Das vom Bundesrat geplante Rahmenabkommen EU-Schweiz wäre keine Weiterentwicklung des bilateralen Weges, sondern eine Revolution, welche das politische Selbstverständnis und die Souveränität der Schweiz aushebelt.

Eric Gujer warb in einem Kommentar vom 25. August 2017 in der NZZ für ein Rahmenabkommen der Schweiz mit der EU. Damit, so der Chefredaktor der renommiertesten Schweizer Zeitung, könnten die Schwächen der bilateralen Verträge behoben werden. Um dies zu erreichen müsse der Bundesrat die Schweiz allerdings offensiver als bisher vertreten. Dass die Schweiz mehr Selbstbewusstsein gegenüber der EU zeigen sollte, sieht Gujer richtig. Allerdingst verkennt er den verhängnisvollen Fehltritt, den die Schweiz mit einem Rahmenabkommen begehen würde. Dieses wäre nicht einfach eine Weiterentwicklung des bilateralen Weges, sondern würde die dynamische und faktisch zwingende Übernahme von EU-Recht durch die Schweiz in sämtlichen Bereichen der bilateralen Verträge bedeuten. Sie wird darum in einer Sonderausgabe des Magazins „Zukunft CH“ vom Mai 2017 zurecht als eine politisch-institutionelle Einbindung der Schweiz in die EU und als „Zwangsheirat mit einer schlechten Partie“ kritisiert. Das Verhältnis wäre nicht mehr bilateral, sondern einseitig.

Die Schweiz habe einigen Grund zu Selbstbewusstsein, schreibt Gujer korrekterweise. Nicht die Schweizer seien die Rosinenpicker im bilateralen Verhältnis zur EU, sondern die EU-Staaten, welche die Leistungen der Schweiz nicht angemessen honorierten: Sicherung von Verkehrswegen durch Europa; Beschäftigung von Pendlern aus dem EU-Ausland; wichtiger Handelspartner; Bollwerk der Vertragstreue und der politischen Stabilität, während sich die EU gegenwärtig voller Selbstzweifel und Probleme präsentiert.

Gujer wirft aber den Gegnern des Rahmenabkommens vor, dass gegenwärtig die Frage, ob wir ein solches bräuchten, gar noch nicht beantwortet werden könne. Denn entgegen dem von Bundesrat Burkhalter erweckten Eindruck sei der Vertrag inhaltlich noch keineswegs unter Dach und Fach. Es sei also noch gar nicht entschieden, wie dieser Vertrag, den die Schweiz angeblich nicht brauche, dereinst aussehen könnte. Vor diesem Hintergrund sieht Gujer im Rahmenabkommen eine Chance die Schwächen des bilateralen Weges zu beheben. So etwa könnte die Guillotine-Klausel abgeschafft oder zumindest gemildert werden, wonach die gesamten Bilateralen I hinfällig würden, wenn eine Partei diese in einem Punkt wie der Personenfreizügigkeit verletze. Auch könnte sich die Schweiz laut Gujer für manche Bereiche ein Opt-out durchsetzen, d.h. ein Wahlrecht, ob sie Gemeinschaftsrecht anwende oder nicht. Die zeitgleich laufenden Austrittsverhandlungen der EU mit Grossbritannien könnten zudem die Vertragsposition der Schweiz stärken, wenn man die Sache nur selbstbewusst angehe.

Die von der SVP angeprangerten „fremden Richter“, d.h. die Frage, welche Instanz Streitigkeiten zwischen Vertragspartnern beilegt, ist laut Gujer ein „willkürlich aufgebauschtes Detailproblem“. Auch in diesem Punkt sei nämlich noch nichts entschieden. Es gäbe verschiedene Optionen (EU-Gericht, Efta-Gericht, Ad hoc-Schiedsgerichte), von denen alle ihre Vor- und Nachteile hätten. Die Angst vor „fremden Richtern“ sei schlicht mittelalterlich, weil es damals noch keine allgemeingültigen Gesetze und keinen Rechtsstaat gegeben habe. Wolle die Schweiz nicht im Mittelalter stehen bleiben, sei „ein Mechanismus erforderlich, um die bilateralen Verträge weiterzuentwickeln“.

Das eigentlich Revolutionäre des Rahmenabkommens gegenüber dem hergebrachten bilateralen Weg lässt Gujer allerdings unerwähnt. Aus inoffiziellen Arbeitsdokumenten und diversen Verhandlungsmandaten geht hervor, dass das Rahmenabkommen die dynamische und faktisch zwingende Rechtsübernahme durch die EU vorsieht. Diese problematische Grundausrichtung des künftigen Vertrages ist vorgegeben und wird sich kaum mehr ändern lassen. Die Frage des Schiedsspruches im Streitfall ist dem gegenüber tatsächlich ein Nebenschauplatz.

Eine dynamische Übernahme von EU-Recht in solchem Ausmass aber wäre ein herber Schlag für das politische Selbstverständnis der Schweiz als unabhängiges, souveränes Land mit direkt-demokratischer Tradition. Rechts- und Normensetzung ist ein zentraler Baustein unseres Rechtsstaates, welcher nicht von unserer Legislative an eine ferne Exekutive delegiert werden sollte. Das widerspricht zudem auch unserer Gewaltenteilung. „Bei dieser Problemlage geht es nicht um Juristerei oder trockene technische Wirtschaftspolitik, sondern um unsere Werte und unsere Demokratie. Die Frage, ob wir ein Rahmenabkommen zur institutionellen Anbindung an die EU abschliessen, trifft den Kern unserer freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung“, schreibt Zukunft CH.

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