Was ist nur los im Schulbereich, dass ein praxisfernes didaktisches Generalkonzept wie eine Abschaffung des Frontalunterrichts überhaupt ernsthaft in Erwägung gezogen wird?

Von Hanspeter Amstutz

Bei bildungspolitischen Diskussionen scheint sich im Schlagwort „Frontalunterricht“ alles Negative zu konzentrieren. Ohne einen etwas genaueren Blick auf die Schulpraxis zu werfen, fordern manche Bildungspolitiker, dass diese Art des Unterrichtens weitgehend aus unseren Schulen zu verbannen ist. Doch zum Glück ist dies noch nicht geschehen. Was ist nur los im Schulbereich, dass ein praxisfernes didaktisches Generalkonzept wie eine Abschaffung des Frontalunterrichts überhaupt ernsthaft in Erwägung gezogen wird?

Der besser als gemeinschaftsbildender Klassenunterricht bezeichnete Schulstil umfasst eine ganze Reihe unverzichtbarer Lernformen. Diese ermöglichen einen effizienten Lernerfolg und sind bezüglich Aufwand den individualisierenden Lernformen bei weitem überlegen. Elementare Schritte im gemeinsamen Unterricht sorgfältig zu erklären statt jedem einzelnen die Basisinformationen individuell zu vermitteln ist ein praxiserprobtes Konzept. Gleichzeitig lernen die Schüler, aufmerksam zuzuhören, aufeinander Rücksicht zu nehmen. Ein fairer Klassenunterricht ist die Basis für soziales Lernen, da die Schüler sich darauf einstellen müssen, einander richtig zuzuhören.

Damit sind die Möglichkeiten dieses bewährten Unterrichtskonzepts noch lange nicht ausgeschöpft. Zu den „frontalen Unterrichtsformen“ gehören lebendige Erzählungen mit öffnenden Dialogsequenzen. Sogar das gemeinsame Trainieren von Sprachübungen macht Jugendlichen Spass, wenn sie sich vorher in Partnerarbeit auf das sportliche Finale im Klassenverband vorbereiten konnten. Dass all diese didaktischen Gestaltungsmöglichkeiten unter dem Schlagwort Frontalunterricht zusammengefasst werden, stiftet viel Verwirrung.

Selbstverständlich muss eine Lehrkraft über ein vielseitiges didaktisches Repertoire verfügen. Manchmal sind individuelle Lernsequenzen tatsächlich besser als zu lange Erklärungen im Rahmen der ganzen Klasse. Kinder müssen immer wieder eigene Erfahrungen machen und in einem abgesteckten Rahmen auch experimentieren können. Dieser Raum des freien Lernens kann aber erst dann erfolgreich betreten werden, wenn Jugendliche über grundlegende Arbeitstechniken und ein gefestigtes Arbeitsverhalten verfügen. Wird das Feld zu früh geöffnet, ist das Chaos an heterogenen Klassen geradezu vorprogrammiert.

Die Qualität der Schulführung und kann nicht mit Schlagwörtern wie Frontalunterricht erfasst werden. Die Klassenführung kann auf verschiedene Weise ausgeübt werden und für erfolgreiches Lernen gibt es mehrere Wege. Eine Einengung der Gestaltungs- und Methodenfreiheit durch unausgegorene Lehrmeinungen schadet deshalb der Schule enorm. Diese liberalen Grundwerte dürfen nicht in Frage gestellt werden. Leider scheint mancherorts schon einiges Porzellan zerschlagen worden zu sein. Rückmeldungen von verunsicherten Lehrkräften, deren Methodenwahl im Rahmen der Mitarbeiterbeurteilung kritisiert wurde, haben mich deshalb aufhorchen lassen. Wo die Qualität einer pädagogischen Arbeit mit einem Frontalunterrichts-Dosimeter gemessen wurde, darf das Beurteilungssystem zu Recht hinterfragt werden.

Eine gute Schule lebt von der Kreativität und dem Engagement der Lehrkräfte. Eine Reduktion dieser Arbeit auf ein Stilelement des Unterrichts wird diesem Engagement in keiner Weise gerecht. Das Unwort Frontalunterricht darf ruhig entsorgt und durch den Begriff gemeinsamer Klassenunterricht ersetzt werden.