allermeisten Menschen es keineswegs als ungerecht empfinden, die Opportunitätskosten ihrer Entscheidungen selber tragen zu müssen. Die feministische Gleichheitsdenke aber bedient und nährt immerfort den infantilen Anspruch, der Staat habe die von mir als unangenehm empfundenen Nebenwirkungen meiner Handlungen auszubügeln; ja es sei dessen Pflicht mich für die „nachteiligen“ Konsequenzen meiner Geschlechtszugehörigkeit zu entschädigen.

Gleichstellung als Gleichschaltung

Das angestrebte Ziel der Gleichstellungs-Lobby ist darum ein Umbau der Gesellschaft mit dem Ziel, alle Tätigkeiten in allen Lebensbereichen – nach Art und Pensum – zu je 50 Prozent auf die Geschlechter zu verteilen. Feministinnen träumen von einer Gesellschaft, in der jedes Individuum wirtschaftlich vollständig unabhängig von familiären Bindungen sein Leben gestaltet. Dabei werden umso stärkere Abhängigkeiten vom Staat gefördert, zu dessen Kernaufgaben künftig insbesondere die Kleinkinderbetreuung und -erziehung gehören sollen. Die Frage, ob Frauen denn darunter leiden würden, nicht die Hälfte der Lockführer und Gleisbauer zu stellen, interessiert dabei niemanden. Und auch die neusten Zahlen des BFS, wonach 77 Prozent der Frauen, die Kinder im eigenen Haushalt betreuen, auch dann auf Berufstätigkeit bzw. eine Erhöhung ihres Erwerbspensums verzichten würden, wenn weitere Betreuungsangebote zur Verfügung stünden, erschüttert die faktenresistenten Gender-Feministinnen keineswegs.

Der Schweizer Gleichstellungselite bereitet ein ganz anderer Umstand Unbehagen. Die Fortschritte in Richtung Gleichstellung seien zuletzt nur mehr sehr langsam erfolgt. Es sei gar, als krieche die Schnecke rückwärts. Grund: Die Durchschnittsschweizerin hält Gleichstellung für (nahezu) erreicht und ist mit Teilzeitarbeit und nebenberuflicher Kinderbetreuung in aller Regel sehr zufrieden. Und trotz deutlich ausgeprägter Geschlechtsunterschiede im Berufswahlverhalten sind junge Schweizerinnen der Überzeugung, frei ihren Präferenzen zu folgen. Ihnen das auszureden ist nicht einfach. Wieder einmal streikt die Frau als Subjekt der feministischen Revolution.

Ruf nach staatlichem Zwang

Was aber ist zu tun, um das drohende Ende der Revolution abzuwenden? Die Feministinnen setzen, wie es an der Tagung schien, vermehrt auf Druck, Zwang und Kontrolle durch den Staat. Wer tatsächliche Gleichstellung anstrebe, komme „ohne ein notwendiges Mass an Zwang nicht aus“, so die Bremer Politikwissenschaftlerin Silke Bothfeld, die am Beispiel gesetzlich geregelter Frauenquoten über die Etablierung umfassender Steuerungsregime in der Gender-Politik sprach. Eine gesetzliche Quotenpflicht als „hierarchische Steuerung“ genüge dabei nicht. Vielmehr sei diese zu ergänzen durch eine „prozedurale Steuerung“, z.B. eine Planpflicht, sowie eine „evaluative Steuerung“, z.B. eine „sanktionsbewehrte Berichtspflicht“ für Unternehmen. Harte Instrumente wie gesetzliche Zwänge seien kombiniert mit weichen Instrumenten wie Informations- und Sensibilisierungskampagnen einzusetzen. Es gelte, nebst den Gesetzen auch die Kultur und die Einstellungen der Menschen zu bearbeiten. Mit anderen Worten: Die Gender-Umerziehung zur totalen Gleichschaltung von Mann und Frau soll in allen Lebensbereichen, auf allen Ebenen und mit allen verfügbaren Mitteln vorangetrieben werden.

Ferner wollen die Feministinnen dem sich langsam etablierenden „Mythos der erreichten Gleichstellung“ aber auch mit einer gesellschaftspolitischen Grundsatzdebatte entgegentreten, mit der die „Engführung des Ökonomischer-Nutzen-Diskurses“ (Gesine Fuchs) verlassen werden soll: Gleichstellung sei auch dort ein Recht, wo sie sich wirtschaftlich nicht lohne. Karin Gottschall, Soziologin an der Uni Bremen, wandte sich in ähnlicher Weise gegen eine „Instrumentalisierung der Frauenförderung“ durch die Wirtschaft. Ganz auf dieser Linie verknüpfte auch Andrea Maihofer, Leiterin des Basler Instituts für Gender Studies, die Frage nach der Zukunft der Gleichstellungs-Politik mit der moralischen Grundsatzfrage nach der Gerechtigkeit. Dieser vom Vorgehen her einzig richtige Ansatz, mit dem Maihofer ihrem Namen als Philosophin alle Ehre machte, wurde jedoch in der Ausführung durch die utopisch-marxistischen Gerechtigkeitsvorstellungen der Basler Gender-Päpstin zunichte gemacht.

Ohne Empörung, keine Revolution

Maihofer ist sich sicher: Der Gleichstellungsartikel in der Bundesverfassung verpflichtet den Staat zur totalen Gleichschaltung von Männern und Frauen. Folgt man Maihofers Analyse des Medien-Echos auf das NFP 60, so fehlt der Schweizer Öffentlichkeit allerdings ein Bewusstsein für diesen Rechtsanspruch. Die Berichterstattung in den Medien sei zwar über weite Strecken positiv ausgefallen. Anstatt die Empörung über die aufgedeckten anhaltenden Ungleichheiten hätte aber stattdessen die Zufriedenheit über das bisher Erreichte dominiert. Nach einer Erklärung ringend, wertet Maihofer dieses Phänomen als ein Mangel an kollektivem Unrechtsbewusstsein, dessen Ursache in einer Art „inneren Zensur“ zu suchen sei. Niemand wolle als Spielverderber auffallen, indem er deutlich mache, dass Gleichstellung noch lange nicht erreicht sei. Hauptschuldig für solche Blockaden seien Kommentare wie die von BaZ-Chefredaktor Markus Somm („Mann und Frau sind gleich, gleicher am gleichsten“, BaZ, Juni 2014), der die noch bestehenden Unterschiede bagatellisiere und in den „Mikrokosmos der angeblichen ‚Geschlechterungerechtigkeiten‘“ verlagere. Dieser vorherrschende Diskurs werde zudem durch liberale Argumente wie den Verweis auf Eigenverantwortung angereichert und die Gleichstellung so zur Privatsache erklärt: Mit Somms eigenen Worten: „Mann und Frau können selber wählen, was sie wollen. Sollten sie tun, was traditionell wirkt: Wer ist dazu befugt, sie davon abzubringen? Sicher nicht der Staat.“ Dass Somm mit der Mehrheit der Bevölkerung Gleichstellung als Gleichheit der Chancen, und nicht als Gleichheit im Ergebnis versteht, passt eben gar nicht ins feministisch-marxistische Gerechtigkeitskonzept, wonach schon „die Tatsache, dass sich Mann und Frau in irgendeiner Frage anders verhalten, verdächtig und korrekturbedürftig ist“. Maihofer konnte die aus ihrer Sicht negative Wirkmächtigkeit der BaZ-Berichterstattung gar nicht hoch genug einschätzen. Ein Zeichen dafür, dass sich der Widerstand gegen die ideologische Genderisierung der Gesellschaft auf jeden Fall lohnt.

Um Maihofers philosophische Frage nach der Gerechtigkeit zu beantworten, müsste man Somms Plädoyer für die Freiheit allerdings noch mit einem anthropologischen Fundament untermauern. Eine konsistent liberale Gegenposition zum Genderismus, der die bestehenden Geschlechterverhältnisse als Reproduktionsstätte geschlechterspezifischer Ungerechtigkeiten und Hort des Zwangs diffamiert, findet ihr Fundament in der zweigeschlechtlich ausdifferenzierten Artnatur des Menschen. Insofern menschliche Freiheit weder absolut noch beliebig ist, sondern in einem naturhaften Streben seinen Anfang nimmt, muss die Natur als Bedingung und Grenze menschlicher Freiheit bezeichnet werden. Gleichzeitig wird die Natur auch als einzig möglicher Massstab für sozial gerechtes Handeln begreifbar. Wer aber, wie die Genderisten, die Natur in Frage stellt, zerstört auch die Freiheit.

Natürlich würde Maihofer hier nicht zustimmen. Das, wogegen Feministinnen opponieren, ist ihrer Auffassung nach nur vermeintliche Freiheit. Aus der unerschütterlichen ideologischen Überzeugung heraus, dass alle Geschlechtsunterschiede nur Ergebnis patriarchaler Herrschaft sein können, haben die Feministinnen keine moralischen Bedenken, die Frau auch gegen ihre vermeintliche Freiheit zur „Freiheit“ von geschlechtlichen Zwängen zu befreien. Der Vorschlag aus dem Publikum, die Gegner der Gleichstellung mit ihren eigenen Waffen zu schlagen und eine Durchsetzungsinitiative für den Gleichstellungs-Artikel zu lancieren, stiess bei der Gender-Elite jedoch auf wenig positives Echo. Zu gross ist wohl die Angst, dass bei einer Volksbefragung der Schuss nach Hinten losgehen könnte.